Regierungsumzug

Warten auf den letzten Bonn-Berlin-Flug

Ein Flugzeug von Germanwings am 25.02.2015 im Landeanflug auf dem Flughafen Tegel in Berlin.
Wann wird das Pendeln zwischen Bonn und Berlin beendet sein? © picture alliance / dpa / Oliver Mehlis
Von Anja Nehls · 01.02.2016
Noch pendeln sie, die Bonner Ministerialbeamten - hin und her, zwischen ihren Erst- und Zweitdienstsitzen in Bonn und Berlin. Aber wie lange noch? Jedes Jahr geht die Anzahl der Dienstreisen zurück.
Umfrage: "Der geteilte Regierungssitz ist schlicht und ergreifen nicht effizient." – "Es gibt ein Gesetz, das Bonn-Berlin Gesetz, wenn das jemand ändern wollte, müsste er aufstehen, müsste in den Bundestag gehen, müsste dafür eine Mehrheit organisieren und müsste dieses Gesetz ändern. Das wäre sauber und ehrlich." – "Dass es noch eine zweite Regierung gibt in Bonn, das würde kein Land auf dieser Welt verstehen, das ist eine so vollendete Idiotie, die da abgespielt wird, da gibt’s gar keine Worte dafür." – "Wir erleben schon seit vielen Jahren eine Art Salamitaktik, indem man einfach Tatsachen schafft und nach und nach weitere Regierungsverantwortung von Bonn nach Berlin verlagert." – "Ich bin aber überzeugt, dass eine Arbeitsteilung zwischen zwei Städten insgesamt dem Land guttut." – "Und wenn man nach über 20 Jahren einfach mal eine Bestandsaufnahme macht, dann glaube ich muss man zu dem Ergebnis kommen, dass es jetzt überfällig ist, dass der Sitz der Bundesregierung, alle Ministerien, nach Berlin gehören."
Ob wirklich alle Ministerien nach Berlin gehören, ist die Frage, um die es jetzt geht. Laut Ergebnis einer repräsentativen Umfrage vom Bund Deutscher Steuerzahler sind 83 Prozent der Bevölkerung in Deutschland dafür. Aber das ist nicht entscheidend. Die Umzugsbeauftragte der Bundesregierung Bundesbauministerin Barbara Hendricks soll jetzt eine Bestandsaufnahme machen und sie bis Mitte des Jahres vorlegen, sagt ihr Sprecher Michael Schroeren:
"Und was das Ergebnis sein wird ist durchaus offen. Also wir sagen nicht, dass am Ende der komplette Umzug stehen muss. Das kann das Ergebnis sein dieses Prozesses, das muss es aber nicht sein. Das kommt darauf an zu welchen Ergebnissen und Sachlagen wir am Ende kommen."
Arbeitsstab soll Sachlage erarbeiten
Die Sachlagen soll jetzt ein fünfköpfiger Arbeitsstab erarbeiten. Der hat übrigens seinen Hauptsitz in Bonn. Ministerin Barbara Hendricks ist ein politisches SPD Gewächs aus Nordrhein Westfalen.
"Ich glaube, man musste jemanden aus Nordrhein-Westfalen vorschicken, um das dicke Brett zu bohren. Von daher ist sie dafür eine Idealbesetzung. Sie ist Nordrhein-Westfälin. Sie kann jederzeit behaupten, mir liegt Nordrhein-Westfalen am Herzen, sie lebt aber glaube ich ganz gerne auch in Berlin. Und als Nordrhein-Westfälin kann sie glaube ich den Nordrhein Westfalen die Schmerzen am besten erklären und im Zweifel dann auch lindern."
… analysiert Holger Möhle, der Berlin Korrespondent des Bonner Generalanzeigers. Er kam 1999 nach Berlin. Für ihn wird eine Entscheidung für Bonn und Berlin oder für nur Berlin nicht nur nach nüchterner Analyse von Daten und Fakten getroffen, sondern auch mit dem Herzen. Das muss man verstehen. Sie ticken eben anders, die Bonner und die Berliner. Schon immer und immer noch.
