Religion

Bibel statt Computer

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Drei Mennoniten sitzen in einer Kutsche. © Franz Smets / dpa
Von Petra Aldenrath · 19.12.2013
Im kanadischen St. Jakobs, in der Provinz Ontario, leben viele streng orthodoxe Mennoniten. Bis heute fahren sie Pferdekutsche, tragen selbstgenähte hochgeschlossene Kleider, ganz so wie im 16. Jahrhundert, als sie gebrandmarkt als Ketzer aus Europa nach Russland oder Amerika flohen.
Es ist Samstagmorgen. Der Tag des Bauernmarktes in der Gemeinde Waterloo/St. Jacobs in der kanadischen Provinz Ontario. Auf dem riesigen Parkplatz einer Markthalle auf dem Land, gut erreichbar von der nahen Stadt Waterloo und ihren umliegenden Gemeinden, bauen Händler ihre Stände auf und packen selbstgemachte Kuchen und Pies, Ahornsirup, Honig, Gewürze, Nüsse oder getrocknete Früchte aus.
Gleich hinter den Marktständen parken die Lieferfahrzeuge der Händler. Kleinlastwagen, Jeeps mit offener Ladefläche und daneben immer wieder Pferdekutschen. Sie gehören den sogenannten "Old Order House"-Mennoniten, einer Glaubensgemeinschaft, die so lebt und so aussieht wie die Menschen schon vor 200 Jahren. Bis heute passen sich die Mitglieder dieser Strömungen nur wenig an die modernen Zeiten an, sagt Dell Gingrich:
"In der Gegend rund um Waterloo leben etwa 20.000 Mennoniten. Das Verwirrende ist, dass es mehr als 20 verschiedene Gemeinden gibt. Angefangen von sehr ultraorthodoxen bis hin zu den modernen, zu denen ich gehöre. Für Außenstehende, die sich für Mennoniten interessieren, sind die stereotypen Old-Order House Mennoniten die interessanten. Diejenigen, die mit der Pferdekutsche kommen, die keine Technologie haben, die sich schlicht und einfach kleiden."
Wie aus dem Kostümfilm
Dell Gingrich ist auch Mennonit - und ein waschechter Kanadier. Er trägt Jeans und Karohemd, ist freundlich, zupackend, unkompliziert. Früher hat er als Lehrer gearbeitet, heute, mit Mitte 60, jobbt er im Informationszentrum von St. Jacobs und klärt dort über die verschiedenen Gemeinden der Mennoniten auf.
Dell Gingrich ist einer der wenigen, die Kontakte zu beiden Strömungen haben – zu den modernen, die im Straßenbild nicht auffallen und zu den orthodoxen, die so aussehen wie Farmer aus dem vorletzten Jahrhundert: Die Frauen mit Haube, einem bodenlangen meist blauem Kleid, darüber eine ebenfalls blaue Schürze. Die Männer mit schwarzem Hut, Hemd und Stoffhose. Dell Gingrich kennt die meisten aus der Gegend. Er grüßt, fragt nach den Kindern und ob alles gut läuft auf der Farm? Er ist bei den Orthodoxen gern gesehen, aber... :
"Wenn sie freundlich zu dir sind, dann heißt das noch lange nicht, dass du dich mit ihnen zum Abendessen verabredest. Sie kommen nicht. Auch wenn ich Sie einladen würde, würden sie nicht kommen."
Die konservativen Mennoniten meiden jeden Kontakt, der sie mit dem modernen Leben enger als notwendig in Berührung bringt. Für sie sind Fernseher, Computer, Telefone und Handys nicht erlaubt, ihnen gelten sie als Teufelswerke. Auf dem Markt in St. Jacobs sieht man zwar orthodoxe Händlerinnen neben modisch gekleideten Frauen stehen und miteinander reden – aber nach Feierabend trennen sich die Wege. Die orthodoxen Gruppen bleiben unter sich. Sie wirken in unserer modernen, von Hightech geprägten Welt als seien sie aus einem Kostümfilm entsprungen.
Wenn die Webers wo hin wollen, spannen sie die Pferde vor die Kutsche
Esther und Wesley Weber gehören zu einer solchen orthodoxen Gemeinde, den "Old Order House Mennoniten". Das Ehepaar lebt in einem abgelegenen Gehöft am Rand von St. Jacobs. Zu ihnen führt keine asphaltierte Straße. Wer zu den Webers möchte, muss über Bahngleise hinweg, dann scharf nach rechts auf einen Feldweg und entlang endloser Weizenfelder fahren.
