Ressourcen des Konzils ausschöpfen und umsetzen

Bernd-Jochen Hilberath im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 11.10.2012
Das Zweite Vatikanische Konzil habe die alten Kirchentraditionen in ein moderneres Gewand gekleidet, sagt der Tübinger Theologe Bernd-Jochen Hilberath. Inzwischen sei die Welt aber so pluralistisch geworden, dass sich die Kirche nochmal neu gegenüber der Gesellschaft positionieren müsse.
Stephan Karkowsky: Es war wohl eine kleine Revolution von oben, die Papst Johannes XXIII. anstieß, heute vor 50 Jahren mit der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, der Erneuerung der katholischen Kirche. Drei Jahre nahm man sich Zeit. Was damals verändert wurde, und was davon heute noch Bestand hat, das kann uns Bernd-Jochen Hilberath erklären. Er ist Professor für dogmatische Theologie und Dogmengeschichte an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität in Tübingen. Guten Tag, Herr Hilberath!

Bernd-Jochen Hilberath: Guten Tag, Herr Karkowsky!

Karkowsky: Oder ist Revolution von oben nicht die richtige Beschreibung?

Hilberath: Doch, es ist eine richtige Beschreibung, zumal ja die Kurie zumindest gar nicht mehr damit gerechnet hat, dass es noch mal so ein Konzil gibt, sie war der Meinung, es brauchte es auch nicht, der Papst ist unfehlbar, und er kann es jederzeit entscheiden. Auf der anderen Seite ist aber wichtig, dass ohne die Basisbewegungen das Konzil möglicherweise nicht gekommen wäre. Jedenfalls ergänzen sich die Initiative des Papstes und die Basisbewegungen wie die liturgische Bewegung, die ökumenische Bewegung, die Bibelbewegung.

Karkowsky: Die Kirche lebt von ihren Traditionen, das war damals nicht anders als heute. Gab es denn einen Anlass dafür, sie verändern zu wollen?

Hilberath: Ich denke, bei Johannes XXIII., in den genannten Basisbewegungen, vielleicht auch bei dem einen oder anderen Bischof aufgrund der pastoralen Erfahrung, auf jeden Fall in der wissenschaftlich arbeitenden Theologie war die Erkenntnis gewachsen, dass die römisch-katholische Kirche sich neu positionieren muss gegenüber den anderen Konfessionen und vor allem in der modernen Gesellschaft.

Karkowsky: Warum?

Hilberath: Das Erste Vatikanische Konzil, was ja nach dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870 abgebrochen wurde, wollte eigentlich umfassender über das handeln, was Kirche ausmacht. Man hat dann aus bestimmten Gründen sich auf das Papsttum konzentriert, der Jurisdiktionsprimat des Papstes, die Unfehlbarkeit, sodass die römisch-katholische Kirche noch zentralistischer wurde, und es entstand das Gefühl, es wurde die Erfahrung gemacht, das passt weder zum Selbstverständnis der Kirche noch ist das eine Möglichkeit, wie die Kirche in der Welt von heute ihre Botschaft weitergeben kann.

Karkowsky: Dann hat es ein paar Jahre gedauert, dann kam das Zweite Vatikanische Konzil. Was stand denn da überhaupt als veränderungswürdig zur Diskussion, und was war absolut tabu und damit nicht modernisierbar?

Hilberath: Als erste quasi reife Frucht wurde das Dokument über die Liturgiereform verabschiedet – das war gut vorbereitet, auch durch die Basisbewegungen. Was aber auch in der Luft lag, war, das Papsttum stärker in der Kirche zu verankern, zumindest in der Kollegialität der Bischöfe. Was dann aber immer deutlicher wurde, war, dass die Kirche ein neues Verhältnis zur Welt finden musste, und deswegen hatte Kardinal Suenens von Mecheln, der eine wichtige Rolle spielt, schon in der ersten Sitzungssession in der Periode vorgeschlagen, einerseits Kirche at intra und dann Kirche at extra zu betrachten. Also was ist reformbedürftig in der Kirche, damit sie ihre Aufgabe at extra nach außen wahrnehmen kann.

