Reifenabrieb bei Autos

Wo bleibt eigentlich das abgefahrene Gummi?

Bremsspuren auf einer Strasse
Ob Reifenabrieb gefährlich für die Umwelt ist, können Wissenschaftler noch nicht einschätzen. © Rene Traut / imago stock&people
Von Stephanie Kowalewski · 10.04.2018
Über 100.000 Tonnen Reifenabrieb landen pro Jahr auf deutschen Straßen und gelangen von dort über die Kanalisation in Flüsse oder ins Erdreich. Welche Folgen hat das für die Umwelt? Die Forschung dazu steht noch ziemlich am Anfang.
Spätestens beim Wechsel von Winter- auf Sommerreifen – und umgekehrt – fällt vielen Autofahrern auf, dass ihre Reifen nur noch wenig Profil haben. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes abgefahren, sagt der Diplom-Ingenieur Ralf Bertling vom Fraunhofer Institut Umsicht in Oberhausen.
"Man sagt, dass ein Reifen innerhalb seines Lebens, das sind so drei bis vier Jahre, bei einer Jahreszahl von 15.000 Kilometern im Schnitt 1,5 Kilogramm an Gewicht verliert. Also für einen Satz Reifen für den PKW runter gerechnet wären das sechs Kilogramm innerhalb von vier Jahren."
Das summiert sich allein in Deutschland auf schätzungsweise 80.000 bis 110.000 Tonnen Reifenabrieb. Jedes Jahr. Sichtbar an den schwarzen Streifen auf der Straße, die beim Bremsen oder zu rasantem Anfahren entstehen.

Studien gibt es bislang keine

Der weitaus größte Teil des Abriebs liegt jedoch kaum sichtbar als Feinstaub auf Straßen und Pflanzen.
"So Herr Bertling, wir sitzen jetzt in ihrem Auto."
"Wir fahren jetzt gerade mal hier rechts rum."
"Und genau dabei passiert es."
"Richtig, da passierst. Zwangsläufig, wenn die Reifen Kontakt zur Straße haben, wird Reifenabrieb erzeugt."
"Was landet da eigentlich vom Reifen auf der Straße?"
"Also der Abrieb besteht nicht nur aus Kunststoffen. Reifenabrieb wird im Moment zwar mit Mikroplastik in Verbindung gebracht, aber ein Reifen ist ein Vielstoffgemisch. Er besteht aus Naturkautschuk, aus Synthesekautschuk, es wird noch ein bisschen Chemie zugegeben. Zink wird zum Beispiel zugegeben, Metalle sind drin. Wenn wir Niederschläge haben, dann wird dieser Reifenabrieb abgespült. Innerhalb von Ortschaften geht das dann meist über die Gullys in die Kanalisation. Außerhalb von Ortschaften, auf der Autobahn zum Beispiel, da läuft der Reifenabrieb ab und versickert im Erdreich."
"Und dann?"
"Ja. Das ist weitestgehend unbekannt."
Wie fast alles, was mit dem Reifenabrieb zu tun hat. Obwohl das Thema schon länger bekannt ist, gibt es bisher keine Studien zu Mengen oder Verbreitungswegen des abgefahrenen Gummis.
15 Kilometer entfernt vom Fraunhofer Institut Umsicht – an der Uni Duisburg-Essen – treffe ich Bernd Sures. Der Professor für Aquatische Ökologie steht im weißen Kittel neben dem Doktoranden Gerhard Schärzinger im Labor.
"Welche Probe haben wir gerade in der Analyse? Ja, wir haben gerade Sedimentproben in der Analyse, die unterhalb eines Regenabsetzbeckens an der A 40 genommen wurden. Und wir schauen jetzt gerade nach verschiedenen Metallgehalten wie Cadmium, Blei, Zink, Kupfer."