Ein Narr mit den Landeswappen von Berlin und Brandenburg an der Kappe
Kopf eines Rentners mit Karnevalskappe und dem Wappen von Berlin und Brandenburg© picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger
Karneval in einem schlichten turnhallengroßen Saal in Berlin Tegel. Die Tanzmariechen geben alles, die Federpuschel wippen, die kurzen Röcke fliegen, aber irgendwie ist Karneval in Berlin eben doch nicht so richtig Karneval. Nicht so richtig wie eben im Rheinland:
"Ach da liegen Welten zwischen, das ist also vorwiegend ein Saalkarneval, weniger ein Straßenkarneval. Für die Rheinländer ist sicher der Berliner Karneval nichts, weil es alles ein bisschen ruhiger und gesitteter vor sich geht. Die Rheinländer und Bonner feiern in ihrem eigenen Klüngel, wenn sie in Berlin feiern. Die meisten fahren aber zu den tollen Tagen aber nach Köln oder ins Rheinland und feiern da."
… klagt Lutz Moser, Präsident der Narrengilde Berlin. Mit rund 20 Mitgliedern einer der größeren Karnevalsvereine der Hauptstadt. Unter den Mitgliedern kein einziger Rheinländer. Das hat man sich damals, als der Regierungsumzug nach Berlin beschlossen wurde, doch eigentlich ganz anders vorgestellt:
"Die Hoffnung war am Anfang mit Sicherheit da, dass man sagte, wenn die ganzen Rheinländer nach Berlin kommen, die werden den Berliner Karneval unterstützen, aber das ist nicht, da sind die Mentalitäten sicherlich auch sehr unterschiedlich."
Berlin-Bonn-Frage wird sich biologisch klären
Waren sie schon vor 25 Jahren. Am 20.6.1991 hat der Bundestag mit hauchdünner Mehrheit beschlossen, die Regierung und einen Teil der Ministerien nach Berlin zu verlagern. Die meisten Bonner waren entsetzt. Klaus Vater war stellvertretender Regierungssprecher, davor Sprecher von Arbeitsminister Walter Riester, von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und damals 1991 wissenschaftlicher Referent der SPD im Bundestag. Im Bonner Bundestag:
"Als der Bonn-Berlin-Beschluss gefasst wurde, war ich strikter Gegner des Weggangs des Parlamentes nach Berlin. Das war sehr durchtränkt von dem, was die Rheinländer von den Preußen halten. Das hat sich aber nicht bewahrheitet, im Gegenteil."
1999 ging Klaus Vater von Bonn nach Berlin. Seitdem ist er überzeugter Berliner. Längst ist er pensioniert. Ganz zurück zur Familie ins Rheinland will er dennoch nicht. Mehrmals im Monat pendelt er zwischen seiner Frau in Bad Godesberg und seiner Berliner Wohnung in einem Plattenbau an der Jannowitzbrücke in Mitte.
"Berlin, die Stadt vibriert. Man hat einen anderen Spirit, die vielen junge Leute, die etwas wagen, etwas ausprobieren wollen, das gibt es in Bonn so nicht. Es gibt Leute, die sagen, ich hätte meine rheinische Mentalität abgelegt, ich sei Preuße geworden. Ein Stück weit Preußentum habe ich angenommen, ja. Präzise zu sein, genauer zu sein, pünktlich zu sein. Nur von anderen zu verlangen, was ich auch kann. Das gibt es auch im Rheinland, aber es ist keine rheinische Ureigenschaft."
Berlin hat ihn geprägt. Die Berlin-Bonn-Frage wird sich biologisch klären, glaubt Klaus Vater. Und er glaubt an den Spruch, mit dem Berlin zurzeit wirbt: "Kommen sie mit ihren Kindern nach Berlin. Die sind später sowieso hier":
Das Bundesministerium der Verteidigung in Berlin, hier das Eingangsgebäude des Bendlerblocks am Landwehrkanal bei Nacht.
