Rettung der Kunst vor Erdbeben

Wettlauf gegen die Zeit in Italien

Die Ruine der Chiesa di San Salvatore in Campi di Norcia, einen Tag nach zwei großen Erdbeben in Italien am 27. Oktober 2016
Die Ruine der Chiesa di San Salvatore in Campi di Norcia, einen Tag nach zwei großen Erdbeben in Italien am 27. Oktober 2016 © dpa / picture alliance / Tommaso Crocchioni
Von Thomas Migge  · 25.12.2016
Mittelitalien bricht auseinander, was immer wieder zu schweren Erdbeben in der Region führt. In den Ruinen historischer Bauwerke stecken wertvolle Kunstwerke. Es ist sehr aufwändig und gefährlich, sie zu retten.
In nur wenigen Sekunden brach in Folge des schweren Erdbebens am 27. Oktober 2016 in der kleinen mittelitalienischen Ortschaft Campi di Norcia die rund 800 Jahre alte Chiesa di San Salvatore zusammen. Übrig blieben einige Mauern und viel Geröll.
Seit Ende August bebt es in Mittelitalien. Seitdem sind die Mitarbeiter der Carabinieri-Einheit zum Schutz von Kulturgütern im Erdbebengebiet unterwegs. In den Trümmern eingestürzter und vom Einsturz bedrohter historischer Bauwerke riskieren sie Kopf und Kragen, um Kunstwerke zu retten, die nicht zerstört sind, berichtet die Kunsthistorikerin Maria Del Croce. Ihr Arbeitsplatz ist eine unscheinbare Lagerhalle zwischen den umbrischen Ortschaften Spoleto und Terni. Eine Halle voller Schätze.
"Das ist eine quasi chirurgische Arbeit. Die Kunstschutz-Carabinieri gehen extrem vorsichtig vor, um zu retten, was noch zu retten ist. Hier sehen Sie ein Beispiel von vielen: das großartige Altarbild des Renaissancemalers Jacopo Siculo aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das 1541 entstandene Gemälde stellt die Krönung der Mutter Gottes dar."

Bisher sind rund 1000 Kunstwerke in der Halle untergebracht

Siculos Gemälde konnte unversehrt aus der Ruine der Benediktinerbasilika in Norcia gerettet werden. Jetzt wird es mit vielen anderen Kunstwerken in der Lagerhalle aufbewahrt. Sie alle wurden aus schwer beschädigten Kirchen und Museen im Erdbebengebiet gerettet.
Aber nicht nur Gemälde lagern hier, sondern auch antiquarisches Mobiliar, Skulpturen, marmorne Tabernakel der Romanik und sogar zwei hochgotische Fensterrosen. Sie stammen von der Fassade der Kirche San Salvatore in Campi di Norcia. Steine, die, wieder zusammengesetzt, die rekonstruierte Fassade des Gotteshauses zieren sollen. Irgendwann.
Die Lagerhalle gehört dem Kulturministerium in Rom. Sie wurde eigens zur Unterbringung von Kunstwerken gebaut, erklärt die im Ministerium arbeitende Kunsthistorikerin Alda Vanesi:
"Alle wichtigen Kunstwerke und Architekturelemente, die die Katastrophe unbeschadet überstanden haben, werden in diese Halle gebracht."
Diese Halle wurde vor einigen Jahren errichtet, um im Notfall Kunst aufzunehmen. Jetzt wird sie zum ersten Mal genutzt. Rund 1000 Gegenstände sind derzeit dort untergebracht.

Italien erwarten weitere schwere Beben

Von außen sieht die erdbebensicher gebaute Halle wie ein x-beliebiger Hangar aus. Doch hoch moderne Sicherheitstechniken sollen verhindern, dass Kunstdiebe in das Innere gelangen. Die Kunstwerke werden in fünf Räumen gelagert. Die Temperatur beträgt gleich bleibend 20 Grad Celsius und die Luftfeuchtigkeit liegt bei 55 Prozent. Ideale Bedingungen auch zur dauerhaften Unterbringung von Wandmalereien.
Alda Vanesi: "Wir sind seit Wochen dabei, den Zustand der Wandmalereien in den Kirchen im Erdbebengebiet zu kontrollieren. Die beschädigten Fresken sollen hier auch restauriert werden, damit sie später wieder an ihre Ursprungsorte zurück können."
Wann das sein wird ist derzeit allerdings schwer zu sagen. Erdbebenforschern zufolge bricht Mittelitalien auseinander. Mit weiteren schweren Beben wird in den kommenden Jahren zu rechnen sein.
Offiziell heißt es aus dem Kulturministerium, dass die Kunstwerke so lange in der Lagerhalle bleiben, bis ihre vorherigen Aufenthaltsorte im Erdbebengebiet restauriert worden sind. Doch es ist vollkommen ungewiss, ob die betroffenen Orte jemals wieder aufgebaut werden können. Und so sind die Kunstwerke auf unbestimmte Zeit nicht für die Öffentlichkeit zugänglich - wie Jacopo Siculos grandiose Madonnenkrönung aus der Benediktbasilika in Norcia. Deshalb fordern immer mehr Kunsthistoriker und Bürger, dass die bedeutendsten Werke aus der Lagerhalle in einer Ausstellung gezeigt werden sollen. Eine Forderung, auf die der Kulturminister bisher noch nicht reagierte.
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