Regisseur Marvin Kren über "4 Blocks"

"Das Thema hat mich angesprungen"

Szenenbild: Toni und Abbas Hamady sind unterhalten sich in einem Hinterzimmer. (Bild:© 2017 Turner Broadcasting System Europe Limited & Wiedemann & Berg Television GmbH & Co.)
"4 Blocks"-Darsteller: Kida Ramadan und Veysel Gelin © © 2017 Turner Broadcasting System Europe Limited & Wiedemann & Berg Television GmbH & Co.
Marvin Kren im Gespräch mit Patrick Wellinski · 06.05.2017
"4 Blocks" heißt eine neue Fernsehserie: Sie spielt in den mafiösen Strukturen arabischer Clans in Berlin und wird ab Montag beim Bezahlsender TNT ausgestrahlt. Wir haben mit Regisseur Marvin Kren über die Serie und das Innenleben der Clans gesprochen.
Patrick Wellinski: "4 Blocks" heißt eine neue deutsche Fernsehserie, die bereits seit einiger Zeit als ganz großer Wurf innerhalb der deutschen Serienlandschaft gehandelt wird. Sie ist hart, sie ist actionreich und spielt innerhalb der mafiösen Strukturen arabischer Clans in Berlin. Im Zentrum steht der Clan-Chef Ali Tony Hamady, der endlich genug hat vom kriminellen Leben. Doch eine Polizeirazzia im ungünstigsten Moment verhindert den Neustart. Eines Nachts fährt er mit dem Auto durch Neukölln und erklärt dem Deutschen Vince sein Konzept.
Ein Ausschnitt aus der Serie "4 Blocks"
"Ich sag dir, Automatenkasinos ist die beste Geldanlage. Jeder Dritte in Neukölln schmeißt sein Geld darein, jeder! Die sind so bescheuert, sogar Hartz IV geht dahin.
Mädchen, Kasinos, Koks, Schutzgeld. Und deine vier Blocks?
Meine vier Blocks ...
Ist doch gut, hast du geschafft!
Nein, hab ich nicht. Ich hab gar nichts geschafft."
Wellinski: Ein Ausschnitt aus der Serie "4 Blocks", die dann ab Montag jeweils um 21:00 Uhr auf dem Bezahlsender TNT Serie ausgestrahlt wird. Und ich konnte vor der Sendung mit dem Regisseur der Serie, dem Österreicher Marvin Kren, über seine Arbeit sprechen und wollte zunächst von ihm wissen, wie sehr er sich vor dem Projekt mit dem Innenleben und Wirken der arabischen Clans beschäftigt hat!
Marvin Kren: Na ja, es ist schwierig zu sagen. Ich bin in Österreich geboren, im 16. Bezirk groß geworden und habe wirklich wenig Berührung mit der arabischen Kultur bis auf einen "Tatort", den ich gemacht habe über syrische Flüchtlinge. Aber das war das Spannende. Mein Interesse war sehr, sehr groß und ich habe dann sehr schnell gemerkt, wie ich mich auseinandersetze mit dem Thema und wie ich die Leute von der Straße kennengelernt habe, dass ich einen besonderen Zugang habe zu dem Thema, das mich anspringt.
Wellinski: Wir kennen ja diesen Wirkungsradius dieser Clans eher aus den Beschreibungen. Also, wir wissen, dass es sie gibt, zum Teil, wie sie heißen, was sie machen. Wie sahen denn Ihre Recherchen konkret aus?

