Reduzieren, Wiederverwenden, Recyceln

Werner Boote im Gespräch mit Susanne Führer · 11.12.2009
Filmemacher Werner Boote hat mit "Plastic Planet" einen kritischen Film über das Material Kunststoff gedreht. Selbst Babynuckel und Plastikflaschen beinhalteten zum Teil hochgiftige Substanzen, so der Österreicher. Der Film kommt im Februar in unsere Kinos.
Susanne Führer: Nach der Steinzeit, der Bronze- und der Eisenzeit haben wir jetzt die Plastikzeit. Wir sind Kinder des Plastikzeitalters. So heißt es am Anfang des neuen Films von Werner Boote. In diesem Film namens "Plastic Planet", also Plastikplanet, unternimmt Werner Boote eine Reise quer durch die ganze Welt – von Österreich bis Marokko, von Italien bis China, von Deutschland bis Japan – und findet überall Plastik, oder vornehmer gesagt: Kunststoff. In Deutschland kommt der Film erst im nächsten Jahr in die Kinos, in Österreich, der Heimat des Filmemachers, läuft er schon und hat einige Diskussionen ausgelöst. Nun sitzt Werner Boote hier in unserem Funkhaus vor einem Mikrofon auf einem Stuhl, die zu großen Teilen aus Kunststoff bestehen, hat allerdings das Wasser aus der Plastikflasche abgelehnt. Tag, Herr Boote, schön, dass Sie da sind.

Werner Boote: Vielen Dank für die Einladung!

Führer: Plastik ist ja, wenn man mal auf die guten Seiten zu sprechen kommt, Plastik ist ja ungemein praktisch. Es ist leichter als Glas, es ist viel weniger zerbrechlich, man kann so unendlich viel daraus machen und damit machen. Eigentlich gibt es ja keinen Industriezweig, der ohne Kunststoff auskommt. Also ist es doch irgendwie ein toller Stoff, oder?

Boote: Es ist ein faszinierender Stoff, keine Frage. Mit Plastik sind wir auf dem Mond gelandet, ohne Plastik wären wir schon wahrscheinlich heute hinter dem Mond. Das Problem ist halt, wenn man sich den Kunststoff genauer anschaut, dass dann halt große Probleme klar und deutlich werden. Und ja, meine Reise hat gezeigt und der Film zeigt ja, dass Plastik eine Bedrohung für Mensch und Umwelt ist und wir sehr schnell und deutlich etwas machen müssen.

Führer: Lassen Sie uns mal die einzelnen Punkte ein bisschen besprechen. Sie zeigen in Ihrem Film, dass man gar nicht genau weiß, was eigentlich in dem uns umgebenden Plastikzeug drin ist, das finde ich ja sehr erstaunlich. Nehmen wir mal ein Paket Butter. Was in der Butter drin ist, steht auf der Verpackung drauf, aber was in der Verpackung drinsteckt, steht nicht auf der Verpackung drauf. Wie kommt denn das?

Boote: Na ja, die Kunststoffindustrie ist eine Industrie mit 900 Milliarden Euro Umsatz im Jahr. Industriezweige, wie Sie gesagt haben, sind alle auf Plastik angewiesen, das heißt, da ist ein großes Interesse, dass der Konsument, wir alle, nicht wissen, was da wirklich abgeht in Sachen Kunststoff. Dazukommt, dass halt Substanzen verwendet werden für Kunststoffe, die austreten können und die schwer in Verdacht stehen, für Krebserkrankungen zu sorgen, unfruchtbar zu machen et cetera, et cetera.

Führer: Aber ich verstehe nicht so recht, es gibt ja zum Beispiel immer wieder Meldungen, dass sagen wir mal in Plastikspielzeug aus China irgendwelche Grenzwerte überschritten wurden und deswegen wird ein Importverbot verhängt und so weiter. Das heißt, es gibt doch Grenzwerte und es gibt doch dann offensichtlich auch Erkenntnisse, was in so einem Plastikzeug drin ist? Oder gilt das nur für Spielzeug?

Boote: Na ja, ich bin ja hergegangen und wollte eigentlich einen Film machen, "Plastic Planet" war klar, dass er heißen wird, aber ich wollte eigentlich damit nur zeigen, wir haben sehr viel Plastik um uns herum, dieser Planet hat viel Kunststoff. Dann habe ich mal das erste Produkt testen lassen, chemisch-analytisch testen lassen, und dann ist herausgekommen, dass dieses Produkt – das war ein aufblasbarer Plastikplanet, total zufällig habe ich mir gedacht, jetzt lassen wir den doch mal testen, der eigentlich nur ein Symbol war für den Film – und dann ist rausgekommen, dass da alle Grenzwerte überschritten sind, die es in der EU gibt, dass Schwermetalle drin sind, also dass das ein hochgiftiges Produkt ist. Das war etwas, ein Produkt, das ich einfach so in einem Geschäft gekauft habe, das es in Deutschland in vielen Geschäften gibt. In Italien habe ich es auch gesehen, also in sehr, sehr vielen Ländern.