Das Bundesverteidigungsministerium in Berlin, der Hauptsitz in noch in Bonn© picture alliance / ZB
6 von 14 Ministerien haben ihren Hauptsitz noch in Bonn. Das Verteidigungs-, Bildungs- und Wissenschaftsministerium. Das Entwicklungshilfeministerium, die Ministerien für Landwirtschaft und Umwelt. Oder jedenfalls so ähnlich. Inzwischen ist das nämlich gar nicht mehr so einfach, meint Michael Schroeren vom Bauministerium.
"Wir wissen ja jetzt zum Teil auch nicht mehr, welche Ministerien nun wirklich Bonn-Ministerien sind. Das alte Umweltministerium bis 2013 war ein Bonn-Ministerium, jetzt haben wir einen völlig neuen Ressortzuschnitt im Bundesumweltministerium zusammen mit Teilen des Bauministeriums, das Bauministerium ist aber kein klassisches Bonn-Ressort. Was nebenbei auch zeigt, dass die Vorgaben des Bonn-Berlin-Gesetzes in gewisser Hinsicht auch überholt sind."
Das Gesetz legte fest, dass 60 Prozent aller Regierungsbeamten und Angestellten auf Dauer in Bonn bleiben sollen. Nur die Minister und wichtige Referate sollten nach Berlin. Inzwischen hat sich das Verhältnis umgekehrt. Nur noch knapp 7000 Ministerialstellen sind in Bonn, über 12.000 in Berlin. Und der Trend scheint sich fortzusetzen. Wenn alle Ministerien und Mitarbeiter irgendwann in Berlin sind, wird niemand mehr pendeln müssen, mit dem sogenannten "Beamtenshuttle" zwischen Berlin und Bonn. Soweit ist es aber noch lange nicht. Circa 18.000 angemeldete Dienstreisen sprechen eine andere Sprache.
Flughafen Berlin Tegel. In einer halben Stunde startet die Maschine nach Köln-Bonn. Als letzte checken zwei Damen und ein Herr ein, routiniert, wenig Gepäck, Laptop und Aktentasche.
"Ich war heute im Ausschuss für Entwicklungszusammenarbeit zum Thema Burundi. Ich wohne in Bonn. – Ja es ist ein dienstlicher Termin, für den ich am Flughafen bin. Ich wohne in Brandenburg, gerade jenseits der Stadtgrenze." – "Ja, auch im Bereich Entwicklungszusammenarbeit und dadurch sehr oft in Berlin, alle zwei Wochen ungefähr. Ich treffe nach wie vor sehr, sehr viele, die den Weg machen auf einer wöchentlichen Basis, sogar mehrmals pro Woche."
Berechnung der doppelten Kosten hoch umstritten
Es gibt sie also noch, die Bonn-Berlin-, Berlin-Bonn-Pendler. Aber es werden weniger. Nach dem Teilungskostenbericht des Finanzministeriums sanken die Kosten des doppelten Regierungssitzes 2014 um 1,3 Millionen Euro auf 7,7 Millionen Euro – zum großen Teil wegen einer Verringerung der Dienstreisen. Hoch umstritten ist allerdings, wie die Kosten des doppelten Regierungssitzes berechnet werden. Jedes Ministerium melde Kosten nach unterschiedlichem Standard, kritisiert Reiner Holznagel vom Bund Deutscher Steuerzahler. Jeder in Bonn und Berlin wisse, dass die tatsächlichen Kosten weit höher seien:
"Insofern schätzen wir im Jahr Teilungskosten von mindestens 20 Millionen Euro. Und wir rechnen auch diverse Dinge hinzu, die der Teilungskostenbericht nicht berücksichtigt, das sind Arbeitszeitverluste. Und es gibt ja diverse Berichte dazu, wie eben nicht nur Staatsekretäre sondern eben auch andere Beamte im Bundestag warten auf eine Anhörung, nicht angehört werden, zurück nach Bonn fliegen, am nächsten Tag wieder zurück nach Berlin kommen. Insofern müssen wir diesen enormen Arbeitszeit- und Reibungsverlust einfach hier mit zurechnen."
