Richard Yates: "Eine letzte Liebschaft"

Die Ehe, die zur Hölle wird

Szene aus "Zeiten des Aufruhrs" am Schauspiel Leipzig
Richard Yates erzählte stets vom Drama der Beziehungen - so auch in "Zeiten des Aufruhrs", hier in einer Theater-Inszenierung am Schauspiel Leipzig. © Hendrik Schmidt / dpa
Von Manuela Reichart · 06.10.2016
Der verstorbene Autor Richard Yates wird stets verbunden mit seinem mit Leonardo di Caprio verfilmten Roman "Zeiten des Aufruhrs". Dass er auch sonst ein Meister der Zwischentöne gewesen ist, beweisen die letzten neun, erstmals auf Deutsch erschienenen Kurzgeschichten unter dem Titel "Eine letzte Liebschaft".
Zwei Ehepaare plaudern miteinander auf einer langweiligen Party: Der eine Mann erzählt großspurig von seiner Zeit als Soldat im zweiten Weltkrieg, der andere schweigt, dabei hätte seine Frau auch gerne einen mutigen und selbstbewussten Kriegshelden an ihrer Seite. Die beiden Männer waren – stellt sich heraus – im März fünfundvierzig am selben Ort, aber der eine spricht gerne vom Krieg, der andere nicht, da helfen auch die bemühten Interventionen seiner Ehefrau nichts.
Anfang der 1950er-Jahre spielt diese Szene, in der es um die grundsätzlichen Missverständnisse im Paarleben geht. Sie begreift nicht, dass er sich aus gutem Grund nicht erinnern will, und er kann ihr Bedürfnis nach einem strahlenden Sieger nicht mehr ertragen: "Betty", sagte Miller. "Tust du mir einen Gefallen?" Er beobachtete, wie sich ihr Stirnrunzeln im Licht der Straßenlaterne in einen gekränkten Blick verwandelte. "Halt den Mund. Halt bitte einfach den Mund."

Und irgendwann kommt der Ausbruch

Das ist eine der Szenen, die Richard Yates (1926-1992) immer wieder meisterhaft beherrscht. In seinem bekanntesten Roman "Zeiten des Aufruhrs" (2009 mit Kate Winslet und Leonardo di Caprio verfilmt) war es ein Streit dieser Art gewesen, der gleich am Anfang das Drama einer Ehe markierte, in der Geschichte "Der Kanal" steht der Ausbruch am Ende. Aber auch hier weiß man, dass diese Ehe eine Hölle werden wird.
Der Zeit seines Lebens nicht erfolgreiche, heute anerkannte und hoch geschätzte Autor ist ein Meister der Zwischentöne, der eindringlichen Augenblicke und Sätze, die alles beinhalten, worum es zwischen zwei Menschen geht oder eben nicht mehr geht.
Nicht in allen dieser neun - bisher noch nicht ins Deutsche übertragenen - short storys gelingen solche literarische Augenblicke, die wie in einem Brennglas Menschen und ihre Versehrtheiten deutlich machen. Die Liebesgeschichte eines jungen TBC-Kranken etwa, der enttäuscht wird von einer flatterhaften Krankenschwester, scheint nicht wirklich zu Ende gebracht. Und die titelgebende Erzählung, der unaufhörliche Redestrom einer jungen Frau, die von ihrer Europareise erzählt, geht etwas wohlfeil zu Ende.

Grandiose knappe und verdichtete Szenen

Anders dagegen "Der Rechnungsprüfer und der wilde Wind": Ein gerade von seiner Frau verlassener Buchhalter, der offenbar immer schon in einer Illusion lebte, muss erfahren, dass weder sein junger Untergebener noch die hübsche Kellnerin große Stücke auf ihn halten. Eine großartige Geschichte: Ein Mann wird brutal mit seinen Selbsttäuschungen konfrontiert. Der Held einer anderen Erzählung ("Ein genesendes Selbstbewusstsein") wird dagegen von der Liebe seiner Frau überrascht. Den ganzen Tag verbringt er damit, sich auszumalen, wie er etwas tun und wie sie darauf reagieren würde. Und keine seiner Visionen findet ein gutes Ende. Dass und wie es das aber dann in der Wirklichkeit doch gibt, das überrascht den Helden ebenso wie den Leser.
Richard Yates schrieb grandiose knappe und verdichtete Szenen, in denen plötzlich all das deutlich wird, wofür Paare gewöhnlich ein langes gemeinsames Leben brauchen, um all die Unvereinbarkeiten zu verstecken – oder am Ende zu entdecken.

Richard Yates: Eine letzte Liebschaft
Short Storys, aus dem Englischen von Thomas Gunkel
DVA, München 2016
197 Seiten, 19,99 EUR

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