Führer: Könnte ja ein Einzelfall sein.

Boote: Habe ich mir auch gedacht. Ich bin ja eher der schwere Optimist und denke mir, na ja, das ist eine große Industrie, die sorgt doch gut für uns. Und mein Großvater war ja in der Kunststoffindustrie, der war Geschäftsführer von Interplastik. Also ich habe ein starkes anerzogenes Vertrauen zu Plastik hin. Also in meiner Kindheit war Plastik ja ein fast heiliges Wort. Der Film zeigt ja, also wir haben in 15 verschiedenen Ländern gedreht, der Film hat auch einen großen Schauwert, weil man viele tolle Motive auch sehen kann. Ich habe 700 Studien gesammelt und ausgearbeitet mit einem wissenschaftlichen Team und Journalisten zusammen, also wir haben sehr, sehr viel Arbeit da hineingesteckt, die eigentlich nicht Arbeit eines Filmemachers ist. Also eigentlich ist es ja absurd, dass jetzt ein Film kommen muss und dann kommt endlich eine Aufmerksamkeit auf dieses Thema: Und siehe die Babyschnuller, die Babysauger, die wir im Zuge des österreichischen Kinostarts getestet haben. Wer hätte gedacht, dass in einem Babysauger, noch dazu einem Latex-Babysauger ein Stoff drinnen ist, der schwer im Verdacht steht, krebserregend zu sein? Ich nicht. Die sind ja jetzt schon großteils aus dem Markt genommen worden. Also man sieht, es geht schon, aber es ist trotzdem absurd, dass da ein Film her muss, bis da endlich Bewegung entsteht.

Führer: Der österreichische Filmemacher Werner Boote, der gerade den Film "Plastic Planet" gedreht hat, zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Herr Boote, ein anderes großes Plastikproblem neben den gesundheitlichen Risiken, die Sie gerade aufgezählt haben, ist ja der Müll. Ich habe jetzt mal hier eine Plastiktüte mitgebracht, die ich bei mir im Büro hatte, und da steht drauf: "Diese Tragetasche ist umweltfreundlich. Sie verbrennt ungiftig, in Mülldepots zerfällt sie langsam unter Lichteinfluss, dabei verhält sie sich grundwasserneutral." Wo ist also das Problem mit dem Plastikmüll?

Boote: Man muss dazu sagen, dass die Industrie natürlich ein großes Werbeetat hat. 900 Milliarden Euro Umsatz im Jahr gibt ein gehöriges Werbebudget.

Führer: Das heißt, das stimmt nicht, was da draufsteht?

Boote: Ich würde es mal testen lassen an Ihrer Stelle. Sie können auf unsere Webseite gehen, www.plastic-planet.de, da sind sehr viele Informationen jetzt für den Konsumenten, und wir können auch Kontakte herstellen, dass man Sachen testet. Das Problem ist, dass man einfach testen muss, und es verlangt einfach vonseiten der Konsumenten, vonseiten der Behörden und vonseiten der Industrie eine große Änderung.

Führer: Kommen wir noch mal zum Müllproblem, Herr Boote. Es gibt ja immer mal wieder so schockierende Bilder, zum Beispiel jetzt gerade wieder zu sehen gewesen von einem verendeten Meeresvogel, der den Bauch voller Plastikmüll hatte. Solche Bilder rühren uns ja sehr an, das sollen sie ja auch – man denke an die Robbenbabys –, aber man darf sich auch immer fragen: Wie aussagekräftig sind die eigentlich, also wie groß ist das Problem mit dem Plastikmüll in den Weltmeeren?

Boote: Ich bin mit dem Kapitän Charles Moore zum Nordpazifik Gyre gefahren, von Los Angeles Richtung Hawaii, dort wo er festgestellt hat 1997, dass sechsmal so viel Plastik wie Plankton im Meer schwimmt. Wie wir dort waren – das war vor zwei Jahren –, haben wir Tests genommen, und er hat gemeint, na ja, das hat sich jetzt um einiges erhöht, er stellt sich vor, dass es womöglich 60 zu eins Plastik zu Plankton ist. Das ist die Situation. Die Frage ist: Wie kriegt man es raus?

Führer: Die Frage ist doch erst mal, was ist die Frage, 60 zu eins, also auf 60 Teile Plastik ein Teil Plankton?

