Richtigstellungen und Spekulationen

15.11.2006
Kurz nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident in Schleswig Holstein wurde Uwe Barschel, 43 Jahre alt, tot in der Badewanne in einem Genfer Nobelhotel aufgefunden, er war bekleidet. Es schien Selbstmord zu sein, so jedenfalls schrieben es die meisten Zeitungen. Selbstmord, weil die Schuld erdrückend war, die der Ministerpräsident in einem schmutzigen Wahlkampf auf sich geladen hatte.
Uwe Barschel - CDU - hatte zur Unterstützung seiner Pressearbeit den Journalisten Reiner Pfeiffer engagiert. Pfeiffer schnüffelte im Privatleben des Spitzenmanns der SPD, Björn Engholm, erstattete eine Anzeige wegen Steuerhinterziehung gegen ihn, die jeder Grundlage entbehrte, oder streute diskriminierende Gerüchte über den Spitzenpolitiker. Kurz vor der Wahl offenbarte er dem "Spiegel", er habe im Auftrag Barschels gehandelt. Das stritt dieser vehement ab und gab seine berühmte "Ehrenwort-Pressekonferenz". Dann stellte sich jedoch heraus, dass er zumindest in einem Punkt gelogen hatte, selbst die eigenen Parteifreunde standen nicht mehr zu ihm. Barschel trat zurück.

Der Skandal war perfekt und Björn Engholm der strahlende Wahlsieger. Dass auch er gelogen hatte, wurde ein paar Jahre später klar. Es stellte sich sogar heraus, dass von SPD-Seite Geld an Pfeiffer gezahlt worden war. Das war dann die berühmte Schubladenaffäre, der SPD-Mann hatte das Geld aus der Schublade geholt. Es gab einen zweiten Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, von 1993 bis 1995. Björn Engholm trat zurück und beendete seine hoffnungsvolle Politiker-Karriere.

Wolfgang Baentsch, Wirtschaftswissenschaftler und Germanist, selbst dereinst Journalist beim "Spiegel", später Chefredakteur der "Wirtschaftswoche", will nun in seinem Buch richtig stellen, was seiner Meinung nach damals, vor allem im "Spiegel", falsch oder zumindest in der Tendenz nicht richtig dargestellt wurde. Der "Spiegel" sei den Aussagen Reiner Pfeiffers, er habe im Auftrag Barschels gehandelt, blind gefolgt. Als sich später herausstellte, dass Pfeiffer ein notorischer Lügner war, sei nur sehr sparsam über die neuen Erkenntnisse berichtet worden.

Vor allem aber will Baentsch richtig stellen, dass es sich beim Tod Barschels um ein Mordkomplott gehandelt habe, auf keinen Fall um Selbstmord.

Zweifel an der Selbstmordthese gab es schon früh, und auch dass am Tatort bei den allerersten Ermittlungen viel schief gelaufen ist, war bekannt, wurde aber nie so richtig öffentlich gemacht. Das kann man jetzt alles sehr genau und gut beschrieben im Buch nachlesen. Zum Beispiel gab es keine Fotos vom Tatort, man konnte den genauen Todeszeitpunkt nicht feststellen, weil vergessen wurde, die Körpertemperatur zu messen, man hat Spuren nicht verfolgt, nach denen Barschel nicht allein im Hotelzimmer war.

Barschels Frau, sein Bruder und seine Schwester waren von Anfang an davon überzeugt, dass es Mord war. Sie beauftragten einen renommierten Toxikologen, ein Gutachten zu erstellen. Der stellte fest, dass Barschel an einer Vergiftung starb, vergiftet durch Betäubungsmittel, die nachweislich zuerst verabreicht wurden, vor dem tödlichen Gift. Es gab - in einem anderen Gutachten - auch Hinweise darauf, dass dieses Gift mit Hilfe einer Magensonde durch die Nase eingeführt wurde, als Barschel nicht mehr bei Bewusstsein war.

Die Ermittlungen wurden immer schleppend geführt, kamen ins Stocken, erst acht Jahre nach Barschels Tod nahm die Lübecker Staatsanwaltschaft sie wieder auf und schloss sie 1998 mit einem "Gesamtbericht" ab. Es gebe tatsächliche Anhaltspunkte für ein Kapitalverbrechen.

Aber warum soll Barschel getötet worden sein? Auch darauf findet Buchautor Baentsch eine Antwort: Ministerpräsident Barschel sei 1987 nicht mehr bereit gewesen, einen über Schleswig-Holstein laufenden geheimen Waffentransfer zwischen Israel und dem Iran zu decken. Israel habe heimlich den Iran unterstützt, weil es am Fortgang des Golfkrieges interessiert war. Barschel habe damit gedroht, auszupacken, deshalb sei er beseitigt worden, vermutlich von einem beauftragten Killerkommando. Die Hintermänner stammten von der CIA und vom Mossad. Eine ziemlich gewagte Theorie.

Diese Version der Geschichte ist allerdings ebenfalls nicht ganz neu, denn bereits 1994 hatte sie der ehemalige Mossad-Agent Victor Ostrovsky verbreitet, aus dessen Buch "Geheimakte Mossad" Baentsch auch zitiert. Er fügt die Informationen aus weiteren Publikationen zusammen und ergänzt sie durch die noch nicht veröffentlichten Gutachten und Aktenstücke, die er einsehen durfte, wohl auch dank seiner guten Verbindungen zur Familie Barschel.

Und es ist gerade diese Nähe, die fragen lässt, ob es dem Autor nicht doch nur darum ging, Barschel von seinem schlechten Ruf, der ihm bis heute anhaftet, zu befreien. Freya Barschel, die Witwe des ehemaligen Ministerpräsidenten, setzt große Hoffnungen auf das Buch. In einem ausführlichen Interview im Kulturmagazin "Cicero" - Oktober-Ausgabe - meint sie, die Geschichte sei so plausibel, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufnehmen müsse.

Ob das, was Baentsch zusammengetragen hat, für ein neues Verfahren reicht, bezweifle ich allerdings. Denn der Buchautor, der anderen Journalisten Spekulation vorwirft, befindet sich selbst mitunter im Bereich des Spekulativen. Es kann so gewesen sein, wie er es beschreibt, bewiesen ist es indes noch lange nicht. Für die Dokumente, die er "als erster Außenstehender" einsehen durfte, hat er leider keine Quellenangaben.

Trotzdem - Wolfram Baentschs Verdienst ist es ohne Zweifel, dass er an längst vergessene Details der Barschel-Engholm Affäre erinnert und neue hinzufügt. So ist das Buch zwar gut aufgebaut, überwiegend gut geschrieben - bis auf ein paar ärgerliche Unrichtigkeiten - und hat auch eine weitgehend logische Geschichte. Aber es als ein "Enthüllungsbuch" zu bezeichnen, ist dann doch zu hoch gegriffen. Es ist eher ein spannender Krimi.

Rezensiert von Annette Wilmes

Wolfram Baentsch: Der Doppelmord an Uwe Barschel - Fakten und Hintergründe
Herbig Verlag München
318 Seiten, 53 Fotos und Dokumente,
gebunden, 24,90 Euro