Allerdings kostet auch ein Komplettumzug Geld, langfristig spare er aber Milliarden, so Holznagel.
"Wir sollten das politische Ziel formulieren, Berlin als Bundeshauptstadt vollständig aufzubauen und Bonn als Regierungssitz in dem Sinne abzubauen. Wir sehen ja, dass die Ministerien entgegen der Gesetzeslage ja jetzt schon Fakten schaffen."
Bundesinnenminister Thomas de Maizière auf dem Weg zur Innenministerkonferenz in Koblenz.
Als Innenminister holte Thomas de Maizière in diesem Jahr über 100 weitere Dienstposten in die Hauptstadt© dpa / Thomas Frey
Besonders einer. Innenminister Thomas de Maiziere (CDU). Ausgerechnet. Meint der Korrespondent des Bonner Generalanzeigers in Berlin, Holger Möhle:
"Thomas de Maiziere ist gebürtiger Bonner und seit vielen Jahren Wahldresdner, der sein damaliges Ministerium der Verteidigung sehr zentral oder zentralistisch organisieren wollte und durchaus erkennen hat lassen, dass das, was Bonn hat aus seiner Sicht gut ist und dass fürs bessere, fürs effizientere Regieren, es besser wäre, das Ministerium nach und nach komplett nach Berlin zu verlagern."
Auch. Das Innenministerium hat damit jetzt über 1000 Stellen in Berlin und nur noch knapp 200 in Bonn. Das ärgert die Bonner. Ulrich Kelber (SPD) ist Bundestagabgeordneter aus Bonn.
"Irgendwas muss mal passiert sein in der Jugend. Die Meinung von Bonn ist nicht allzu hoch bei Thomas de Maiziere. Kollege Norbert Röttgen hat ja mal einen richtigen Satz gesagt, es klappt ganz gut mit dem Berlin-Bonn-Gesetz, außer Thomas de Maiziere ist Minister. Im Gesetz steht klar, mehr als die Hälfte soll in Bonn sein und es gibt einen alten juristischen Spruch: wer soll, der muss, wenn er kann. Er hat ein Verständnis dafür, ich darf als Minister machen was ich will, das ist aber nicht so, das Gesetz muss von dem gesamten Kabinett eingehalten werden und es kann nicht sein, dass einzelne Minister Entscheidungen fällen."
Oder es kann doch sein. So jedenfalls die Meinung im Bundesbauministerium, wo der Arbeitsstab derzeit konzentriert mit einer Bilanz und Bewertung der aktuellen Regierungssitzlage beschäftigt ist. Das Bonn-Berlin Gesetz soll den Arbeitsstab in seiner Empfehlungsfindung nicht behindern, sagt Sprecher Michael Schroeren:
"Manche glauben, dass das hier en gesetzeswidriger Zustand ist, dass mehr als 50 Prozent der Beschäftigten des Bundes inzwischen nicht mehr in Bonn sind, sondern in Berlin. Mitnichten. Das ist kein gesetzeswidriger Zustand, weil auch das Bonn-Berlin-Gesetz die Organisationshoheit der Ressorts nicht außer Kraft setzen kann und auch nicht wollte. Die verfassungsmäßige Organisationshoheit. Das lässt sich durch ein einfaches Bundesgesetz nicht einfach außer Kraft setzen oder aushebeln. Ob dann Gesetzesänderungen überhaupt erforderlich sind ist eine völlig offene Frage, da legen wir uns jetzt nicht fest."
