Religion und Gewalt

Wie der Glaube Frieden stiften kann

Die Symbole der vier Weltreligionen Judentum, Christentum, Hinduismus, Islam und Buddhismus.
Die Religionen müssen ihr Friedenspotenzial stärken, sagt der Politikwissenschaftler Markus Weingardt. © picture alliance/dpa/Keystone/Urs Fueller
Markus Weingardt im Gespräch mit Nana Brink · 09.05.2016
Religionen scheinen die Triebfeder vieler Gewaltkonflikte zu sein. Das muss nicht sein, sagt der Politikwissenschaftler Markus Weingardt. Denn die Vertreter der großen Glaubensrichtungen können etwas gegen die Instrumentalisierung der Religionen tun.
Religion begegnet uns derzeit vor allem in Zusammenhang mit Konflikten - doch wie ist es eigentlich um den Frieden bestellt, den alle großen Religionen zu ihrem Grundthema erklären?
Das Deutschlandradio hat in Kooperation mit dem ORF und der Bertelsmann-Stiftung die Veranstaltungreihe "Miteinander Leben - Friede durch Kreuz und Koran" ins Leben gerufen. Heute Abend ist in Wien der Politikwissenschaftler Markus Weingardt auf dem Podium, der überzeugt ist: Religionen sind friedfertiger als wir meinen.

Bei den wenigsten Konflikt geht es wirklich um Religion

Die wenigsten Gewaltkonflikte seien wirklich religiös motiviert, so Weingardt im Deutschlandradio Kultur. Nur etwa elf Prozent von ihnen hätten tatsächlich einen religiösen Konfliktgegenstand. Die Wahrnehmung, dass Religionen gewalttätig seien, komme wohl vor allem daher, "dass die Berichterstattung im Wesentlichen von den Konflikten im Mittleren und Nahen Osten dominiert ist - und da spielt tatsächlich Religion eine wesentliche Rolle."
Leider ließen sich Religionen jedoch sehr leicht instrumentalisieren, so Weingardt. Es gebe einzelne Verse oder auch ganze Geschichten, "in denen Gewalt als etwas Positives überliefert wird". Darauf könnten Konfliktführer heute noch zurückgreifen und ihren Anhängern erklären "es steht ja dort geschrieben, wir führen ja nur die Gebote Gottes aus". Weingardt: "Das ist natürlich ein sehr simples Schriftsverständnis."