Wenn die Webers irgendwo hin wollen, spannen sie die Pferde vor die Kutsche so wie ihre Urahnen es schon taten, die im 16. Jahrhundert aus der Schweiz geflohen sind. Die Mennoniten sind eine der ältesten evangelischen Freikirchen. Im Unterschied zu den meisten anderen Christen taufen die Mennoniten keine Kinder, sondern nur Jugendliche und Erwachsene, die sich bewusst für den Glauben entscheiden. Sie wurden deshalb verfolgt und als „Ketzer“ beschimpft. Sie wurden inhaftiert, vertrieben und getötet. Um dem zu entgehen, flohen die Vorfahren der Webers zunächst ins "gelobte Land, Amerika":
"Wir sind von der Schweiz aus in die USA gekommen. Dort lebten wir hunderte von Jahren, ehe wir nach Kanada gegangen sind. Ungefähr 1800. Also sind wir seit 200 Jahren hier. Wir haben nach Land geschaut."
Die Webers können zwar fließend Englisch, sprechen aber zuhause eine Sprache, die sich Pennsylvania Dutch nennt. Das klingt wie Schwäbisch mit englischen Wortfetzen. Das "Dutch", das Deutsche darin, stammt aus den Ursprungsgebieten der Mennoniten – aus Süddeutschland, der deutschsprachigen Schweiz und den Niederlanden, wo die die Gemeinde gegründet wurde – das Englische kam nach der Auswanderung in die USA dazu.
Mennoniten dienen einzig Gott
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Mennonitische Aussiedler© Peter Förster / dpa
Mennonitische Gemeinden sind für ihre pazifistische Gesinnung bekannt. Kriege und gewaltsame Auseinandersetzungen lehnen sie ab. Einem Land zu dienen, notfalls mit der Waffe in der Hand: Das ist für die Mehrheit der Mennoniten unmöglich. Sie dienen einzig Gott. Zu Zeiten des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges, als sie fürchten mussten, dass Männer und Jungen als Soldaten eingezogen würden, packten viele mennonitische Familien deshalb erneut ihr Hab und Gut und zogen von den USA weiter nach Kanada.
Um ihre Gewaltlosigkeit zu betonen, halten orthodoxe Mennoniten bis heute an traditionellen Symbolen fest. Wesley Weber trägt – wenn er ausgeht – neben Hut, Hemd und einfacher Hose stets seine Hosenträger. Da früher Waffen im Gürtel der Hose befestigt wurden, sind die Hosenträger ein Zeichen dafür, dass man unbewaffnet ist, ein Zeichen des Verzichts auf Revolver und Messer. Wesleys Frau Astor würde auch nie in Jeans oder Minirock schlüpfen, so wie die jungen modernen mennonitischen Mädchen St. Jacobs. Die Frauen des "Old Order House" tragen flache Schuhe, ihre Kleider reichen bis zum Boden, die Haube ist gestärkt und faltenfrei.
Die altertümliche Kleidung der orthodoxen Mennoniten passt zur pittoresken Kulisse von St. Jacobs. Es gibt einen Bahnhof mit zwei Gleisen, an dem zweimal am Tag ein Zug hält, eine alte Mühle, die zum Museum umfunktioniert wurde, ein paar Kirchen und hübsch gestrichene Holzhäuser. Hinter dem Dorf erstrecken sich Wiesen und Wälder.
Damit es keine Unfälle gibt, wenn die Jeeps über die Hauptstraßen brettern, warnen Schilder vor den langsamen Pferdekutschen der Mennoniten – von denen einige noch heute die Felder mit der Hand bestellen, weder Strom, Telefon, noch andere elektronische Geräte haben, sagt Dell:
"Manche Menschen machen sich lustig über orthodoxe Mennoniten, weil sie noch immer Pferdekutschen fahren, aber wir akzeptieren sie als sehr friedliche Menschen. Es gibt keine Drogen in ihrer Gemeinde, keine Kriminalität. Vielleicht sind manche genervt von ihren Pferdekutschen auf der Straße. Aber viele Einheimische wissen gar nicht richtig über Mennoniten Bescheid. Es ist wie bei anderen Gruppen auch. Erst wenn du sie kennenlernst, kannst du sie auch akzeptieren und verstehen."