Manche halten Abwanderung von Dienstposten für Rechtsbruch
Ein Rechtsgutachten im Auftrag Bonns und der Kreise Rhein-Sieg und Ahrweiler kam zu einem anderen Resultat: Die Abwanderung von Dienstposten nach Berlin sei ein Rechtsbruch – der aber nicht einklagbar sei. Also geht die ministeriale Wanderung von Bonn nach Berlin einfach weiter wie bisher. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble verlagert über 100 weitere Dienstposten nach Berlin und außerhalb der Politik haben Deutschlands wichtigste Verbände, Organisationen, Lobbyisten und Unternehmen zumindest ihr Headquarter nach Berlin verlegt. Rutschbahneffekt nennt man das. Und der fließt in den Bericht des Arbeitsstabes von Bauministerin Barbara Hendricks mit ein, meint ihr Sprecher:
"Ganz offensichtlich ist es so, dass eine ganze Reihe von Ministern und Ministerien in der Vergangenheit es so gesehen haben, dass sie glauben, ihre Arbeitsfähigkeit ist am ehesten gewährleistet, wenn das Personal greifbar ist, in Berlin, da wo der Minister meistens ist. Das muss man erstmal so zur Kenntnis nehmen. Und wenn das so ist, dann wollen wir wissen, ob das auf ewig so bleiben muss oder ob es dann in einem geordneten Prozess vollzogen wird."
Ein geordneter Prozess für den Komplettumzug bedeutet für die Ministerin: langfristig, mit Planungssicherheit für alle Betroffenen und möglichst im Konsens, auch mit der Stadt Bonn.
Und das kann so schwer nicht sein, meint Michael Schroeren. 1,4 Mrd Euro als Ausgleich für den Wegzug der Regierung hat Bonn schon damals bekommen. Inzwischen gab es einen Zuwachs an Beschäftigung und Bevölkerung, Post und Telekom sind bedeutende Arbeitgeber und Bonn ist ein wichtiger Wissenschaftsstandort:
"Bonn ist vor allem als UN Standort erheblich gewachsen und soll weiter wachsen, das ist auch ein Ziel der Bemühungen von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, und wirtschaftlich und arbeitskräftemäßig geht es Bonn, nach allem was ich weiß, sehr gut."
Das Alles bestreitet auch der Bonner Oberbürgermeister nicht. Angst hat Ashok Sridharan dennoch. Nicht nur vor 500.000 Quadratmeter dann möglicherweise ungenutzter Bürofläche:
"Es sind aber nicht nur die Büroflächen, die dann zur Verfügung stehen, sondern es ist ein Kaufkraftschwund, es ist ein Bevölkerungsschwund. Es hängen rund 27.000 Arbeitsplätze an der Präsenz der Bundesregierung hier in Bonn. Wir hätten mit einem Bevölkerungsrückgang von 21.000 Menschen zu rechnen, das macht eine Kaufkraft von jährlich 280 Millionen Euro aus."
Kampf um Bonn noch nicht beendet
Er fürchtet, dass Bonn das nicht kompensieren könne. Und der Bonner Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber will sich im Kampf für Bonn auch noch nicht geschlagen geben:
"So weh das vielleicht den Leuten im Osten Deutschlands tut, der Bevölkerungsschwerpunkt liegt im Westen, das heißt für viele Dinge, wo es Umgang mit Institutionen, mit Bevölkerung gibt, sind die Ansprechpartner nicht in Berlin, sondern die sind von Bayern bis Schleswig-Holstein. Und eben europäisch sind sie in Brüssel, in Straßburg und das alles ist von Bonn durchaus schneller zu erreichen."
Derweil bleibt man weit im Osten, in Berlin, gelassen, wartet ab, denn der Komplettumzug wird früher oder später sowieso kommen, meint der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller:
"Ja wir fordern das nicht ein, aber es ist ja offenbar eine ganz natürliche Entwicklung. In den letzten Jahren sind immer mehr Teile von Ministerien und Kolleginnen und Kollegen hier nach Berlin gekommen, wir haben gezeigt, dass wir das ja auch bewältigen können. Wir haben die entsprechenden Ertüchtigungen bei den Bürobauten gehabt und Berlin ist nun mal eine internationale Stadt, die auch entsprechend wahrgenommen wird von Freunden und Partnern im Ausland und auch das ist ja wichtig für eine Bundesregierung. Die Leute haben gemerkt, dass man hier auch alles sinnvoll hier zusammenführen kann, nun wird es Schritt für Schritt, davon gehe ich fest aus, auch so weitergehen."
