Reiche philosophische Denkanregungen

01.03.2011
Ronald Dworkin ist einer der herausragenden Philosophen, dessen Arbeiten zum Egalitarismus nur noch durch von John Rawls übertroffen werden. Mit "Was ist Gleichheit?" liegen nun die zentralen Texte Dworkins erstmals in deutscher Sprache vor.
"Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher", so brachte George Orwell 1945 in seiner "Farm der Tiere" die zynische Tatsache auf den Punkt, dass auch die politisch ehrgeizigsten Gleichheits-Ideale sich in der Realität nur schwer durchhalten lassen. Orwells Roman war eine Parabel gegen den sowjetischen Kommunismus, und heute wie damals führt in weiten Teilen der liberalen angelsächsischen Denk- und Politiktradition das Schreckgespenst "Sozialismus" zu einer schwer überwindbaren Skepsis gegenüber dem politischen Ideal der Gleichheit.

Eine namhafte Ausnahme bildet da der Philosoph und Rechtswissenschaftler Ronald Dworkin, dessen Denken sich seit Jahren immer wieder positiv um eben dieses Ideal dreht. In dem nun auf Deutsch vorliegenden Band "Was ist Gleichheit?" unterscheidet Dworkin zunächst in zwei umfangreichen Kapiteln zwischen "Wohlergehensgleichheit" und "Ressourcengleichheit". Er versucht zu zeigen, dass nur letztere ein sinnvolles politisches Konzept sein kann. Erstere, welche eine Gleichheit im Wohlergehen aller Menschen einfordert, scheitert schon allein daran, dass Individuen unterschiedliche Präferenzen haben: Für jeden bedeutet "Wohlergehen" etwas anderes, also ist es politisch nicht herstellbar.

Ressourcengleichheit hält Dworkin dagegen für die richtige Lösung des Gleichheitsproblems: eine gesellschaftliche Umverteilung der vorhandenen Ressourcen, bis alle von den gleichen Mitteln ausgehen können. Dass dann nicht alle Individuen diese Ressourcen gleich geschickt nutzen oder damit das gleiche Level an Zufriedenheit erlangen, ist unbestreitbar, aber für eine gerechte Gesellschaft ist das Dworkin zufolge auch gar nicht nötig. Wichtig ist vor allem die Gleichheit des Ausgangspunktes.

Einen zentralen Punkt behandelt das dritte Kapitel. Dort zeigt Dworkin: Der in der politischen Debatte immer wieder aufgebauschte Gegensatz zwischen Freiheit und Gleichheit, wie man ihn etwa im polemischen Systemstreit zwischen "freier Marktwirtschaft" und "Sozialstaat" findet, ist ein Scheinproblem. Freiheit und Gleichheit sind nicht Begriffe, die unterschiedliche Zustände beschreiben, sondern politische Ideale, die einander wechselseitig bedingen. Ressourcengleichheit ist die Grundlage, auf der sich die individuelle Freiheit erst verwirklich kann. Und umgekehrt macht erst die grundsätzliche Vorannahme, dass sich Individuen frei entfalten können und wollen, die Idee einer gleichen Ressourcenverteilung sinnvoll.

Dworkins Aufsätze bewegen sich durchgehend auf hohem argumentatorischem Niveau. Der Philosoph und Rechtswissenschaftler geht überall eingehend auf alle denkbaren Einwände und Gegenargumente ein und bietet damit reiche philosophische Denkanregungen. Leider bleibt er aber auch dann auf dem gewählten abstrakten Niveau, wo es geradezu geboten scheint, auf konkrete Anwendungsgebiete der Theorie einzugehen. So bringt er sich damit selbst um die breite Leserschaft in Politik und Gesellschaft, die von seinen Überlegungen eigentlich profitieren könnte.

Besprochen von Catherine Newmark

Ronald Dworkin: Was ist Gleichheit?
Aus dem Amerikanischen von Christph Schmidt-Petri
Suhrkamp, Frankfurt am Main 2011
288 Seiten, 10,00 Euro