Karkowsky: Es wurde ja auch viel diskutiert über die Ökumene, also eine stärkere Zusammenarbeit aller christlichen Kirchen im Gegensatz zur Abgrenzung voneinander. Welche Richtung hat sich da durchgesetzt?

Hilberath: Auf dem Konzil hat sich weitgehend Kardinal Bea gegen den Kardinal Ottaviani, der Chef der Glaubensbehörde war, durchgesetzt. Allerdings beobachten wir ja in den letzten Jahrzehnten und vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend wieder einen Rückgang hinter die Öffnung, die das Zweite Vatikanische Konzil gebracht hat, indem es sagt, die römisch-katholische Kirche ist auf jeden Fall eine Verwirklichung der Kirche Jesu Christi, aber es lässt offen, ob es auch andere Verwirklichungen gibt, die authentisch sind und ein Stück weit legitim sind.

Karkowsky: Auch darüber wollen wir natürlich reden mit dem Tübinger Theologen Bernd-Jochen Hilberath zur Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils heute vor 50 Jahren. Herr Hilberath, damals spielte auch der Kölner Kardinal Josef Frings eine ganz wichtige Rolle auf diesem Konzil, und sein damaliger Berater war ein junger Theologieprofessor namens Joseph Ratzinger, dem heutigen Papst Benedikt. Weiß man, welche Positionen Ratzinger damals vertreten hat, was ihm wichtig war?

Hilberath: Es ist nicht ganz eindeutig zu klären, ob Ratzinger damals ein anderer Ratzinger war und sich verändert hat, oder ob durch die Umstände in der Nachkonzilszeit herauskam, was immer schon sein Anliegen war. Ich denke, beides hat etwas Richtiges, und man muss es differenziert sehen, ich denke, dass Kardinal Kasper in seiner Auseinandersetzung mit Ratzinger vor einigen Jahren im gewissen Sinn den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Kasper nimmt für sich in Anspruch, er sei so ein Aristoteliker, der induktiv von der Erfahrung ausgeht und dann zu Erkenntnissen kommt, während Ratzinger ein Platoniker sei, der so die Ideen, die Wahrheiten, die ganz oben schweben, betrachtet, und Schwierigkeiten mit der Bodenhaftung hat.

Karkowsky: Auf jeden Fall steht Papst Benedikt in der Öffentlichkeit vielen heute vor allem für eine Erneuerung der vorkonzilischen Traditionen der Kirche: Da ist dann wieder die Rede von der einen alleingültigen Kirche, da wird die alte Liturgie wieder erlaubt und – dafür wurde er ja viel kritisiert, er beharrt auf einer Einigung, einer Zusammenführung aller katholischen Gruppierungen, seien sie auch noch so radikal und antimodern wie die Piusbruderschaft, die ja die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils vollständig ablehnt. Ist der Papst damit schon ein Konterrevolutionär, der die Errungenschaften des Konzils nach und nach wieder zurücknehmen möchte?

Hilberath: Das würde ich so nicht sagen, aber es kommt doch heraus, in welcher Form des katholisch Seins sich Joseph Ratzinger am wohlsten fühlt. Sie haben mit Recht gesagt, er versucht die Traditionalisten unbedingt im Boot zu halten oder wieder ins Boot zu holen, auf der anderen Seite geht der Vatikan – ich denke, der Papst weiß darum – relativ kritisch vor gegen Katholiken, die am anderen Ende des Spektrums, also wenn man es so politisch sagen will, die linksorientiert sind. Insofern ist das mit der Einheit auch wiederum eine ambivalente Haltung, die er da einnimmt.