Berlin ist vorbereitet. Die Neubauten des Wissenschafts- und Innenministeriums sind so dimensioniert worden, dass die Bonner gleich mit untergebracht werden könnten. Während im Innenministerium schon alle Büros besetzt sind, stehen im Wissenschaftsministerium noch ganze Flure leer. Sprecher Rüdiger Fischer:
"Das geht zurück auf einen Beschluss vom Haushaltsausschuss, der gesagt hat, unter Wirtschaftlichkeitsaspekten muss man das gleich so planen, dass eben für 1000 Büroarbeitsplätze auch der Platz da ist. Wir haben hier ungefähr 250 und in Bonn ungefähr 750."
Schick und nagelneu ist das Wissenschaftsministerium, ökologisch und nachhaltig erbaut und mit modernster Technik. Auf einer großen Videowand in Berlin erscheint Uwe Ulhaas aus Bonn. Er ist zuständig für die Videokonferenzen. Unverzichtbar für ein Ministerium mit zwei Standorten:
"Es gibt also sehr viele Sitzungen pro Tag, so im Schnitt zwischen 15 und 20 Sitzungen in den verschiedensten Videokonferenzräumen. Also im Prinzip ist es so, das was man in Berlin oder Bonn in einem Raum stattfinden lassen kann, kann man so auch bequem auf zwei Standorte aufteilen."
Die, die Karriere machen wollen, gehen freiwillig nach Berlin
Noch ist das nötig. Wer weiß, wie lange noch. Uwe Ulhaas ist Bonner aus Leidenschaft. Freiwillig würde er seine Stadt am Rhein nicht verlassen. Das tun nur die, die hier Karriere machen möchten – oder Geschäfte.
Einer der ersten, der freiwillig kam, hat inzwischen graue Haare. Friedel Drautzburg. Chef der Kneipe: "Ständige Vertretung – STÄV", erst in Bonn, dann in Berlin – am Schiffbauerdamm mitten im Regierungsviertel.
"Wir waren vom ersten Tag an rappelvoll und überlaufen, das ist jetzt fast 18 Jahre lang ununterbrochen so geblieben. Insofern war die damalige politische Entscheidung zwar nicht in meinem Sinne, aber sagen wir mal vom vernünftigen ökonomischen Standpunkt aus betrachtet durchaus erfolgreich und richtig."
An der Wand große Poster Helmut Kohl mit Zigarette, Brandt mit Adenauer, Brandt mit Gitarre, Helmut Schmidt auf Stelzen, neben einem alten Bahnhofsschild " Bonn Hauptbahnhof". Auf der Speisekarte "Rheinischer Sauerbraten", "Himmel und Ääd", also Blutwurst mit Kartoffelpüree. Ein Stück Politikgeschichte und ein Eckchen Bonn mitten in Berlin:
"Wir verkaufen ja nicht nur Essen und Trinken, das kann jeder, wir verkaufen ja Lebensqualität, also verkaufen wir auch Kölsch und Karneval. Das gehört zusammen."
Zumindest für die Touristen, die wie immer scharenweise hier sitzen, von der Geschichte hinter der Kneipe noch nie gehört haben, von Bonn auch nicht und von einem Komplettumzug der Deutschen Bundesregierung nach Berlin schon gar nicht. Echte Rheinländer sind heute nicht hier. Dafür Berliner mit der unumstößlichen Überzeugung erstens im Recht und zweitens in der Mehrheit zu sein, mit der ihnen nachgesagten Kodderschnauze, und vielleicht auch mit ein bisschen Herz – und das schlägt nun mal für Berlin.
"Ich bin überzeugter Berliner und habe überhaupt kein Verständnis für diese Bude hier. Ich bin also nur hier, wie meine Freunde gerne dieses Bier trinken und gerne Flammkuchen essen. Sonst würde ich nie hierher gehen. Ich habe überhaupt kein Verständnis für die Leute, also die tun mir leid die Bonner, die das brauchen, weil sonst das Heulen überhaupt nicht mehr aufhören würde. Aber die werden es nie begreifen, dass man in Berlin sehr schön leben kann."


