Reform des Sexualstrafrechts

"Schlag ins Gesicht der Opfer"

Eine Frau geht im Licht der Straßenlaternen alleine über eine dunkle Straße
Bei Anzeigen wegen sexueller Gewalt kämen die mutmaßlichen Täter oft davon, sagt die Anwältin Christina Clemm. Es stehe meist Aussage gegen Aussage. © picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte
Christina Clemm im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.04.2016
Heute berät der Bundestag in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts. Die Juristin Christina Clemm übt scharfe Kritik: An entscheidender Stelle belasse dieser Entwurf alles beim Alten.
Die Berliner Rechtsanwältin ist empört, dass es auch künftig dabei bleiben solle, dass Opfer von sexueller Gewalt Widerstand leisten müssten. In dem Gesetzentwurf würden lediglich weitere Ausnahmen formuliert - etwa bei einem so genannten Überraschungsangriff: "Aber genau das, was Frauenverbände und auch andere Verbände schon lange fordern - nämlich dass ein Nein ausreichen muss - das beinhaltet der Gesetzentwurf nicht."

Gravierend für die Geschädigten

Clemm gab zu bedenken, dass es für Opfer "tausend Gründe" geben könne, sich körperlich nicht zu wehren. Dass dies nicht anerkannt werde, sei für die Geschädigten "gravierend" und ein "weiterer Schlag ins Gesicht". Die Anwältin, die selbst Mitglied der Expertenkommission zur Reform des Sexualstrafrechts ist, erklärte, das Bundesjustizministerium habe den Gesetzentwurf "nicht in Übereinstimmung" mit dieser Kommission eingereicht.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Heute wird im Bundestag in erster Lesung ein Gesetzentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts beraten. In einem offenen Brief haben Frauenverbände, Juristinnen und Prominente gegen die geplanten Regelungen protestiert. Die Novelle, sagen sie, schließe die entscheidenden Lücken eben nicht. Eine Frau müsse sich auch weiterhin körperlich gegen sexuelle Gewalt oder Übergriffe zur Wehr setzen.
Unsere Gesprächspartnerin gehört zu den Unterzeichnerinnen. Christina Clemm ist Rechtsanwältin in Berlin, als Strafverteidigerin und Nebenklagevertreterin von Opfern sexualisierter Gewalt und als Mitglied der Expertenkommission des Bundesjustizministeriums zu diesem Thema, und sie ist jetzt am Telefon.
Schönen guten Morgen!
Christina Clemm: Guten Morgen!
von Billerbeck: Die Bundesregierung will ja mit dem geplanten neuen Gesetz endlich Frauen besser vor sexueller Gewalt schützen. Aber, auch ein Nein soll künftig reichen. Warum geht Ihnen das nicht weit genug?
Clemm: Das ist erst mal nicht zutreffend. Das Bundesjustizministerium hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem es weiterhin dabei bleibt, dass eigentlich das Opfer von sexueller Gewalt Widerstand leisten muss, und es werden nur weitere Ausnahmen formuliert, in denen dieser Widerstand unterlassen werden kann, zum Beispiel bei einem sogenannten Überraschungsangriff. Also das Opfer ist gar nicht gewahr eines Angriffs, und deswegen kann es gar keinen Widerstand leisten.
Diese Dinge will der neue Gesetzentwurf, aber genau das, was Frauenverbände und auch andere Verbände schon lange fordern, nämlich, dass ein Nein, also der entgegenstehende Wille, ausreichen muss, das beinhaltet der Gesetzentwurf nicht.

