Rechtsruck und Abschottung

Ist Europa ein Auslaufmodell?

Europaflaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel
Europaflaggen vor der Europäischen Kommission in Brüssel © dpa / picture alliance / Daniel Kalker
Evelyn Roll und Jan Techau im Gespräch mit Matthias Hanselmann · 21.05.2016
War es das mit der europäischen Idee? Fliegt uns Europa gerade um die Ohren? Was können wir tun, um Europa wieder auf die Beine zu helfen? Darüber diskutieren wir mit Evelyn Roll, leitende Redakteurin der "Süddeutschen Zeitung", und Jan Techau, Direktor des Thinktanks "Carnegie Europe" in Brüssel.
Europa schwächelt: Angriffe von allen Seiten, ob durch den drohenden "Brexit", den Dauerpatienten Griechenland, den Rechtsruck in Ungarn, Polen oder Österreich. Dazu kommt der anhaltende Druck durch die Flüchtlingskrise. Von der viel gepriesenen europäischen Solidarität ist nicht mehr viel übrig – es herrschen Kleinstaaterei und Nationalismus.
War es das mit der europäischen Idee? Ist Europa ein Auslaufmodell? Was können wir tun, um Europa wieder zu stärken?
"Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Nationalismus", warnt die Journalistin Evelyn Roll in ihrer Streitschrift "Wir sind Europa!"
"Mit populistischen Dummheiten, nationalistischen Abschottungsfantasien, Verschwörungstheorien und Scheinlösungen sammeln sie die Stimmen der von den globalen Herausforderungen Überforderten, Verängstigten, der Denkfaulen und Verbitterten. Sie wollen vor allem eines: An die Macht. Und dann? Europa abschaffen."
Das will die überzeugte Europäerin verhindern. Sie will die Bürger aufrütteln, das aufgeklärte Europa zu verteidigen. Sie sollen aktiv werden und die Politiker in die Pflicht nehmen: "Wer jetzt nicht aktiv wird, darf sich später nicht beschweren."
Eine ihrer Ideen: Eine Bürgerbewegung für Europa, bei der sich Bürger aller EU-Länder vernetzen. "Man kann eh nichts tun? Stimmt nicht. Wenn die überzeugten Europäer aller Länder gemeinsame Sache machen, sind sie stärker als die Populisten."

Gesamteuropäische Wahlen als Lösung?

"Wir haben es nicht mit einem Scheitern der europäischen Idee selbst zu tun", sagt Jan Techau, Direktor des Thinktanks "Carnegie Europe" in Brüssel, einer der einflussreichsten Denkfabriken weltweit.

"Die Idee selber hat ihren Ausdruck ja in dem täglichen Tun, und die Notwendigkeit für Zusammenarbeit und Integration ist ja eigentlich groß."

Derzeit erlebe Europa allerdings einen Globalisierungsdruck nie gekannten Ausmaßes. Die EU und auch die Mitgliedsländer kämen kaum nach. Europa stehe zudem vor vielen dringenden Aufgaben:

"Lastenteilung in der Flüchtlingspolitik, Polizeizusammenarbeit bei der Verbrechensbekämpfung, Sicherung der Außengrenzen, gemeinsame Energiepolitik, Vollendung des Binnenmarktes, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – dies sind nur einige Beispiele für den dringenden gemeinsamen Handlungsbedarf in Europa."

Eine der wichtigsten Aufgaben der Politiker sei, die Bürger bei all dem mitzunehmen:

"Die Bürger müssen ernsthaft beteiligt werden. Die Wähler spüren, dass sie mit ihrer Stimmabgabe Europa nur höchst indirekt mitgestalten. Nur gesamteuropäische Wahlen können das ändern – wenn es bei ihnen wirklich um die Macht geht, etwa um die Direktwahl eines Präsidenten oder die Bestimmung einer Mehrheit im Parlament, auf die sich eine Regierung stützt."

Rechtsruck und Abschottung - Auslaufmodell Europa?
Darüber diskutiert Matthias Hanselmann heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Evelyn Roll und Jan Techau. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de – und auf Facebook und Twitter.
Informationen im Internet über Jan Techau: http://carnegieeurope.eu/experts/?fa=582
Literaturhinweis:
Evelyn Roll: Wir sind Europa!
Ullstein Verlag, 2016

Hörerinnen und Hörer können sich an der Diskussion beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandradiokultur.de – und auf Facebook und Twitter.

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