Kida Khodr Ramadan als Türöffner für Neukölln

Kren: Na ja, ich hatte dann über Kida Khodr Ramadan, der libanesischer Kurde ist – und wir erzählen über eine libanesisch-kurdische Familie, über einen Clan – schon mal einen Türöffner, mit unserem Hauptdarsteller, in diese Welt nach Kreuzberg, nach Neukölln. Und er hat mir sehr viele Leute vorgestellt, die Clan-Mitglieder sind.
Das Interessante war, dass die sehr offenherzig waren und sehr bereitwillig waren, ihre Geschichte zu erzählen. Und es war auch die Art und Weise, dass ich sehr respektvoll mit ihnen umgegangen bin und versucht habe zu erklären, dass meine Absichten die sind, eine spannende Mafiaserie zu machen. Das Lustige ist, dass die Jungs sich selber ja auch wie Filmfiguren empfinden. Das heißt, es gibt da einen Typen, der kann "Pate 1" bis "Pate 3" auswendig vorsprechen, jede einzelne Figur mit jeder einzelnen deutschen Synchronnachahmungsstimme. Also, die Fiktion inspiriert die Realität und umgekehrt.
Wellinski: In "4 Blocks" geht es ja dann auch nicht um den Aufstieg eines Clans oder eines Clan-Mitglieds, etwas, was man eher aus amerikanischen Serien kennt, sondern um einen Aussteiger. Also, Ali Tony Hamady – ehemals so ein gefürchtetes Schwergewicht in seinen vier Blocks – will eigentlich seine kriminelle Vergangenheit hinter sich lassen. Können Sie eigentlich erklären, was ihn da eigentlich raustreibt?
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Der Regisseur Marvin Kren© picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Kren: Ich glaube, was ich halt mitbekommen habe, wenn man sehr viel mit Verbrechern Zeit verbringt, ist: Es ist absoluter Turbokapitalismus, es geht einzig und allein nur um Geld-Verdienen, und es geht nicht darum, etwas zu schaffen oder etwas Bleibendes zu hinterlassen. Sie sind Journalist, Sie machen Geschichten, ich bin Filmemacher, ich mache Filme, und ein Bäcker macht Brötchen. Aber ein Verbrecher, der macht nichts. Der stellt nichts her. Und am Ende des Tages ist das ein emotionales Minusgeschäft. Und das spürt der Mann. Der spürt, wie die Ratten um ihn herum, die er seine Familie nennt ...
Es gibt zwei Familien, es gibt die Familie, nämlich seine Frau und seine Tochter, das sind die Lichtgestalten in seinem Universum, und es gibt die Familie, der Clan, die Leute, die immer wieder Jobs brauchen, die er losschicken muss, die schauen, wie sind die Prozente, die sie von ihm bekommen, wie sind die Prozente des Cousins, also Neid, Gier, Missgunst. Das sind alles Themen, die ihn umgeben, und die sind äußerst anstrengend. Und vor allem ist es gefährlich. Wenn man ein Kind hat, möchte man es in einem sicheren Umfeld aufwachsen sehen.
Wellinski: Es vermittelt sich auch ein bisschen in der Serie so das Bild der organisierten Kriminalität so als Notfallplan, weil die Gesellschaft einen anderen Aufstieg vieler Migranten eben nicht ermöglicht. Ich glaube sogar, Tony sagt einmal: Wenn er die Aufenthaltserlaubnis endlich bekommt, die er sich ja so wünscht für sich und seine Familie, ich werde deutscher sein als die Deutschen.