Ein "Nein" muss ausreichen

von Billerbeck: Können Sie da mal konkret das an einem Beispiel erzählen, wo der Entwurf der Bundesregierung eben nicht ausreicht?
Clemm: Es geht tatsächlich darum, dass wenn eine betroffene Person – steht einer anderen gegenüber und diese sagt, ich möchte sexuelle Handlungen, oder die fängt an, sexuelle Handlungen auszuüben, und die Person sagt, ich will das nicht, und die sagt das ganz eindeutig, und sie weint vielleicht auch oder sie schreit auch, aber aus welchem Grund auch immer, sagen wir mal, zum Beispiel, da stehen ihr zwei Personen gegenüber oder drei, aus welchem Grund auch immer wehrt sie sich nicht – da gibt es ganz viele Gründe. Entweder man kann es nicht, also es ist einem anerzogen, dass man sich nicht körperlich wehrt oder man hat früher schon andere sexuelle Übergriffe erlebt.
von Billerbeck: Oder man befindet sich einfach in Schockstarre.
Clemm: Oder man befindet sich einfach in Schockstarre. Oder, es gibt eben tausend Gründe, warum sich Personen, meist ja Frauen, in solchen Situationen nicht körperlich zur Wehr setzen. Und wenn sie das nur verbal ausdrücken, nur verbal ausdrücken, sage ich mal, und die andere Person führt dennoch sexuelle Handlungen durch, dann soll das auch weiterhin nicht strafbar sein. Das ist die große Kritik.
von Billerbeck: Nun ist es ja oft so, dass vieles, was das Sexualstrafrecht betrifft und die Sexualität überhaupt, das spielt sich in so einer Grauzone ab, wo man eben nicht eindeutig sagen kann, hat sie oder hat sie nicht gesagt oder sich gewehrt. Wie will man das juristisch fassen?

"Beweisschwierigkeiten wird man im Sexualstrafrecht immer haben"

Clemm: Ja, dass es also eine andere Frage ist, wie man das beweisen kann. Beweisschwierigkeiten wird man im Sexualstrafrecht immer haben. Wir haben meistens Situationen im Zweipersonenverhältnis, da steht Aussage gegen Aussage, und dann wird man eben sehen, wem man mehr zu glauben hat, wie man da ansetzt und eben, wie man das beweisen kann. Das haben wir jetzt auch schon.
Wir haben jetzt auch die sexuelle Nötigung, die darin besteht, dass der Täter das Opfer bedroht mit Tötung zum Beispiel. "Ich bring dich um", sagt er. Dafür gibt es am Ende ja auch keine Beweise, dass er das gesagt hat. Da muss man dann darüber nachdenken, wie ist der Sachverhalt, und wem muss man eben nach aussagepsychologischen Kriterien auch glauben oder kann man nicht glauben. Und dann gilt der In-dubio-Grundsatz, und dann wird man eben vielleicht auch eine Straftat nicht verfolgen können oder eben freisprechen.
Das ist so, und das wird auch so bleiben. Die Frage ist nur, ob man das grundsätzliche Signal setzt und sagt: Wir sehen das gar nicht als strafwürdig an.
von Billerbeck: Sie verteidigen ja Opfer sexueller Gewalt. Wie oft erleben Sie denn, dass Täter davonkommen, eben weil auch das Gesetz so ist, wie es ist?

"Gravierend für die Geschädigten"

Clemm: Ich erlebe es immer wieder. Ich erlebe es immer wieder, dass es dann Einstellungsbescheide gibt, die dann eben heißen, wir glauben Ihnen, das ist gar nicht das Problem, wir nehmen den Sachverhalt auch als Problem an, und wir bedauern, dass das Gesetz leider diese [unverständlich] kommt immer wieder vor, und Opfer von solchen Übergriffen… das ist ein weiterer Schlag ins Gesicht. Nicht zu hören, okay, wir haben hier Beweisschwierigkeiten oder was auch immer – das ist ja die eine Sache, das wissen ja die Menschen, dass es eben auch schwierig ist, etwas nachzuweisen. Aber zu sagen, also von unserem Gesetz sehen wir das nicht als strafwürdig an, das ist gravierend für die Geschädigten.
von Billerbeck: Ich habe es gesagt, Sie sind auch Mitglied einer Expertenkommission des Bundesjustizministeriums, die an dieser grundlegenden Reform mitarbeitet. Konnten Sie denn keinen Einfluss auf diesen Entwurf nehmen.
Clemm: Nein. [unverständlich] wirklich nichts zu diesem Entwurf –
von Billerbeck: Sie konnten keinen Einfluss nehmen. Die Telefonleitung ist sehr schlecht, Frau Clemm, deshalb wiederhole ich das.
Clemm: Nein, wir konnten keinen Einfluss nehmen, sondern es war ausdrücklich so, dass das Bundesjustizministerium vorab einen Gesetzentwurf eingereicht hat ohne, also nicht in Abstimmung mit der Expertenkommission.
von Billerbeck: Christina Clemm war das, Rechtsanwältin, über die Lücken auch im neuen Gesetzentwurf zum Sexualstrafrecht, der heute im Bundestag diskutiert wird. Ich danke Ihnen und bitte die Hörer um Entschuldigung für die schlechte Tonqualität.
Clemm: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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