Religionsvertreter können Konflikte auch entschärfen

Dem Politikwissenschaftler zufolge gebe es aber auch zahlreiche Beispiele, wo Religionen und ihre Vertreter friedensstiftend gewirkt hätten. Als Beispiele nannte er unter anderem entsprechende Vermittlungserfolge in Mosambik oder Benin. "Vergessen wir auch nicht im eigenen Land: Nach dem Zweiten Weltkrieg, die Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich ging wesentlich von den Kirchen aus - beiderseits des Rheins. Und natürlich die friedliche Wende in der DDR wäre ohne die evangelischen Kirchen so oder nicht so friedlich zu Stande gekommen."
Die Religionen könnten aktiv etwas gegen ihre Instrumentalisierung tun, so Weingardt: "Das hat viel mit religiöser Bildung zu tun, mit Vernetzung mit anderen Religionen." Gleichzeitig müssten sie ihr Potenzial als Friedensstifter ausbauen. Religionen müssten "ihre Friedenskompetenzen erkennen, dann weiterentwickeln - denn jeder Konflikt ist anders (...) - und dann auch einbringen in die Politik: nicht aufdrängen, aber anbieten."
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© Deutschlandradio/Bertelsmann
Das Gespräch im Wortlaut:
Nana Brink: Es ist sicherlich nicht leicht, in diesen Tagen gläubig zu sein, wenn man sich für Weltpolitik interessiert, erst recht nicht, wenn man zum Beispiel dem islamischen Glauben angehört, aber auch als Jude oder Christ kann man verzweifeln, wenn man auf die Weltkarte blickt und sieht, wo im Namen der Religion überall gemordet wird. Und die Anschläge von Paris und Brüssel, die sind uns ja noch vor Augen. Da ist es schon fast unerhört, nach dem Frieden zu fragen, eigentlich das Grundthema aller großen Religionen. Das hat auch uns umgetrieben, und mit der Bertelsmann-Stiftung und dem Österreichischen Rundfunk hat Deutschlandradio die Reihe "Miteinander leben, Friede durch Kreuz und Koran" begonnen. Heute Abend findet in Wien das zweite Podium statt, und einer, der sich schon lange mit dem Thema Religion und Frieden beschäftigt, ist Markus Weingardt, Politik- und Verwaltungswissenschaftler. Ich grüße Sie!
Markus Weingardt: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Ist unsere Wahrnehmung richtig, dass Religion eher zu Gewalt aufruft als zum Frieden in diesen Tagen?
Weingardt: Die Wahrnehmung ist wohl richtig, was aber nicht heißt, dass das auch mit der Wirklichkeit übereinstimmt. Die Wahrnehmung kommt wohl daher vor allem, dass die Berichterstattung wesentlich von dem Konflikt in Mittel- und Nahost dominiert ist, und da spielt tatsächlich Religion eine wesentliche Rolle. Allerdings, das haben verschiedene Studien auch zuletzt der Bertelsmann-Stiftung sehr eindeutig zutage gebracht, die allerwenigsten Konflikte, die wir weltweit haben – ich spreche von Kriegen und Bürgerkriegen – sind wirklich religiöse Konflikte. Diese Studie kam vor drei Jahren zum Ergebnis, dass nur elf Prozent etwa der Konflikte, der Gewaltkonflikte einen religiösen Konfliktgegenstand haben.

Religionen sind leicht zu instrumentalisieren

Brink: Aber trotzdem lassen sich doch Religionen dann so leicht instrumentalisieren.
Weingardt: Das stimmt. Das ist auch zu bedauern. Das kommt im Wesentlichen daher, dass wir in den religiösen Schriften im Übrigen aller Religionen, dass wir da Überlieferungen haben, einzelne Verse oder ganze Texte über Geschichten, in denen Gewalt als etwas, ich sage mal, Positives überliefert wird, in denen Gewalt mindestens positiv konnotiert ist, oder sogar berichtet wird, Gott selbst habe Gewalt empfohlen oder sogar selbst Gewalt angewandt. Das sind natürlich Überlieferungen, auf die Konfliktführer auch heute noch zurückgreifen können und das vielfach tun und dann ihren Anhängern sozusagen erklären können, es steht ja dort geschrieben, dort wird es geboten, wir führen ja nur die Gebote Gottes aus.
Brink: Also so was, was der sogenannte Islamische Staat zum Beispiel macht.
Weingardt: Genau. Das ist natürlich ein sehr simples Schriftverständnis, ein sehr plattes und, wie die überwiegende Theologenschaft in den Religionen auch sagt, ein unzulässiger Umgang mit der Schrift, weil man natürlich den ganzen Kontext ausblendet, den historischen, politischen, theologischen Kontext einfach ausblendet und die Zitate aus dem Kontext herausreißt, in die heutige Zeit verpflanzt.