Erik Bettermann, der ehemalige Intendant der Deutschen Welle, aufgenommen am 17.4.2013.
Der ehemalige Intendant der Deutschen Welle Erik Bettermann© picture-alliance / dpa / Jörg Carstensen
Die ersten Bonn-Berlin Flüge
Ein Pendler der ersten Stunde erinnert sich
Von Verena Kemna
Noch wird Deutschland von zwei Standorten aus regiert und die Mitarbeiter diverser Ministerien pendeln zwischen Bonn und Berlin hin und her. Aber wie fing das alles vor 25 Jahren an?
Erik Bettermann, ehemals Intendant der Deutschen Welle, erinnert sich gut an die 90er Jahre, die Zeit der sogenannten "Beamtenshuttle". Der bekennende Rheinländer flog regelmäßig am Montag von Bonn nach Berlin, am Freitag wieder zurück ins Rheinland. Routine für ihn und zigtausende Regierungsbeamte. Wer ist für, wer ist gegen Berlin, diese Frage war im Flieger das Gesprächsthema.
"In der damaligen Zeit haben die Kritiker dann geschimpft, wieviel Steuergelder da rausgeschmissen werden durch die Fliegerei und die Befürworter haben gesagt, das ist doch viel zu wenig, wir haben 20 Jahre von der Hauptstadt geredet. Es gab immer diese Diskussion, es sei denn, es war die erste Maschine, die schon um sechs Uhr dreißig fliegt, da war man noch müde."
Viele Bekanntschaften seien damals entstanden. Auch Bettermann pflegt noch heute Kontakt zu einigen von "damals". Etwa 12.000 Bundesbedienstete arbeiten heute in den Berliner Ministerien, nur etwa 7000 in Bonn. Nach dem Bonn-Berlin Gesetz sollte das Mehrheitsverhältnis genau umgekehrt sein. Laut Bund der Steuerzahler hat der doppelte Regierungssitz bereits mindestens 350 Millionen Euro gekostet. Trotzdem ist Erik Bettermann längst überzeugter Berliner.
Nicht alle Rheinländer reisten freiwillig
Was heute als kreativ, vielfältig und hauptstädtisch gilt, fühlte sich allerdings in den Nachwendejahren noch ganz anders an. Am Freitag im Flieger Richtung Köln-Bonn:
"Das Gefühl, du fliegst jetzt wieder nach Hause in das schöne weltoffene tolerante Rheinland, das wurde schon artikuliert, aber meistens unter den pro Kölnern oder pro Bonnern unter sich."
Vor allem wer nicht freiwillig hin- und herreiste, erlebte Berlin als fremde Welt.
"Die waren dann nicht immer so 'amused', wie man so schön sagt und wenn man am Flughafen ankam und die Familie holte die dann ab, das war, als wenn sie aus der Walachei kämen."
Inzwischen hat die Hauptstadt Berlin viele Rheinländer überzeugt.
"Die Stadt hat eine multikulturelle Atmosphäre, die hat enorme Angebote, die Stadt ist landschaftlich grün, das haben sie kaum in einer anderen Großstadt in Deutschland. Das haben auch viele dann gespürt, die hier waren und sind dann zu Berlin-Botschaftern geworden und haben gesagt, wie toll das in Berlin ist."
Die Pendelei kostet bis heute nicht nur Geld, sondern auch viel Zeit. Vieles hat sich seit dem Bonn-Berlin Gesetz im Jahr 1994 geändert. Erik Bettermann steht hinter der vom Bundesbauministerium angekündigten Bestandsaufnahme zu künftigen Umzugsplänen.
"Das muss offen diskutiert werden, insofern begrüße ich diese Initiative. Ich, als ehemaliger Rheinländer."
Damals und die Anfänge. Ein Pendler der ersten Stunde erinnerte sich. Und Verena Kemna berichtete.
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