Nicht ganz der Moderne verschlossen
Die "Old Order House" Mennoniten fallen auf. Wo immer sie auftreten, werden Fotoapparate gezückt, verdrehen Touristen die Köpfe. Doch auch wenn sie sich äußerlich ähneln, eine einheitliche Gemeinde bilden die traditionell lebenden Mennoniten nicht. Manche Gruppen lassen durchaus Elektrizität, Telefone oder maschinelle Hilfsmittel in der Landwirtschaft zu, andere, wie die Amish, schotten sich völlig ab, bleiben stets ganz unter sich, lehnen alles Moderne ab.
Auch wenn die Webers zum orthodoxen Spektrum gehören, verwurzelt in ihrer Gemeinde sind und nur dort ihre Freunde haben, haben sie sich trotzdem nicht ganz der Moderne verschlossen. Strom zum Beispiel nutzen sie, weil sie hauptsächlich vom Verkauf von Futtersilos leben, auch wenn sie sich als Bauern selbst vom Feld versorgen.
Auf seiner Farm schweißt Wesley Weber die Silos zusammen. Da die Webers kein Auto haben, holt ein Großhändler die fertige Ware ab. Von dem Einkommen wird gekauft, was notwendig ist. Dafür fahren die Webers mit der Kutsche zu einem Laden, der von anderen konservativen Mennoniten geführt wird. Es gibt keine Reklametafeln, Kreditkarten sind hier tabu – gerechnet wird im Kopf, das Geld kommt in eine Kasse von anno dazumal.
Im Laden gibt es handgemachte Bürsten, Seifen, Gummistiefel, Hüte und Hauben, Mehl, Zucker, Salz – alles für den einfachen alltäglichen Bedarf. Radios, Handys und Computer sind nicht zu sehen. So etwas käme den Webers auch nicht ins Haus.
"Hightech? Nein. Es gibt kein Fernsehen, kein Radio, keinen Computer. Wir haben keine Kamera. Wir dulden es nicht. Das gilt auch für die Jugend. Das Hightech-Alter, die Computer - die Jugend ist doch geplagt davon. Sie hätten diese Dinge zwar gern, aber wir halten sie davon fern. Wir dulden es nicht. Wir haben Regeln. Wenn jemand so etwas besitzt, dann muss er es abgeben – oder er darf nicht mehr am Abendmahl teilnehmen. Er ist dann kein Mitglied der Kirche mehr. Er macht sich zum Außenseiter Auch das Auto würde die Jugendlichen beeinflussen. Wenn wir uns als Gemeinschaft dazu entschließen würden, Autos zuzulassen – was hätte das für Folgen für die Jugend? Du kannst schnell hin und her."##
Versuchungen vermeiden
Die Versuchung auf Abwege zu geraten, sei für die Jugend groß, glaubt Wesley Weber. Doch vielleicht sind es gerade solche Abwege, weswegen Jugendliche der Gemeinschaft der Mennoniten verloren gehen. So war es auch schon früher. Die Versuchungen des modernen Lebens haben schon früher konservative Mennoniten gelockt.
Wie bei der Familie von Jenny Shantz. Jenny ist Mitte 40. Sie arbeitet in der Gemeinde von St. Jacobs. Ihr Sohn ist bereits erwachsen, reist gerne durch die Welt und verdient sein Geld mit Computermusik. Dass die Shantz heute modern sind, ist Jennys Opa zu verdanken. Er wollte unbedingt Pianist werden – doch Klaviermusik war in seiner orthodoxen Mennonitengemeinde verboten. Deshalb brach er als junger Mann aus der Gemeinde aus:
"Er wollte progressiver sein. Er wollte mehr von der Welt sehen. Das erste, was er machte: Er fuhr Auto. Und dann sagte er: Ich habe gegen die Regeln verstoßen, ich gehe freiwillig. Er erfüllte sich seinen Traum und kaufte vom ersten selbstverdienten Geld ein Klavier. Er zog eine ganze Familie an Musikern groß. Meine Mutter, alle seine Kinder sind Musiker. Zu seiner Zeit gab es eine ganze Bewegung von Menschen, die die alte Kirche verlassen haben. Radio, Autos, Fernsehen ... all das hat sie angezogen."
So wie Jenny Shantz´ Opa vor 70 Jahren Autos und Klaviermusik faszinierte, bleibt auch den orthodoxen Jugendlichen heute die andere Welt nicht verborgen. Wenn sie mit ihren Pferdekutschen durch die Dörfer und Städte fahren, sehen sie Reklametafeln, Einkaufszentren, Kinos und Gleichaltrige mit modernen Klamotten, Handys, oder schicken Mopeds. Das wissen auch die Webers:
"Das ist unsere Arbeit: Die Kinder erziehen. Das ist unsere Aufgabe. Wir müssen Vertrauen aufbauen."