Integrationsversuche sind gescheitert

Kren: Ja, das sind die Recherchen, die ich auch erfahren durfte im Rahmen der "4 Blocks"-Arbeit, dass die libanesischen Kurden-Flüchtlinge bereits in Beirut waren, und damals, wo der Bürgerkrieg ausgebrochen ist in Beirut, sind sehr viele von denen nach Deutschland geflüchtet. Und Deutschland war eigentlich gar nicht so darauf eingestellt und wollte die da haben und hat die auf den Aufenthaltsstatus "Duldung" gesetzt. Das heißt, die durften nicht arbeiten und zur Schule gehen und so weiter. Die wollte man einfach schön wieder abwarten, bis der Krieg vorbei ist, und dann wieder zurückschicken. Nur, Beirut hat überhaupt kein Interesse gehabt, die wieder aufzunehmen. Und dann waren die dann hier und etliche Integrationsversuche sind gescheitert, diese jungen Männer, die da herangewachsen sind, wirklich gut in das deutsche System zu integrieren. Man hat die halt dort gelassen, wo sie sind.
Das begünstigt jetzt nicht unbedingt eins zu eins den Werdegang eines Verbrechers, aber es kann ihn durchaus unterstützen. Und das ist durchaus ein interessantes Bild, was wir auch versuchen zu geben von einer Generation, die schon sehr lange hier ist, mit den Jungs und Mädels, die jetzt alle nach Deutschland gekommen sind. Und das waren damals 30.000 und jetzt ist es eine Million. Also, das sind große Verantwortungen, die auf uns zukommen.
Wellinski: Jetzt ist "4 Blocks" auch Genre, das darf man nicht vergessen. Das ist eine sehr temporeiche Serie, sehr viel Spannung, sehr viel Action. Das zeichnet sie auch aus, aber vor allem, was ich finde, zeichnet die Serie aus, dass innerhalb der Dialoge Sie so eine gewisse Authentizität erzeugen, weil Sie dann eben doch den Jargon irgendwie treffen, den Klang dieser Milieusprache. Wie wichtig war Ihnen eigentlich diese Komponente der Serie?
Kren: Sie haben das richtig erwähnt. Nicht allererster Linie ist es Unterhaltung. "4 Blocks" bedient das Mafia-Genre, das haben wir uns zur Aufgabe gesetzt. Und gleichzeitig haben wir natürlich versucht, den Ton der Straße, Neuköllns, der Sonnenallee zu treffen, zu finden. Und deswegen war das enorm wichtig, in der Besetzung Leute zu finden, die das nicht lernen müssen, sondern die mir zeigen, wie das geht. Und deswegen habe ich halt auch so Sprachkünstler wie den Veysel, der ein Rappmusiker ist, der zwar aus Essen kommt, aber der sozusagen den Migranten-Straßenjargon beherrscht wie kein Zweiter.
Wellinski: Und sie reden Deutsch miteinander, was ich ja auch erstaunlich fand.
Kren: Na ja, das ist tatsächlich so. Also, die sind auch stolz darauf, dass sie so gut Deutsch sprechen, und viele von den Jungs sind einfach ... Die sprechen ein schöneres Deutsch als ich mit mehr einem österreichischen Deutsch. Und die können Arabisch, manche können nicht einmal ihre eigene Heimatsprache perfekt.
Wellinski: Mir geht etwas nicht aus dem Kopf, das Sie am Anfang unseres Gespräches gesagt haben über das Selbstverständnis dieser Clan-Mitglieder, die Sie kennengelernt haben, dass sie den "Paten" irgendwie auswendig können. Das erinnert mich an etwas, was mir mal die Investigativjournalistin Petra Reski erzählt hat, die ja über die italienische Mafia sehr viel berichtet, dass eben diese "Pate"-Trilogie ein Gottesgeschenk für die Mafia in Italien war, weil sie sich sehr gelobt gefühlt hat und plötzlich auch viel mehr Menschen rekrutieren konnte. Und irgendwie frage ich mich jetzt so ein bisschen, gerade bei "4 Blocks", der ja wirklich sehr spannend ist und sehr unterhaltsam ist, ob man da als Regisseur nicht im Hinterkopf hat, dass das Milieu sich selber darin so ein bisschen glorifizieren kann.