Karkowsky: Muss man als antimodern auch die Freiburger Rede des Papstes 2011 deuten, in der er ja der deutschen Amtskirche geraten hat, sich von ihren Privilegien zu verabschieden, sich zurückzuziehen aus gesellschaftlichen Gremien, und sich insgesamt, und dieses Wort hat es ja zu einiger Berühmtheit gebracht, zu entweltlichen?

Hilberath: Es zeigt jedenfalls, dass das, was ich mit der mangelnden Bodenhaftung gemeint habe, wohl auch hier zutrifft. Einerseits ist ja einiges richtig daran, was der Papst sagt, dass die Kirche sich von ihrem Ureigensten her entwickeln muss, und von daher in der Gesellschaft Präsenz halten muss, gegebenenfalls, um auch auf Privilegien zu verzichten. Auf der anderen Seite hat er offenbar keine Ahnung oder ist schlecht beraten, wie die Situation der römisch-katholischen Kirche in der Bundesrepublik Deutschland ist, welche Möglichkeiten es auch gibt durch diese Arrangements zwischen Staat und Kirche.

Karkowsky: Nun sind 50 Jahre vergangen seit der Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, was sagen Sie denn, das ist ja im Prinzip nicht viel in der langen Geschichte der katholischen Kirche, hat dieses Konzil die Kirche wirklich moderner gemacht, oder hat sie nur – wie Kritiker behaupten – die alten Traditionen in ein moderneres Gewand gekleidet, sodass man sie nicht mehr als so gestrig bezeichnen kann, wie noch vor 50 Jahren?

Hilberath: Also ich denke, vor 50 Jahren traf eher das zu, was sie zuletzt genannt haben, dass doch die Bischöfe und vermutlich auch viele Katholiken in der Kirche dachten, in einem relativ gewohnten und vertrauten traditionellen Rahmen sind Reformen, ist Erneuerung möglich. Inzwischen sind 50 Jahre vergangen, und die sind rasant in unserer Zeit, das ist nicht zu vergleichen mit 50 Jahren früherer Konzilien, die dann ebenso lang brauchten, bis sie rezipiert waren. Und inzwischen wird klar, die Welt ist so pluralistisch geworden, und die Kirche muss sich noch mal ganz neu gegenüber der modernen Gesellschaft positionieren, sodass rückblickend gesagt werden kann, das Konzil hat – in manchen Punkten vielleicht sogar zu spät – Fenster aufgemacht, Türen geöffnet, einige wollen die wieder zuschlagen aus Angst vor der Berührung mit der Gesellschaft, wir müssen sie dringend weiter öffnen und offen halten und mit viel Fantasie überhaupt mit den Menschen, mit unseren Zeitgenossen wieder ins Gespräch kommen – über viel wichtigere Fragen, als die das Konzil in der Regel behandelt hat. Es geht ja nicht um die Kirche, es geht letztlich um die Gottesfrage.

Karkowsky: Braucht es also ein drittes Vatikanisches Konzil?

Hilberath: Für bestimmte grundlegende Entscheidungen sind Konzilien da, allerdings wünsche ich mir im Moment kein drittes Vatikanisches Konzil. Abgesehen davon, dass es schwierig mit jetzt 5.000 Bischöfen durchzuführen wäre, aber auch bei dem Spektrum der Bischöfe und bei der einseitigen Besetzung der Kurie würde das eher eine rückwärts gewandte Veranstaltung werden. Also ich wünsche mir eher, dass das unabgegoltene Potenzial, die Ressourcen, die im Zweiten Vatikanischen Konzil liegen, dass die ausgeschöpft werden und umgesetzt werden.

Karkowsky: Heute vor 50 Jahren begann mit dem zweiten Vatikanischen Konzil die Erneuerung der katholischen Kirche. Sie hörten dazu Bernd-Jochen Hilberath, er ist Professor für dogmatische Theologie und Dogmengeschichte an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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