Regierungsbildung in Italien

Ein riskantes Experiment

Ein Streetart-Motiv in Rom kommentiert die Regierungsbildung von Luigi di Maio, Parteichef der Fünf-Sterne-Bewegung, und Matteo Salvini, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei Lega, aufgenommen am 23.3.2018
Ein Streetart-Motiv in Rom zur Regierungsbildung von Luigi di Maio, Fünf-Sterne-Parteichef, und Matteo Salvini, Vorsitzender der rechtspopulistischen Lega © imago / Pacific Press Agency
Von Jan-Christoph Kitzler · 26.05.2018
In Italien haben sich die beiden populistischen Parteien Fünf Sterne und Lega auf eine Koalition geeinigt. Sie wollen die Sparpolitik im hoch verschuldeten Land beenden und gehen auf Konfrontationskurs zur EU. Die Lage ist ernst, meint Korrespondent Jan-Christoph Kitzler.
Der alte Satz des Schriftstellers Ennio Flaiano gilt immer noch: Die politische Lage Italiens ist ernst, aber nie ernsthaft. Leider muss man das auch über die neue Regierung sagen. Da machen sich zwei politische Kräfte ans Werk, da bilden die stramm rechtsnationale Lega und die unberechenbare Fünf-Sterne-Bewegung eine Regierung, von der nur wenig Gutes zu erwarten ist. Aber auch wenn da noch viel Getöse im Spiel ist, auch gegenüber Brüssel, Berlin und Paris – die Truppe tritt mit gewaltigen Versprechungen an, nach dem Motto: Tuttifrutti – für jeden ist was dabei. Wer das bezahlt, steht auf einem anderen Blatt.

Reformen sollen rückgängig gemacht werden

Da soll der Sozialstaat ausgebaut werden, mit einer Grundsicherung, mit einer Rentenreform, da soll es radikale Steuerreformen geben, mit Sätzen von nur noch 15 und 20 Prozent. Außerdem will man Hunderttausende Migranten abschieben und der EU mehr Zugeständnisse abtrotzen. Vieles von dem, was in den letzten Jahren an wichtigen Reformen auf den Weg gebracht wurde, soll wieder rückgängig gemacht werden. Denn diese Reformen kamen ja vom politischen Gegner, vom Establishment.
Schon klar, das Establishment, das sind die anderen. Da fällt es kaum auf, dass die Lega im gerade neu gewählten Parlament die Partei mit der längsten Geschichte ist. Aber was heißt das schon? Auch einem gewissen Silvio Berlusconi haben viele Italiener bis zuletzt geglaubt, dass er eigentlich kein Politiker ist, sondern nur ein guter Unternehmer, der sich für sein Land aufopfert und irgendwie über den Dingen steht.

Wer soll das alles bezahlen?

So gesehen könnte man sagen: Auch diese Regierung ist demokratisch legitimiert, hat alles recht, die Politik zu machen, für die sie gewählt wurde – und letztendlich bekommen die Wähler eben die Regierung, die sie verdient haben. Wenn es nicht doch so ernst wäre.
Man muss sich Sorgen machen. Um Italien, dass bisher in der Instabilität immer erstaunlich stabil war. Und vor allem um Europa. Die neue Regierung wird in Brüssel mit vielen Forderungen auftreten. Die Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs und der Minister, in denen Italien zuletzt meist pro-europäisch, konstruktiv aufgetreten ist, werden vermutlich um einiges ungemütlicher. Die Frage: Wer soll das alles bezahlen? Stellt sich nicht nur für Italiens Staatsfinanzen, sondern hat das Potenzial, die Währungsunion in Gefahr zu bringen. Italien ist eben nicht too big to fail, sondern zu groß, als dass es gerettet werden könnte.

EU sollte die neue Regierung ernst nehmen

Nur einen Fehler sollte man jetzt nicht machen: mit dem Zeigefinger auf Italien zu zeigen, mit dem Hinweis: Die sollen erstmal ihre Hausaufgaben machen. Und die neue Regierung nicht ernst nehmen.
Europa muss sich, ob es will oder nicht, mit den Fünf Sternen und der Lega auseinandersetzen – und genau hinsehen. Die Regierung will radikale Reformen machen und Italien umkrempeln. Das ist erst einmal nicht schlecht. Was unterstützenswert ist, sollte man unterstützen, zum Beispiel eine Grundsicherung, die es in Italien bisher nicht gibt. Kritische, abwertende Töne, die in den letzten Tagen aus Brüssel, Berlin und Paris kamen, erhöhen nur den Trotz der neuen Koalitionspartner – und könnten ziemlich irrationale Reaktionen provozieren.
Es ist noch gar nicht lange her, als Matteo Renzi an der Regierung war, da kamen aus Italien konkrete Vorschläge für eine Reform der EU. Jetzt zeigt sich, dass es ein Fehler war, dass damals auch aus Berlin keine Unterstützung kam. Genauso, wie es jetzt falsch ist, Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron weitgehend allein zu lassen bei seinem Projekt, für ein Europa zu sorgen, dass da, wo es geht, mehr zusammen wächst.
Wenn die einzige Antwort an Italien in dieser Situation ist: Macht eure Hauaufgaben, bekommt euer Schuldenproblem in den Griff, ist nichts gewonnen.
Schon jetzt ist der eigentliche Sieger der Parlamentswahl Matteo Salvini und seine Lega. Je größer die Wut der Italiener auf Europa wird, desto stärker werden die radikalen Kräfte. Schon jetzt besteht die Gefahr, dass Salvini das Regierungsbündnis kontrolliert zum Absturz bringt, wenn er sich stark genug fühlt. Und wie ein Italien in Europa auftritt, in dem die Lega politisch den Ton angibt, mag man sich nicht ausmalen. Dann wird es richtig ernst um Italien – und Ernst um Europa.
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