Kritische Reflexion über das Verbrechen

Kren: Well, das wird wohl unweigerlich passieren. Aber das hat das Genre halt schon immer gemacht. Das Milieu des Verbrechers hat etwas Romantisches. Aber wenn man die Folge eins bis sechs sieht, dann wird man verstehen, was ich meine mit dem emotionalen Minusgeschäft. Also, man geht mit einem sehr gruseligen Gefühl aus dem Kino raus oder schaltet den Fernseher ab. Also, es ist Unterhaltung, aber es ist auch eine kritische Reflexion über das Dasein des Verbrechers.
Wellinski: Es ist Ihre erste Miniserie von diesem Format. Wie haben Sie eigentlich die Arbeit an dieser Form des seriellen Erzählens empfunden? War es eine Umstellung zu Ihrem bisherigen Arbeiten?
Kren: Es war eine Megaherausforderung. Man muss sich vorstellen, wir haben in 50 Tagen diese Serie abgedreht mit hauptsächlich Amateuren. Und man dreht am Tag sieben Filmminuten, das heißt, man dreht eine Szene aus der Folge eins, eine Szene aus der Folge sechs, eine Szene aus der Folge sieben, eine Szene aus der Folge ... Ach, sieben gibt es nicht ... Sie verstehen, was ich meine. Und dafür braucht man erstens ein tolles Team und zweitens halt: Diese Amateure müssen in der Lage sein, diese ganzen unterschiedlichen Gefühle, die eine Szene manchmal verlangt, immer wieder abzurufen, dieses Wechselbad der Gefühle an den Tag zu schaffen. Das war im Vorfeld, bevor ich angetreten bin, das zu inszenieren ... Das wird das schwierigste ... eine schwierige, unlösbare Aufgabe! Und gerade dieser Respekt vor dieser Aufgabe war, dass wir es geschafft haben, weil wir uns extrem gut vorbereitet haben und wir geprobt haben, geprobt haben, geprobt haben, damit wir am Tag selber dann die Szenen so gut wie möglich darstellen können.
Wellinski: International lässt sich auch beobachten, dass Regisseure, die häufig im Kino vor allem arbeiten, jetzt auch ins Serienfach wechseln. Können Sie das von Ihrer eigenen Erfahrung beschreiben? Kann man in so einer Serie anders, intensiver erzählen als im Kino oder ist das komplett anders?

Man taucht tief in Figuren ein

Kren: Na ja, man taucht definitiv so tief ein in Figuren, wie es nur schwierig möglich ist in einem Kinofilm. Und in viele Figuren hat man die Möglichkeit, sehr, sehr, sehr tief einzutauchen und sehr viele Fassetten von ihnen zu zeigen und zu zeichnen. Das ist das Tolle am Serien-Erzählen und das ist das Tolle, was mir auch besonders Spaß macht. Ich liebe nichts anderes als zu inszenieren und mit Schauspielern zu arbeiten und Figuren zu erzählen. Und das kann man halt in einer Serie machen. In einem Film kann man das auch machen, aber da geht es eher auch um die Meditation eines Bildes, um eine Atmosphäre, um andere Dinge als in einer Serie.
Wellinski: Deutschsprachige Serienformate stecken eigentlich ja noch so ein bisschen in den Kinderschuhen. Wahrscheinlich stimmt das auch nicht ganz, die meisten schielen aber trotzdem so ein bisschen nach Amerika. War das bei Ihnen ähnlich, dass Sie bei der Konzeption von "4 Blocks" sich vielleicht am Stil oder der Machart von US-Serien orientiert haben, oder schiebt man das so weit wie möglich von sich weg?
Kren: Na ja, ich gucke jetzt auch schon seit 2001, glaube ich, alle Serien, die aus Amerika kommen, das ist schon irgendwie in meiner Filmemacher-DNA drin, wie die aufgebaut ist. Aber für mich war es definitiv wichtig bei "4 Blocks", mich nicht von verschiedenen Gangsterfilmen inspirieren zu lassen. Man kennt sie ja ohnehin alle und ich wollte ... Mit "4 Blocks" wird der eine oder andere Versatzstücke durchaus erkennen von anderen Filmen, aber das war nicht dezidiert beabsichtigt. Meine Absicht mit meinem Kameramann und meinem künstlerischen Team, Ausstattung, Kostüm, war es, mich komplett von den Jungs selber, von Neukölln, von der Sonnenallee, von den Lichtern, von den Autos, von den Gerüchen inspirieren zu lassen und so den eigenen Ton dieser Serie zu treffen.
Wellinski: Marvin Kren, der Regisseur der sechsteiligen Serie "4 Blocks" war unser Gast. "4 Blocks" läuft ab Montag auf TNT Serie, immer montags ab 21:00 Uhr. Vielen Dank für Ihre Zeit!
Kren: Ich danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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