Reisebericht

Eine Nacht in der Grabeskirche

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Der Journalist und Buchautor Wolfgang Büscher im Studio von Deutschlandradio Kultur © Foto: DRadio, Maurice Wojach
Moderation: Liane von Billerbeck · 28.11.2014
In Jerusalem ballen sich die Weltkonflikte. Der Autor Wolfgang Büscher hat zwei Monate in der Stadt der Religionen gelebt. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen - und erzählt, warum er sich eine Nacht in der Grabeskirche einschließen ließ.
Liane von Billerbeck: Wolfgang Büscher hat einen Traumberuf: Er ist Reiseschriftsteller – und ein so guter, dass er wahrscheinlich inzwischen nur auf einen Punkt der Weltkarte zeigen müsste und jeder Verlag würde sagen: Fahren Sie! Vielleicht, nein, bestimmt haben Sie eines seiner Bücher gelesen: "Drei Stunden null", "Berlin – Moskau", "Deutschland, eine Reise" oder "Heartland". Büscher hat zahlreiche Preise bekommen. Und heute erscheint nun sein neues Buch, das ganz sicher eine Lesergemeinde finden wird – und der Ausdruck „Gemeinde“, der war jetzt kein Zufall: "Ein Frühling in Jerusalem" heißt es, ein Reisebericht in das Herz einer Stadt, in der er zwei Monate gelebt hat. Gestern war Wolfgang Büscher mein Gast, und ich habe ihn gefragt: Es gibt ja diesen Ruf, den jeder Jude kennt, nächstes Jahr in Jerusalem, und auch jeder Nicht-Jude kann gute Gründe haben, in die heilige Stadt zu reisen. Was war es, das Sie da hingezogen hat?
Wolfgang Büscher: Ja, also ich bin in den letzten 10, 20 Jahren immer mal kurz da gewesen und es verfestigte sich die Idee: Da musst du mal länger hin, und da willst du mal leben und nicht nur mal kurz vorbeigehen. Und deswegen, als ich drüber nachdachte, das zu tun, war auch klar: So, wie ich es in den bisherigen Büchern gemacht habe – wandern, große Strecken, über ein paar 1000 Kilometer – kommt hier einfach nicht infrage. Also es wäre sozusagen eine Unverschämtheit gegenüber Jerusalem, da einfach mal kurz vorbeizuwandern, und es wäre auch eine große Dummheit, weil einen so hochkonzentrierten Ort voller Geschichte, voller Religion und auch voller Geschichten findet man selten sonst auf der Erde.
von Billerbeck: Nun ist das eine Stadt, die jedes Jahr zehntausende, hunderttausende Touristen anzieht, mit dem Tempelberg, mit der Grabeskirche, dem Ölberg, dem Kidrontal, der Via Dolorosa, aber sie öffnet sich nicht jedem. Sie kann sich auch verhalten wie die Andenkenverkäufer in der Altstadt, Sie haben das auch sehr genau beschrieben in Ihrem Buch. Und bei Ihnen lese ich aber eine Danksagung, nicht die übliche, sondern diese: "Vor allem danke ich Jerusalem", steht da, "es mag seltsam sein, eine Stadt anzusprechen wie eine Person, aber nach einer gewissen Zeit des Zögerns und der Prüfung hatte ich das bestimmte Gefühl, Jerusalem habe sich entschieden, sich mir zu zeigen." Was haben Sie angestellt, dass die Stadt Ihnen ihr Herz geöffnet hat?
Die Jerusalemer Oberschicht verlässt die Stadt
Büscher: Ich habe gar nichts Besonderes angestellt. Ich war einfach nur da, und ich hatte das Glück, weitergereicht zu werden. Am Anfang habe ich in einer sehr kalten Steinkammer gehaust, in einem Hostel am Jaffator, und dann hatte ich die Möglichkeit, in ein kleines Haus zu ziehen in einem griechisch-orthodoxen Konvent im christlichen Viertel, und das war dieser Punkt, wo ich dann nicht mehr nur der Besucher war, sondern der Bewohner wurde und in dieses Viertel eingesunken bin bis zu einem gewissen Grad. Ich würde nicht sagen, ich kenne das jetzt alles, das wäre vollkommen übertrieben. Aber ich denke doch, dass ich ein bisschen tiefer eingesunken bin, als ich das am Anfang war.
von Billerbeck: Interessant fand ich: In mehreren Gesprächen, die Sie schildern, gibt es immer wieder so einen melancholischen Unterton, der in eine scheinbar noch gar nicht so lange zurückliegende Vergangenheit weist, als Jerusalem noch anders gewesen ist. Da sagt zum Beispiel ein Armenier, den Sie öfter getroffen haben – und das sind sehr schöne Begegnungen: "There is no joy in this city", keine Freude in der Stadt. Wann hat das aufgehört?
