"Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit" (3)

Alle lieben Lucy

Schädel von Primaten - ausgestellt im National Museum of Kenya.
Schädel von Primaten - ausgestellt im National Museum of Kenya. © Fanuel Adoli
Von Linda Staude · 08.08.2016
Das Skelett von Lucy wurde 1974 in Äthiopien entdeckt -es ist wohl das berühmteste Skelett der Welt. Fredrick Manthi von den Nationalmuseen Kenias erklärt, warum Ostafrika die wahre Wiege der Menschheit ist - und nicht etwa Südafrika, wie viele meinen.
Die berühmte Lucy, 3,2 Millionen Jahre alt. Der Paläoanthropologe Zeresenay Alemseged präsentiert das wohl bekannteste Fossil der Welt einem ebenso bekannten Gast: Barack Obama.
"Sie zeigt uns, dass alle sieben Milliarden Menschen verbunden sind, inklusive Donald Trump", scherzt der Wissenschaftler.
2015 war das, beim Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten in Addis Abeba. Das bisher letzte Mal, dass Lucy ihren sicheren Safe im Äthiopischen Nationalmuseum verlassen hat. Mindestens so schwer bewacht wie Obama selbst, damit den unersetzlichen Knochen nichts passiert.

Anlass für eine Party

"Die Menschen identifizieren sich mit ihr. Wenn neue Entdeckungen gemacht werden, heißt es: Sie sind älter als Lucy oder jünger als Lucy oder größer als Lucy", sagt Donald Johanson.
Der amerikanische Paläoanthropologe und sein Team haben Lucy im November 1974 entdeckt. Die Wissenschaftler hatten nach vielversprechenden Orten für Ausgrabungen gesucht und sind dabei eher zufällig auf Knochen gestoßen.
Johanson: "Es war nicht wirklich ein Zufall. Meine Expedition hat in Nordost-Äthiopien ja nach Fossilien von menschlichen Vorfahren gesucht. Dann haben wir ein Stück Armknochen gefunden, und das führte zu dem Skelett."
Ein Stück Schädel, der Teil eines Schenkels, ein paar Wirbel, Rippen und ein Stück des Beckens, alles von einem einzigen Lebewesen. Der aufregende Fund war Anlass für eine Party.

Beatles waren Inspiration für den Namen

Der Beatles-Song hat nicht nur für Stimmung im Camp gesorgt, sondern dem prosaisch bezeichneten Fossil AL 288-1 auch seinen Namen gegeben. Seine damalige Freundin hat das vorgeschlagen, erinnert sich Donald Johanson.
"Ich habe gedacht: Oh Gott, ich habe gerade meinen Doktor an der Uni von Chicago gemacht. Wir brauchen einen hochanspruchsvollen Namen. Den hat sie auch gekriegt: Australopithecus afarensis, nach der Afar-Region. Aber von Lucy gab’s kein Zurück mehr."
Der Wind treibt Staub über die ausgedörrte Wüstenlandschaft. Hier und dort stehen ein paar verkümmerte Bäume, dornige Büsche, trockenes Gras.
Die Afar-Region, in der Lucy gefunden wurde, ist eine der heißesten Gegenden der Welt, unwirtlich und schwer zu erreichen. Hier beginnt das sogenannte Rift Valley, der Ostafrikanische Grabenbruch, ein Paradies für Fossilienjäger.

Ostafrika ist wahre Wiege der Menschheit

"In dem Bruch herrschen Umweltbedingungen, die das Entstehen von Fossilien aus Knochen fördern. Und die Seen hier haben eine fruchtbare Umwelt für die frühen Menschen geschaffen. Unsere Fossilien von Hominiden sind bis zu sieben Millionen Jahre alt. Die von frühen Menschenaffen gehen bis zu 20 Millionen Jahre zurück", erklärt Fredrick Manthi von den Nationalmuseen Kenias.
Der Paläontologe betont stolz, dass Ostafrika damit die wahre Wiege der Menschheit ist. Und nicht Südafrika, wie manche behaupten. Ein bisschen Nationalstolz ist dabei, wenn er klarstellt, dass die meisten früh- und vormenschlichen Fossilien tatsächlich aus Kenia stammen.
"Kenia hat wunderbare Fossilien. Wir haben den berühmten Turkana-Boy. Er ist eines der vollständigsten Skelette, die auf der Welt gefunden wurden. Wir haben so viel von ihm gelernt: Wie sich die Spezies Homo Erectus entwickelt und wie sie sich zum Homo Sapiens weiterentwickelt hat."
Fossilien eines Krokodils. Lucy ist vermutlich einem zum Opfer gefallen.
Fossilien eines Krokodils. Lucy ist vermutlich einem zum Opfer gefallen.© Fanuel Adoli
Turkana-Boy ist knapp halb so alt wie Lucy, ein ganzes Stück weiter in der menschlichen Evolutionsgeschichte. Mittlerweile sind in Äthiopien auch ältere Fossilien entdeckt worden. Ardi zum Beispiel, kurz für Ardipithecus, ist 4,4 Millionen Jahre alt. Oder der Sensationsfund von Zeresenay Alemseged:
"Selam ist das Skelett eines dreijährigen Mädchens, das vor 3,3 Millionen Jahren gelebt hat. Sie ist das früheste und vollständigste jugendliche Exemplar eines menschlichen Vorfahren, das je gefunden wurde. Ein phantastisches Stück unserer langen Geschichte."
Selam ist zwar runde 150.000 Jahre vor Lucy gestorben, gehört aber zur selben Spezies. Und ist deshalb besser bekannt als Lucys Kind. Lucy ist eben berühmter als jede wissenschaftlich noch so bedeutsame Neuentdeckung. Zumindest bisher. Ein Fund könnte ihr vielleicht eines Tages den Rang ablaufen: Der sogenannte Missing Link.

Fleißige Suche nach Missing Link

Fredrick Manthi: "Alle Forscher auf der Welt und besonders in Ostafrika arbeiten hart, um den Missing Link zu finden. Das wäre wirklich eine Schlüssel-Entdeckung."
Das fehlende Bindeglied zwischen Affe und Mensch bleibt bisher unentdeckt und Lucy damit der Star. Vielleicht liegt es am Namen.
Liebevoll und leicht zu benutzen, sagt ihr Entdecker Donald Johanson. Und irgendwie passend für das gerade einmal einen guten Meter große Skelett.
Nachbildungen und Rekonstruktionen können Fans in einer ganzen Reihe von Museen weltweit bewundern. Um die vielen kleinen Stücke des Original-Fossils zu sehen und sogar anzufassen, muss man allerdings schon amerikanischer Präsident sein.

Wie und wo hat sich die Menschheit entwickelt, wer waren unsere Vorfahren und wie haben sie gelebt? - Diesen Fragen gehen wir nach in unserer Sommerreihe "Reisen zu den Ursprüngen der Menschheit".

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