Boote: Die Folge ist, dass Fische zum Beispiel sich denken – man darf sich das nicht so vorstellen, dass da jetzt eine Plastiktüte neben einem Plastikschuh, neben einem Plastikanorak, neben Plastikplanen schwimmen, sondern das Plastik zerteilt sich über die Jahre und kommt in so kleinen Flakes unter die Wasseroberfläche, setzt sich ab, schwimmt. Fische halten das Plastik für Plankton, fressen es, bis sie satt sind, und verenden mit vollem Plastikmagen.

Führer: Wer ein Problem aufzeigt, wird ja meistens dann auch gleich um die Lösung gebeten. Was sollten denn jetzt Ihrer Ansicht nach Politik und Industrie unternehmen?

Boote: Sie haben einen entscheidenden Teilnehmer vergessen, das sind wir alle.

Führer: Ja, da komme ich danach noch drauf. Fangen wir mal mit denen an.

Boote: Sagen wir mal so: Es gibt diese drei Rs: Reduce, Reuse, Recycle. Recycle ist ein Problem, das noch nicht wirklich gelöst ist, weil ein recyceltes Plastik ist nicht wirklich hundertprozentig altes Material. Dazukommt, dass nicht mal die Kunststoffindustrie wirklich weiß, was in dem Kunststoff drinnen ist. Ist vielleicht nicht so die gute Lösung. Die andere ist Reuse, Wiederverwenden, ist schon mal ein guter Ansatz, aber ist nicht wirklich das Beste womöglich, weil ich habe früher zum Beispiel immer eine Plastikflasche beim Arbeiten verwendet, die ich immer mit Wasser gefüllt habe. Dann habe ich einmal die erste Studie gelesen, die besagte, desto öfter ich also ein Plastikflasche wiederbefülle, desto mehr Schadstoffe treten in das Wasser, und das ist im Endeffekt wie ein Hormonpräparat, eine Hormonbombe, die ich zu mir nehme. Also bleibt übrig Reduzieren, und das ist etwas, was man sehr gut kann.

Führer: Gut, Herr Boote, es ist ja sicher kein Problem, eine Plastikflasche gegen eine Glasflasche auszutauschen, aber ich wüsste nicht, wie man in diesen computerisierten Zeiten also Computer ohne Plastik erwerben kann, wie man ein Auto ohne Plastik erwerben kann. Wahrscheinlich darf man auch gar kein Auto erwerben, aber wenn man es irgendwie doch braucht ... Wir brauchen uns ja hier nur in diesem Studio umzusehen, wie gesagt, oder die Kameras, mit denen Sie Ihren Film gedreht haben, also es hat doch auch eine gewisse Unausweichlichkeit, oder? Also nur das Vermeiden wird das doch nicht ...

Boote: Es gibt wunderbare Seiten von Kunststoff, keine Frage. Man denke nur an Flugzeuge, man denke, ja, so wie Sie sagen, Autos et cetera. Ich würde nicht auf mein Mobiltelefon verzichten wollen oder meinen Computer. Das geht – also man redet ja nicht von zurück auf 1870 oder so irgendwie –, sondern es geht darum, dass man dafür sorgen muss, dass gefährliche Substanzen nicht in Produkten enthalten sind, die um uns herum sind, die in unserem täglichen Leben vorhanden sind. Und wenn es nicht geht, dass diese Substanzen draußen bleiben, also wenn diese Substanz, diese gefährlichen Substanzen unbedingt eingesetzt werden müssen, dann muss man es halt eben draufschreiben, also vor allem, wenn es um Kinderprodukte oder Babyprodukte geht, dann will ich doch wissen, was ich meinem Kind da für ein Produkt in den Mund stecke zum Beispiel und was da für Substanzen austreten können. Ich meine, natürlich, die Industrie will sich da jetzt nicht wirklich viel bewegen, weil das ist auch eine Kostenfrage. Jeder Tag, den gewisse gefährliche Substanzen auf dem Markt bleiben, bringt auch viel Geld. Und da ist natürlich ein großes Interesse da, das so gut wie möglich unter den Teppich zu kehren. Aber ich denke mir, dass das jetzt nimmermehr geht. Ich glaube, dass der Konsument oder dass wir halt langsam aufmerksam werden. Und nicht nur die Kunststoffindustrie ist vernetzt, sondern dank dem Plastikcomputer sind wir jetzt auch ganz gut vernetzt. Ja!

Führer: Der österreichische Filmemacher Werner Boote zu Gast im Deutschlandradio Kultur. Sein Film "Plastic Planet" startet in Deutschland am 25. Februar, und vorher kann man schon mal auf die vorhin doch schon mal erwähnte Homepage gucken, www.plastic-planet.de. Danke für Ihren Besuch, Herr Boote!

Boote: Vielen Dank!