Résistance!

Von Kathrin Hondl · 30.03.2005
"Google ist nicht das Ende der Geschichte" - so beschwor Frankreichs Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres die Leser der Tageszeitung Le Monde. Präsenz in den globalen digitalen Netzen habe für ihn höchste Priorität, schrieb er in einem Gastkommentar, und: er glaube nicht, dass die Mechanismen der amerikanischen Suchmaschine der einzige Schlüssel zu unserer Kultur seien.
Das Pathos des französischen Kulturministers kommt nicht von ungefähr: Googles Plan, 15 Millionen Bücher aus amerikanischen und britischen Bibliotheken zu digitalisieren und online verfügbar zu machen, hat die französische Kulturnation ins Mark getroffen. Eine "überwältigende Dominanz Amerikas" fürchtet der Präsident der Bibliothèque Nationale, und Staatspräsident Chirac hat jetzt den Kampf gegen den Imperialismus der amerikanischen google-Kultur zur Chefsache erklärt: Eine europäische virtuelle Bibliothek, so der Wunsch Chiracs, soll dem US-Unternehmen Paroli bieten. Seinen Kulturminister beauftragte er, zu prüfen, wie die Bestände der großen Bibliotheken Frankreichs und Europas schnellstmöglich im Internet verfügbar gemacht werden könnten. Denn schon Anfang Mai will Chirac seinen europäischen Amtskollegen ein gemeinsames Digitalisierungsprojekt vorschlagen - zur Sicherstellung der kulturellen Vielfalt im weltweiten Netz. Keine schlechte Idee - findet Alain Absire, Vorsitzender der Societé des Gens de Lettres, der Interessenvertretung der französischen Schriftsteller:

"Jacques Chiracs Idee einer großen europäischen online-Bibliothek ist sicherlich die bessere Lösung. Vor allem, weil sie als kontrolliertes Netzwerk funktionieren soll, das von Wissenschaftlern und Bibliotheken organisiert wird - und nicht als privates Unternehmen. Das heißt, wir wären nicht schutzlos einem multinationalen Großunternehmen ausgeliefert, das sich wie ein Krake der Werke bemächtigt und sie einfach so in die freie Wildbahn aussetzt - ohne jede Gegenleistung."

Wie Alain Absire fürchten viele im französischen Literaturbetrieb nicht nur kulturelle Dominanz durch eine amerikanisch gesteuerte google-Weltbibliothek. Von einer staatlich organisierten europäischen Bücher-Digitalisierung erhoffen sie sich auch ökonomischen Schutz - Schutz von Urheber- und Verlagsrechten. Denn das Hauptproblem sei googles Ankündigung, literarische Werke kostenlos im Internet zur Verfügung zu stellen, meint Christian Roblin, Direktor der französischen Gesellschaft für Autorenrechte:

"Diese Kostenlosigkeit ist nicht demokratisch sondern demagogisch, sagt er. Für das funktionieren von Demokratie sind Werte wichtig. Auch intellektuelle Werte. Werke des Geistes müssen genauso honoriert werden wie etwa Investitionen in Hardware. Es gibt keinen Grund, dass das was das Genie der Menschheit ausmacht gratis und unbegrenzt zugänglich gemacht wird, während für alles andere bezahlt werden muss. "

Und in diesem Punkt sind die französischen Autoren- und Verlegerverbände auch gegenüber staatlichen Digitalisierungs-Projekten skeptisch. Bereits seit 1997 betreibt die französische Nationalbibliothek die virtuelle Bibliothek "Gallica" - an die 100.000 Werke sind dort online abrufbar. Allerdings nur "öffentliche Werke" - so genannte "gemeinfreie" Texte, die keinem Urheberrecht unterliegen. Denn als die Nationalbibliothek vor einigen Jahren begann, auch urheberrechtlich geschützte Werke aus ihren Beständen zu digitalisieren, musste sie sich heftigen Protesten der Verlage beugen und rund 15.000 Titel wieder aus dem Internet-Angebot entfernen.

Google wiederum versucht nun auch diese Widerstände zu brechen. Auf der Pariser Buchmesse letzte Woche umwarb das geschäftstüchtige Unternehmen die Verlage mit einem scheinbar verlockenden Angebot: Der kostenlosen Digitalisierung ihrer Bücher, von denen dann aber nur Ausschnitte bei "google print" im Internet zu lesen sein sollen. Mit Links zu den einschlägigen Online-Buchhändlern, wo das ganze Buch, das echte Buch käuflich zu erwerben ist - wenn die Internetsurfer nicht schon mit dem Google-Gratis-Auszug zufrieden sind.

"Der Sinn der Werke überhaupt ist gefährdet, wenn man an alles gratis herankommt und sei es nur ausschnittweise, sagt Alain Absire. Diese Best-of- Kultur ist gefährlich - immer häufiger meinen die Leute, es reiche fünf oder zehn Seiten eines Buchs zu lesen und nicht mehr das ganze Werk. Da müssen wir extrem aufpassen. Der Sinn und Inhalt der Werke muss geschützt sein. Ich glaube, dass das klassische Buch unersetzbar ist - nur: es genügt eben nicht, das immer wieder zu sagen. Denn mit dem neuen System, das sich da etabliert - könnte ziemlich schnell die ganze Buchwirtschaft zugrunde gehen. Und dann bekommen wir ein gewaltiges Problem: es wird immer weniger Schriftsteller, Verleger und Buchhändler geben - aus wirtschaftlichen Gründen - darin besteht die große Gefahr."

Diesen apokalyptischen Visionen zum Trotz hoffen die Verantwortlichen im französischen Buchbetrieb nun auf Rückenstärkung von staatlicher Seite. Denn schließlich handelt Frankreich ja auch im Bereich der Filmindustrie nach dem Prinzip der "exception culturelle" - der "kulturellen Ausnahme" und versucht mit weit reichender staatlicher Filmförderung der globalen Hollywood-Hegemonie Paroli zu bieten. Beim Großprojekt virtuelle Weltbibliothek stehen sich nun aus Neue französischer Etatismus und amerikanischer Wirtschaftsliberalismus gegenüber.
Auch wenn Kulturminister Donnedieu de Vabres sagt: "Wir müssen von Google lernen."