Religion kann auch zu Annäherung beitragen

Brink: Aber Herr Weingardt, das ist ja einer, der zündet, also zumindest, wenn wir bei unserer Wahrnehmung bleiben und auf die Konflikte gucken, gerade, die wir mit dem Islam haben oder wo der Islam benutzt wird. Ich würde das gern mal positiv umdrehen, weil Sie auch gesagt haben, die wenigsten sind wirklich religiös begründet. Wo gibt es denn Beispiele, wo Religion friedensstiftend gewirkt hat? Nennen Sie mir welche.
Weingardt: Es gibt zahlreiche Beispiele. Um ein paar zu nennen: In Afrika tobte in Mozambique in den 80er-Jahren ein schrecklicher Bürgerkrieg, der durch eine – nicht durch die UNO, die war mit einer Vermittlungsaktion gescheitert, sondern durch eine Vermittlungsaktion, durch Gespräche des Bischofs Goncalves aus Beira und Vertretern von Sant'Egidio, der katholischen Laiengemeinschaft beendet wurde, beendet mit einem regelrechten, sehr umfassenden Friedensvertrag.
In Benin, nicht weit weg, in den ähnlichen Jahren, war es ebenfalls ein katholischer Bischof, der in der Transition, im Übergang von Diktatur zur Demokratie eine ganz wesentliche Rolle spielte. Während des Genozids in Ruanda 1994 waren es eigentlich die ruandischen Muslime, die sich der Gewalt verweigert haben, während sich die Christen gegenseitig buchstäblich die Schädel einschlugen. In Kambodscha war es der buddhistische Mönch Maha Ghosananda, der eine umfassende Friedens- und Versöhnungsarbeit aufbaute. Im Bibelkonflikt zwischen Argentinien und Chile war es der Vatikan, der intervenierte. Da könnte ich noch eine ganze Reihe hoch spannender Beispiele nennen.
Vergessen wir auch nicht, in unserem eigenen Land sowohl nach dem Zweiten Weltkrieg die Annäherung zwischen Deutschland und Frankreich ging wesentlich von den Kirchen aus, beiderseits des Rheins, und dann natürlich die friedliche Wende in der DDR wäre ohne die evangelischen Kirchen dort so oder so friedlich nicht zustande gekommen.
Brink: Dann führt mich das doch automatisch zu dieser Frage, was müssen dann Religionsgemeinschaften tun, damit sie einen Gegenpol bilden zu den fundamentalen und gewalttätigen Auswüchsen in ihren Reihen?

Religionen müssen ihre Friedenskompetenzen stärken

Weingardt: Es gilt zweierlei zu tun: Zum einen müssen sie das Gewaltpotenzial, das in den Religionen auch angelegt ist – das ist ja unbestritten, das können wir jeden Tag in den Medien lesen und hören –, diese Gewaltpotenziale müssen sie reduzieren. Das hat viel mit religiöser Bildung zu tun, mit Vernetzung mit anderen Religionsgemeinschaften, transnationaler Vernetzung. Das hat mit Unabhängigkeit von Politik und Staat zu tun. Und zum anderen müssen sie ihre Friedenskompetenzen ausbauen.
Die sind auch unbestreitbar da, ich habe ein paar Beispiele genannt, das waren natürlich längst nicht alle. Aber diese Friedenskompetenzen sind da, und die müssen ausgebaut werden. Ich nenne das diesen Triple-E-Ansatz, der da geschehen sollte vonseiten der Religionen zunächst mal. Sie müssen ihre eigenen Friedenskompetenzen erkennen, diese dann weiterentwickeln, denn jeder Konflikt ist anders, ist neu, man kann nicht stehen bleiben, man muss es weiterentwickeln im Austausch mit anderen und dann auch einbringen in die Politik, nicht aufdrängen, aber anbieten.
Brink: Markus Weingardt. Vielen Dank für das Gespräch, und bei uns im Internet finden Sie alle Informationen zu unserer Veranstaltungsreihe "Miteinander leben", unter deutschlandradio.de auch einen Debattenbeitrag von Markus Weingardt, wo er seine Thesen noch mal ausführlich darstellt. Und auch vor allem wird über das Thema diskutiert. Wir möchten wissen, was Sie davon halten. Auf unserer Facebook-Seite wird schon debattiert, und auf unserer Internetseite deutschlandradio.de ist ein sichtbarer Link zur Veranstaltung heute Abend in Wien.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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