An der Autobahn ist die Schadstoffkonzentration besonders hoch

In den sogenannten Absetzbecken nahe den Autobahnen landet das Regenwasser samt dem Straßenstaub und den gröberen Abriebpartikeln. In dem stehenden Gewässer setzen sich die Schmutzpartikel nach und nach am Boden ab. Erst danach fließt dann das bereits weniger belastete Wasser weiter in Bäche und Flüsse.
"Wir konnten schon feststellen, dass direkt nach den Absatzbecken in den Sedimenten die Konzentrationen höher sind und dann mit zunehmender Distanz zum Absatzbecken die Konzentrationen immer weiter abnehmen.
"Aber direkt an der Einleitstelle sieht man eben leicht erhöhte Gehalte zum Beispiel an Zink, was dann typischerweise aus dem Reifen kommen würde?"
"Ja, genau."
Die Wissenschaftler untersuchen, was der verkehrsbedingte Feinstaub bei Tieren und Organsimen verursacht, die in benachbarten Gewässern – und zu Forschungszwecken auch im Keller der Uni – leben.
"So, hier haben wir jetzt verschiedene Tiere, mit denen wir arbeiten. Zum einen Fische, die wir benutzen für die Frage der Giftigkeit von solchen Straßenabwässern. Zum anderen auch Krebse und Muscheln, auch Schnecken – die sind dann hier in diesen Aquarien untergebracht."
In diesen Tieren haben die Forscher tatsächlich metallische Rückstände aus dem Straßenstaub nachgewiesen – Cadmium, Kupfer und Zink zum Beispiel, das bei der Vulkanisierung der Autoreifen eingesetzt wird.
"Aber ob das jetzt tatsächlich ein Problem darstellt oder nicht, das kann ihnen keiner sagen."
"Im Moment noch nicht."
"Im Moment noch nicht. Also das sind alles Dinge, an denen in der Zukunft weiter geforscht werden müsste, um hier ein klares Bild zu bekommen, welche Bedeutung Reifenabrieb und die Elemente aus dem Reifenabrieb für Organsimen haben. Also an der Stelle würde ich als Wissenschaftler sagen, wir stehen noch vor einer großen Frage und vor einem Datendefizit."

Ist der Abrieb gefährlich für die Umwelt?

Genau diesem Datendefizit wollen die Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts Umsicht in Oberhausen jetzt zu Leibe rücken, wie Ralf Bertling und Leandra Hamann erklären.
"Unser Projekt heißt TyreWearMapping. Tyrewear heißt Reifenabrieb und Mapping heißt im Grunde Kartierung. Und in diesem Projekt beschäftigen wir uns mit Freisetzung, mit Ausbreitung und Verteilung von Reifenabrieb. Wir wollen schauen, wo tritt vermehrt Reifenabrieb auf. Was uns sehr interessiert, was wir wirklich nicht genau einschätzen können, ist der Unterschied zwischen innerstädtischem- und außerstädtischem Verkehr. Es ist zwar so, dass in der Stadt langsamer gefahren wird, aber man hat mehrere Brems- und Beschleunigungsvorgänge."
"Oder auch: gibt es mehr Reifenabrieb, wenn es trocken ist, oder wenn es kalt ist, oder nass oder was auch immer. Man kann natürlich, wenn man rausfindet, dass es einen Hotspot in der Innenstadt gibt, da Filter einsetzt und Wasserreinigungsanlagen, auch rein regulatorische Maßnahmen, dass man zum Beispiel ein Tempolimit einrichtet. Auch das könnte zu einer Reduzierung von Reifenabrieb führen."
Die Wissenschaftler werten dazu Mobilitäts-, Geo- und Wetterdaten aus und gleichen sie mit Luft- und Wasserproben von zwei exemplarischen Stellen in NRW und Berlin ab. Sie erhoffen sich davon einige wichtige Antworten auf die vielen offenen Fragen. Zum Beispiel ob – und wenn ja, in welchem Maße – der Reifenabrieb gefährlich für Umwelt, Mensch und Tier ist. Das lässt sich derzeit nämlich schlicht nicht sagen, bedauert Ralf Bertling.
"Also das Thema ist in jedem Fall wert, gründlich untersucht zu werden, allein schon durch die Mengen. Wenn wir die Zusammenhänge kennen, was gelangt von der Straße in die Luft, in den Boden und in die Gewässer, dann kann ich ihnen sicherlich auch in zwei, drei Jahren eine konkrete Aussage dazu machen."
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