"In dieser Zeit ist es nicht leicht, nach der Heiligen Schrift zu leben, so wie es uns beigebracht wurde. Und es wird härter und härter."
Die Jugend zu halten ist schwer
Die Versuchung, die Pferdkutsche gegen den Cadillac zu tauschen oder Harke und Sense gegen ein Computerterminal im bequemen Büro, ist groß. Um die Jugend zu halten, braucht es deshalb Überzeugungsarbeit, sagen die Webers. Bei ihren Kindern hat das gefruchtet. Beide Söhne sind Bauern geworden, leben in einer benachbarten orthodoxen Gemeinschaft und erziehen ihre Kinder so, wie es sich Wesley Weber wünscht. Kontrolle und das Lesen der alten religiösen Schriften sind dabei die Hauptprinzipien der konservativen mennonitischen Erziehung. Nie würden die Webers ihre Kinder in eine öffentliche kanadische Schule schicken:
"1966 haben wir unsere eigenen Schulen gegründet, denn die Regierung wollte uns in andere Schulen integrieren. Dort wurden aber Dinge gelehrt, von denen wir nichts wissen wollten. Über den Weltraum und über Sexualerziehung. Das wollen wir nicht. Und über die Evolution. Das wollen wir auch nicht. Denn das stimmt nicht mit unserer Schrift überein."
In Kanada sind Kinder bis 16 Jahren schulpflichtig. Demgegenüber ist nach den Regeln konservativer mennonitischer Gemeinden die Schulzeit beendet, wenn die Kinder 14 Jahre alt sind. Die kanadische Regierung drückt bei uns ein Auge zu, sagt Wesley Weber:
"Das Schulministerium hat gesagt: Solange wir unsere Kinder nicht arbeiten lassen, sind sie ruhig – aber sie halten die Augen auf. Sobald es eine Beschwerde gibt, müssen wir unsere Schulen wieder schließen. Also bleiben unsere Kinder im Alter von 14 bis 16 Jahren daheim. Der Grund, warum wir unsere Kinder nicht auf die Universitäten schicken: Unsere Kinder sollen Bauern sein. Sie lernen Rechtschaffenheit und Vater und Mutter zu ehren. Sie lernen mehr als aus Büchern."
Abtrünnige werden geschnitten und ignoriert
Talente werden bei den Orthodoxen nicht gefördert. Allen Kindern ist ein einfaches Landleben vorbestimmt. Wer davon träumt, Pianist zu werden, Designer oder Architekt, muss seine Träume entweder begraben oder ausscheren, wie es Jenny Shantz´ Opa getan hat. Doch das ist nicht leicht, denn Abtrünnige werden von der Gemeinschaft geschnitten und ignoriert, sagt Wesley Weber:
"Wenn er gesündigt hat, dann weiß er ja genau, was mit ihm passieren wird. Er kennt ja die Regeln der Gemeinde. Wenn sich jemand aus der Gemeinde ausschließt und immer noch in die Kirche kommt, dann muss er seinen Teller woanders hinstellen. Er darf nicht mit uns essen. Sobald er sich zu seinen Sünden bekennt und sie auf sich nimmt, gibt es Wege, ihn wieder aufzunehmen."
Wer nicht mehr von der eigenen Familie und den anderen Gemeindemitgliedern geschnitten werden will, muss bereit sein, erneut ein traditionelles einfaches Leben als Bauer zu führen. Ein Leben, in dem die Frau unter dem Mann steht und die Kinder nur bis sie 14 Jahre alt sind unterrichtet werden. Wer seine eigenen Ideen verwirklichen möchte - der muss ganz mit der Gemeinde brechen. Sogar die eigene Familie gehört dann der Vergangenheit an, weiß Dell Gingrich. Eine Rückkehr gibt es fast nie:
"Sie würden sich nicht mehr mit dir einlassen – ein Leben lang. Das ist ein einschneidender Schritt. Du brauchst die Unterstützung einer neuen Gemeinde oder neuer Freunde. Und du musst einen starken Willen haben. Mennoniten, die ihre Gemeinde verlassen, sind ja nicht in der modernen Gesellschaft groß geworden. Sie kennen das alles nicht. Es ist hart für sie da draußen. Sie haben keine Erfahrungen mit der modernen Welt."