Büscher: Dieser Mann ist ein Spross oder ein Angehöriger der alten Jerusalemer Oberschicht, Elite, und die alte Jerusalemer Elite war schon sehr stark christlich geprägt. Sie war auch muslimisch geprägt, sie war auch jüdisch geprägt. Und noch in der britischen Mandatszeit, also bis Mitte der 1940er Jahre, waren die höheren Positionen, Justiz und Verwaltung, das waren oft Christen, und auch die großen Händlerdynastien der Stadt, die großen Familien, das waren auch eben oft christliche Familien. Und diese alte, christlich geprägte Elite Jerusalems, die ist in dieser Position nicht mehr. Und dieser Armenier verkörpert das, also der verkörpert diese Melancholie der abgesunkenen alten Jerusalemer Oberschicht. Es gibt einen konstanten Exodus. Wenn Sie durchs armenische Viertel oder durchs christliche, also orthodox-katholische Viertel gehen, treffen Sie eine Menge älterer Leute und die erzählen Ihnen eigentlich immer die gleiche Geschichte, mein Sohn, meine Tochter hat nach Holland geheiratet, hat nach Amerika geheiratet, ist nach Europa gegangen, weil diese jungen Leute keine Perspektiven sehen für sich.
Davidszitadelle, Kultur in Zeiten des Krieges - Jerusalem lädt zum größten Architekturevent
Auch ein Touristenmagnet: Die Davidszitadelle in der Altstadt Jerusalems.© Deutschlandradio Kultur / Philipp Eins
von Billerbeck: Man kann nicht über Jerusalem sprechen, ohne über das zu sprechen, was mitten im Kern liegt, also die Grabeskirche, die Klagemauer, den Tempelberg mitten in der Altstadt, und Sie schreiben da: "Grabeskirche und Tempelberg – nichts wäre Jerusalem ohne dieses Magnetfeld." Der Verlag hat in den Werbetext geschrieben, dass Sie sich eine Nacht in der Grabeskirche haben einschließen lassen, und als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Das hätte ich mich nicht getraut. Und ich musste dann sehr lachen, als in Ihrem Buch genau eine Begegnung geschildert wird, wo Sie, ich glaube, einen Amerikaner treffen und der sagt genau das Gleiche: "Das hätte ich mich nicht getraut." Warum haben Sie sich das getraut und wie war das?
Büscher: Also ich habe mich das gar nicht so sehr getraut, ich habe es mir sehr gewünscht eigentlich. Sie müssen sich das so vorstellen: Tagsüber ist die ganze Altstadt von Jerusalem und eben auch die Grabeskirche ein einziger Zustand von sich voranschiebenden Menschengruppen und jedwede Stimmung von Besinnung oder überhaupt nur Wahrnehmung, wo bin ich hier, kann – jedenfalls bei mir – da schwer aufkommen. Und ich habe mir das sehr gewünscht, eine Nacht mit der Grabeskirche mal allein zu sein und habe mich dann an die Franziskaner gewandt, die da eines ihrer Klöster haben in der Grabeskirche, und der Obere hat gesagt: Ja, ja, klar, bringen Sie nur ordentlich dicke Jacken mit, weil nachts wird es saukalt hier drin, und bringen Sie was zu essen mit. Und er hat mir dann nicht getraut und hat mir dann noch aus seinem Refektorium eine Plastiktüte voll Sandwiches und Wasser und Obst in die Hand gedrückt und meine Jacke sehr skeptisch begutachtet.
Und um sieben Uhr - es gibt ja nach altem Status Quo diese beiden muslimischen Familien, die das Recht haben, die Grabeskirche auf- und zuzuschließen: Die haben die Schlüsselgewalt, im wirklichen Sinne. Das heißt, da kommt jemand abends um sieben, steigt auf sein Leiterchen, holt einen Riesenschlüssel, steckt den in das uralte Schloss und schließt von außen zu, und morgens um sieben kommt er wieder und schließt auf. Dazwischen ist Schluss: Es kommt keiner raus, keiner rein. Es wird dann ganz still. Man kommt endlich in den Moment, in die Situation, dazusitzen und sich das alles anzuschauen und darüber nachzudenken: Wo bin ich hier und was ist das hier alles? Also ich sitze auf einer Holzbank und schaue auf diese kleine Grabeskapelle, also wie beim Russische-Puppen-Prinzip, Kapelle in der Kapelle, die nichts anderes beinhaltet als das leere Grab, also als den letztlichen Grund dafür, dass es ein Christentum gibt.
