Restaurierte Pabst-Filme "Westfront 1918" und "Kameradschaft"

Neues Ende mit Fragezeichen

Martin Körber im Gespräch mit Susanne Burg · 14.04.2018
Der österreichische Regisseur Georg-Wilhelm Pabst schockierte mit den ersten Ton-Filmen über die Schrecken des Ersten Weltkrieges. Zum Gedenkjahr sind zwei seiner Klassiker - "Westfront 1918" und "Kameradschaft" - nun in restaurierter Version erschienen.
Susanne Burg: Und als Heimkino empfehlen wir Ihnen heute zwei DVDs beziehungsweise Blue-Rays, die gerade erschienen sind, im Gedenkjahr, zum Ende des Ersten Weltkriegs 1918. Es sind zwei Filmklassiker des österreichischen Regisseurs Georg-Wilhelm Pabst: Der Film "Westfront 1918", Pabsts erster Tonfilm aus dem Jahr 1930, und "Kameradschaft", der ein Jahr später erschien. Beide Filme sind aufwendig restauriert worden, und zwar federführend von Martin Koerber von der Deutschen Kinemathek. Er ist zu uns ins Studio gekommen. Guten Tag, Herr Koerber.
Martin Koerber: "Westfront 1918" erzählt von den dramatischen Ereignissen von der Front des Ersten Weltkriegs, und "Kameradschaft" ist ein Film, der der deutsch-französischen Feindschaft entgegentritt und ein Appell für Solidarität ist. Beide sind durch und durch pazifistische Filme.
Susanne Burg: Welche Bedeutung haben sie für die filmische Auseinandersetzung mit dem ersten Weltkrieg?
Koerber: Ja, dafür ist natürlich "Westfront 1918, wie der Titel schon sagt, der Film, der näher dran ist am Krieg. Der andere beschäftigt sich ja eher damit, wie man die Kriegsfolgen überwindet und zu einer neuen internationalen Solidarität findet, könnte man vielleicht sagen. Der Film ist schon bedeutend, weil es ein Film ist, der überraschend realistisch, hart, ohne jeden Kompromiss, ohne Musik, ohne Liebesgeschichte, ohne all das auskommt und sich tatsächlich nur mit dem Weltkrieg aus der Sicht der Soldaten beschäftigt, mit diesem ersten industriellen Krieg, der ja von einer Grausamkeit war vor Ort an den Fronten, die man sich vorher gar nicht hätte vorstellen können und die eine ganze Generation entweder dahingerafft oder für immer traumatisiert hat. Und das übersetzt Pabst in einem Tonfilm, seinem ersten Tonfilm und überhaupt einem der ersten Tonfilme in Deutschland eben gnadenlos in das Kino, ohne Filter.
Die Tonspur besteht aus Maschinengewehrgeknatter, Explosionen, Schmerzensschreien und allem, was dazugehört. Das hat auch damals natürlich Aufsehen erregt und auch Kummer gemacht, weil das Publikum ja überhaupt noch nicht an Tonfilm gewöhnt war. Und dann einen solchen Film zu haben, der keine Walzermusik enthält und keine Operette ist, sondern zeigt, wie es war – das war der Hammer.

Ein Ende mit Fragezeichen

Burg: Die Rezeption war auch entsprechend. Es war die Rede von der wahrheitsgetreuen Wiedergabe des Grauens. Da war Pabst dann tatsächlich auch federführend in diesem Willen zum Realismus.
Koerber: Absolut, ja. Der Film endet mit einer Abblende, nachdem alle vier Hauptpersonen tot sind. Und dann kommt das Wort "Ende", aber mit einem Fragezeichen. Das heißt, der Film beschreibt nicht nur die Vergangenheit, sondern denkt sich auch in die Zukunft. Da gab es natürlich die Vorstellung, kann es noch mal passieren? Sind wir schon so weit, dass es wieder in Vorbereitung ist, oder sind die Konflikte gelöst? Insofern ist der Film auch ein Film, der eingreifen wollte in die Debatte in den 30er-Jahren – wie kann man das verhindern. Und das ist ja eine Frage, die sich immer stellt.
Burg: Der Film ist ja 1930 erschienen und wurde dann nach dem Regierungsantritt der Nationalsozialisten auch verboten. Wie hat das die Verfügbarkeit des Films beeinflusst, nach Ende des Zweiten Weltkriegs?
Koerber: Das hat natürlich dazu geführt, dass der Film damals erst mal sofort von der Leinwand verschwand. Aber nach dem Krieg war auch kein Material mehr in Deutschland. Es gibt eben keine Spur zum Originalnegativ, wir wissen nicht, wo das geblieben ist. Man hätte erwarten können, dass das eigentlich im Reichsfilmarchiv gelandet wäre als beschlagnahmtes Material oder so. Und dann wäre es vielleicht über den Umweg Rote Armee nach Moskau zu Gosfilmofond, dann wieder zurück in die DDR ans Staatliche Filmarchiv oder so vielleicht wieder an Deutschland gekommen ist. Aber das war für diesen Film nicht der Fall.
Auch nicht für "Kameradschaft". Die haben dadurch überlebt, dass in England Exportmaterial war. Die Filme sind nach England exportiert worden. Man hat also vom Originalnegativ ein Duplikatpositiv gemacht, von dem die englischen Negative dann gezogen wurden für den Markt dort. Und dieses Duplikatpositiv gibt es noch im Britischen Filminstitut, von beiden Filmen, nicht ganz komplett, oder im Fall von "Westfront" überhaupt nicht komplett. Aber das ist so nahe dran, wie man an das Original noch kommen kann, und das konnten wir benutzen und dann bei den Fehlstellen auffüllen mit anderen Materialien, die bei Präsenz-Film, die die Rechte halten, zu finden waren.

"Kameradschaft" mit wiederhergestelltem Ende

Burg: Wir sollten auch über "Kameradschaft" sprechen. Es gab beim Entstehen zwei verschiedene Versionen, nämlich eine für den französischen und für den deutschen Markt. Was hat das dann für die Restaurierung bedeutet?
Koerber: Das war ein Glücksfall, weil auch in England überliefertes Material von "Kameradschaft", das die deutsche Fassung von "Kameradschaft" repräsentiert, fehlte das Ende. Und das Ende fand sich im französischen Originalnegativ, leider versetzt mit französischen Untertiteln, da wo die Dialoge sind. Aber das sind nur wenige Worte, und das konnten wir digital umschiffen sozusagen, sodass der Film jetzt wieder vollständig ist.
Koerber: Und das Ergebnis kann man jetzt sehen: "Westfront 1918" und "Kameradschaft", das sind die beiden Filme, die jetzt als DVD und Blue-Ray-Set bei Atlas-Film erschienen sind mit einem ausführlichen Booklet. Restauriert wurden die Filme unter anderem von Martin Koerber von der Deutschen Kinemathek. Er war hier im Studio. Herzlichen Dank für Ihren Besuch, Herr Koerber!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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