Reihe über soziale Gerechtigkeit

Wie eine Friseursalon-Besitzerin unter zu hohen Abgaben leidet

Friseurmeisterin Claire Lachky
Friseurmeisterin Claire Lachky hat auch mit billiger Konkurrenz zu kämpfen. © A. Schönharting
Von Kai Adler · 01.09.2017
Die Berliner Friseurin Claire Lachky mit eigenem Salon leidet unter exorbitant gestiegenen Gewerbemieten, billiger Konkurrenz und fehlendem Nachwuchs. Für sie sind die Abgaben viel zu hoch. Von der Politik erhofft sie sich allerdings wenig.
Die Szenecafés in der Berliner Kastanienallee werben mit grünen Smoothies oder veganen Muffins, Touristen und Hipster flanieren hier gerne auf und ab. Sehen und gesehen werden. Mittendrin: Der Friseursalon Vokuhila. Der Name ist eine ironische Replik an einen Haarschnitt der 80er-Jahre, auch der orange-weiße Schriftzug über dem großen Straßenfenster erinnert an jene Zeit.
Claire: "Im Jahr 2000 haben wir den Laden hier übernommen, von Coiffeur Rungenhagen. Wir haben das so übernommen. Also Schränke aus Sprelacart, ein Holzimitat ist das, mit Messing. Wir haben dann abgestaubt und die Trockenblumen rausgenommen."
Claire Lachky ist Mitte 20 und hat gerade ihren Meisterbrief in der Tasche, als sie sich mithilfe eines Privatdarlehens und dank Unterstützung ihrer Eltern selbständig macht. Ein Risiko. In der Straße, in der sie bis heute Haare schneidet und die sie inzwischen flapsig Castingallee nennt, lebten damals noch ganz andere Menschen.
Claire: "Diese alten Ostberliner sind eigentlich komplett weggezogen. Die Sache ist natürlich, klar, wo die Nachfrage ist, steigt der Preis. Und so wurde es auch zunehmend teurer, so auch unser Geschäft. Was jetzt das Spielerische vom Anfang in 'nen ganz anderen Kontext rückte."

"Freibrief für Schwarzarbeit"

In den ersten Jahren zahlte sie acht Mark pro Quadratmeter Miete, heute sind es 35 Euro. Für benachbarte Geschäfte hat sich die Miete sogar vervielfacht - Gewerbemieten sind frei verhandelbar, niemand schützt kleine Unternehmer vor überteuerten Forderungen. Besonders die Kreativen, die die Straße einst zu dem machten, wofür sie heute steht, mussten zunehmend zahlungskräftigeren Betreibern weichen.
Claire: "Man muss gucken, was sind Kosten, die man beeinflussen kann. Die Miete kann man nicht beeinflussen, die Betriebskosten sind steigend. Ich musste mich wirklich mit Betriebswirtschaft auseinandersetzen, und mit Kostenminuten und Kalkulation und habe hier auch ausschließlich Meister beschäftigt und bilde auch aus, das kostet sehr viel Geld. Wenn man das alles deckeln will, ist es sehr anspruchsvoll geworden."

Soziale Gerechtigkeit hat sich die SPD in diesem Wahlkampf ganz groß auf die Fahnen geschrieben. Aber auch alle anderen Parteien wollen mit dem Thema punkten und Wähler gewinnen. Wir fragen in unserer Reihe "Ist unsere Gesellschaft wirklich ungerecht?" - und stellen Menschen vor, die eigentlich alles richtig machen, aber dennoch auf keinen grünen Zweig kommen.


Zwischen 53-60 Euro kostet der Haarschnitt hier, keine fünf Gehminuten von ihrem Salon entfernt gibt es sechs Billiganbieter, bei denen das Haareschneiden ein Drittel dessen kostet. Doch Claire Lachky setzt auf Qualität. Die Friseurmeisterin fürchtet den Niedergang ihres Handwerks.
Claire: "Bei den Friseuren gibt es drei Jahre Ausbildung, dann gibt es die Meisterprüfung, der große Befähigungsnachweis und das hat eigentlich auch den Hintergrund, dass die Qualität stimmt. Dass sich nicht jeder selbständig machen kann. Das haben sie aber untergraben mit den Kleinstgewerben, da kann sich jeder selbständig machen, der unter 17.500 Euro Jahresumsatz verdient. Wenn man mal ausrechnet, was das im Monat ist, wenn man seine Krankenversicherung und seine Rentenversicherung selber stemmen muss. Das ist schon der Freibrief für Schwarzarbeit."

"Es bleibt einfach immer weniger übrig"

Claire Lachky mischt eine Farbe an, die sie auf den dunklen Schopf einer Kundin aufträgt. Zweimal musste sie schon länger pausieren - wie viele ihrer Kolleginnen hatte sie berufsbedingte Gesundheitsprobleme. Ihre Meisterausbildung hat die Unternehmerin aus eigener Tasche gezahlt, rund 5000 Euro kostet das. Ihren Angestellten bietet sie regelmäßige Fortbildungen und entlohnt überdurchschnittlich.
Das Gehalt eines ausgebildeten Friseurs liegt selten über dem Mindeststundenlohn von 8,84 Euro. Altersarmut ist dabei programmiert. Für diejenigen, die das Handwerk erlernen möchten, sieht es noch problematischer aus: 265 Euro Ausbildungsvergütung werden einem Azubi in Berlin im ersten Lehrjahr gezahlt, viele Salons liegen noch darunter. Ein Maurerlehrling bekommt im ersten Ausbildungsjahr auf knapp 1000 Euro monatlich.
Claire: "Ich war vor zwei Wochen auf einem Managerkongress, wo ich mit 50 selbständigen Friseuren saß, wo sehr viel Frust auch bei langjährigen Kollegen entstanden ist, die sehr, sehr abgegessen wirkten. Aufgrund dieser Personalsituation. Man bewirbt sich als Unternehmen mittlerweile um Bewerber und nicht umgekehrt."

Wenig Hoffnung auf die Politik

Im vergangenen Jahr startete Verdi eine Kampagne, um die Situation für Friseurlehrlinge zu verbessern. Deren Zahl ist in Berlin im vergangenen Jahr um die Hälfte zurück gegangen. Auch Claire Lachky hat damit zu kämpfen, gerade musste sie ihre Mitarbeiterzahl um vier reduzieren. Um ihr Handwerk, für das sie bis heute brennt, zu bewahren, wünscht sie sich vor allem eine finanzielle Entlastung bei den Abgaben.
Claire: "Ich würde mir einfach wünschen, dass bei den Mitarbeitern am Ende des Tages mehr in der Tasche übrig bleibt und dass die Progression ein bisschen später einsetzt und dass ein bisschen weniger Abgaben sind bei den Niedrigverdienern. Es bleibt einfach immer weniger übrig und das finde ich schwierig."
Welche Partei sie am ehesten unterstützt und ob ihre Erfahrungen als Unternehmerin sie in ihrem Wahlverhalten beeinflusst? Sie überlegt kurz. Nein, sie verlasse sich vor allem auf sich selbst, von der Politik erhofft sie sich wenig.
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