"Wäre Jerusalem eine Bombe, der Tempelberg wäre ihr Zünder"
von Billerbeck: Ich nehme an, viele Menschen werden Sie beneiden um diesen stillen Moment in der Grabeskirche, denn ansonsten ist ja dort der Ansturm von Besuchern angesagt, die alle versuchen, den Moment fotografisch festzuhalten. Sie sagen ja, es muss irgendwo eine Fotohölle geben mit all diesen Fotos, die vor der Grabeskirche gemacht werden.
Büscher: Die Leute sind verrückt, dieses Fotografieren ist einfach irre. Ich weiß nicht, was die da auf ihren Fotos alles sehen wollen. Es ist ein Geknipse, dass man die Krise kriegt.
von Billerbeck: Mitten in der Altstadt steht auch eigentlich der Grund für viele, nach Jerusalem zu kommen, also nicht bloß die Klagemauer, sondern der Tempelberg, und bei Ihnen steht da ein Satz in einem Kapitel, das die Überschrift hat "Der Zünder", und Sie schreiben, da "wäre Jerusalem eine Bombe, der Tempelberg wäre ihr Zünder". Und man hat es ja erlebt, als Ariel Scharon 2000 den Tempelberg betreten hat, den die Juden ja nicht betreten dürfen, der wird von Moslems verwaltet: Damals hat er die Zweite Intifada damit ausgelöst. Wie haben Sie diesen Zünder erlebt?
Büscher: Ich bin mehrfach oben gewesen auf dem Tempelberg. Es ist ja seit diesem Ariel-Scharon-Spaziergang und dem anschließenden Palästinenser-Aufstand Nicht-Moslems generell verboten, die Al-Aqsa-Moschee zu betreten und den Felsendom zu betreten. Ich habe dann doch einen Weg gefunden. Und es war eigentlich kaum ein Tag, an dem es nicht da oben geknistert hat, und im Extremfall es auch zu Steinwürfen und so weiter kam. Es gibt halt Leute inzwischen – und das sind nicht mehr ganz so wenige –, die die Vorstellung haben: Den Tempelberg müssen wir wiederkriegen. Und die Welt, wie sie heute ist, ist eine dermaßen - jedenfalls in Jerusalem - dermaßen angespannte, dass jeder winzige Schritt, der den bestehenden Status Quo verändern will, sofort eine irrsinnige Reaktion auslöst. Es ist der Zünder, und die Ereignisse geben dieser kleinen Prognose ja in gewisser Weise auch recht, die jüngsten Ereignisse.
von Billerbeck: Jetzt waren Sie zwei Monate in Jerusalem, haben dort gelebt, mit vielen Menschen gesprochen und viele Erlebnisse auch gehabt, die wir in dem Buch nachlesen können. Haben Sie etwas gelernt über Jerusalem, das Ihnen jetzt hilft, diese Stadt besser zu verstehen?
Büscher: Was mir vorher nicht in der Schärfe klar war, ist der Exodus der Christen aus Jerusalem, also aus der Altstadt von Jerusalem, um immer präzise zu sein. Das ist auch der Hintergrund für diese Melancholie der alten Familien oder der Söhne und Töchter der alten Familien. Ein deutscher Benediktinermönch, den ich immer mal wieder besucht habe, der sagte das so, er sagte: Ich bin jetzt seit zwölf Jahren hier, und ich habe die Zweite Intifada erlebt, und das war die Zeit, da haben sich noch nicht mal die abenteuerlustigsten Rucksacktouristen mehr hierher getraut, da war die Stadt wirklich leer. Und da haben wir Christen gesehen, wie Wenige wir hier nur noch sind. Und es hat ja immer mal Rivalitäten gegeben zwischen Orthodoxen und Katholiken, Armeniern und hin und her, und Grabeskirche, man kennt solche Szenen. Und er sagte: Seitdem hat sich das Verhältnis verändert. Wir haben alle gesehen, wie Wenige wir hier sind, und diese Spannungen, die es unter den Religionen gab, sind – sagt er – seitdem deutlich schwächer.
von Billerbeck: Wolfgang Büscher war mein Gast. Am heutigen Freitaga erscheint bei Rowohlt sein Buch "Ein Frühling in Jerusalem".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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