Rechtspopulismus

Mehr Gelassenheit im Umgang mit der AfD

Plakat der AfD im hessischen Kommunalwahlkampf
Plakat der AfD im hessischen Kommunalwahlkampf © dpa / picture alliance / Alexander Heinl
Kai Arzheimer im Gespräch mit Katrin Heise · 12.03.2016
Ob die AfD am Sonntag noch in drei Landesparlamente mehr einzieht oder nicht, ist für den Parteienforscher Kai Arzheimer nicht die entscheidende Frage. Wichtiger sei, in welche inhaltliche Richtung die AfD drifte und welcher Parteilinie sich durchsetze.
Mit Sorge blicken viele auf die Landtagswahlen am Sonntag, vor allem weil mit einem sehr guten Abschneiden der AfD zu rechnen ist.
Der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer, Professor für Innenpolitik und Politische Soziologie an der Universität Mainz, rät zu mehr Gelassenheit:
"Auch jetzt ist es ja so, dass die AfD schon in einigen Landesparlamenten vertreten ist. Ob diese zwei westdeutschen und ein ostdeutsches Parlament jetzt noch dazu kommen oder nicht, ist vielleicht gar nicht so eine entscheidende Frage."

Ost-AfD ist nicht gleich West-AfD

Für ihn sei wichtiger, so der Mainzer Politikwissenschaftler, welche Linie sich innerhalb der Partei durchsetze. Das sei im Moment noch nicht ausgemacht. "Mein Eindruck ist, dass die jetzige Parteiführung unter Druck steht eigentlich von beiden Seiten, sowohl von den Moderaten als auch von den radikaleren Kräften, die es ja gibt." Auch zwischen ostdeutscher und westdeutscher AfD seien Unterschiede zu erkennen.

Ein Boykott der AfD hilft dieser nur

Hinsichtlich des Umgangs mit der AfD warnt Arzheimer, mit aggressivem Bekämpfen oder der Weigerung, an Podien teilzunehmen, wenn dort auch ein AfD-Vertreter sitze, erreiche man eher das Gegenteil. Dadurch bekomme die Partei Aufmerksamkeit, und sie und ihre Wähler sähen sich in ihrer Opferrolle bestätigt. Man solle sich vielmehr dort, wo es möglich ist, argumentativ mit der AfD auseinandersetzen, so der Politikwissenschaftler.

Das Interview im Wortlaut:
Katrin Heise: Die AfD ist momentan in fünf Landesparlamenten vertreten und am Montag aller Wahrscheinlichkeit nach in acht Parlamenten hier in Deutschland. Wenn die Umfragen Recht behalten, dann könnten sie im zweistelligen Bereich gewählt werden, in Sachsen-Anhalt sogar mit 18, 19 Prozent.
Was sagen solche Zahlen für die Zukunft? Vielleicht ja, dass rechtspopulistische Parteien in Deutschland sich doch auf Dauer etablieren können, oder zumindest diese hier. Oder wird es wieder ein Höhenflug mit baldigem Absturz? Da erinnern wir uns ja vielleicht an die DVU, an die Republikaner oder die NPD. Am Telefon ist Kai Arzheimer. Er ist Professor für Innenpolitik und Politische Soziologie an der Uni Mainz, beobachtet seit Langem die Wähler der Rechtsextremen. Schönen guten Tag, Herr Arzheimer!
Kai Arzheimer: Schönen guten Tag!

Aufregerthemen Asyl und Migration

Heise: Vergleichen wir mal die Stimmung, die zur Wahl von rechtspopulistischen Parteien führte. Was waren die Gründe für den Erfolg damals von Republikanern, von DVU oder auch der Schill-Partei?
Arzheimer: Bei Republikanern und DVU entzündete sich das in den 90er-Jahren ähnlich wie heute an gestiegenen Zahlen von Asylbewerbern und Zuwanderern. Allerdings waren die Zahlen damals deutlich niedriger, die Aufregung war aber mindestens genauso groß.
Bei der Schill-Partei hatte das eher lokale Ursachen. Die Schill-Partei war ja auf Hamburg beschränkt und hat sich sehr stark abgearbeitet an Problemen mit Kriminalität in manchen Stadtteilen, auch mit Zuzügen von Fremden in manche Stadtteile, aber die hatte eigentlich kein bundespolitisches Profil und ist dann ja bei der Ausbreitung auf die Bundesrepublik auch gescheitert.

Rechte Parteien häufig sich selbst der schlimmste Feind

Heise: Und langfristig halten konnte sich aber eigentlich keine in den Parlamenten. Woran liegt das denn? Sind die gut bekämpft von den anderen Parteien, sage ich jetzt mal so, oder sind die Themen abgeräumt?
Arzheimer: Die Themen waren zum Teil dann abgeräumt dadurch, dass die Asylbewerberzahlen in den frühen 90er-Jahren nach dem sogenannten Asylkompromiss sehr stark zurückgegangen sind. Das war sicher ein Faktor. Ein anderer wesentlicher Faktor ist, dass in diesem rechten Lager in Deutschland die Rechtsparteien eigentlich selbst immer ihre schlimmsten Feinde waren. Das heißt, die haben sich häufig gegenseitig Konkurrenz gemacht. Gerade in Hamburg traten dann NPD und DVU gegeneinander an, und auch innerhalb der Parteien waren die sehr oft sehr zerstritten bzw. haben Leute angezogen, mit denen einfach keine Politik zu machen war.
Wie das jetzt mit der AfD aussieht, ist natürlich eine andere Frage, denn erstens scheint da momentan eine gewisse Einigkeit hergestellt zu sein, und zweitens ist die AfD natürlich momentan auch nicht so stark durch die Verbindung zum Rechtsextremismus kontaminiert, wie das bei DVU und NPD und mit Abstrichen auch bei den Republikanern immer der Fall war.

Verbindung mit dem Nationalsozialismus schreckt sogar rechte Wähler ab

Heise: Denn dieses Argument, zu rechtsextrem, führt bei den Wählern dazu, dass sie die dann doch langfristig nicht an der Macht haben wollen?
Arzheimer: Ja. Das führt erstens dazu, dass diese Parteien ja eigentlich nie für größere Teile der Wählerschaft wählbar waren. Eine Ausnahme waren vielleicht am Anfang noch die Republikaner, die ja in Baden-Württemberg sehr stark waren. Aber auch die hatten dann mit Einbrüchen zu rechnen. Und vor allen Dingen ist es auch so, dass gerade die Verbindung mit dem Nationalsozialismus extrem abschreckend wirkt, selbst auf Menschen, die sich selbst als rechts bezeichnen würden und ein Problem mit Zuwanderung haben.
Heise: Jetzt würden Sie also sagen, so extrem ist die AfD nicht, wobei einzelne Äußerungen ja doch als sehr extrem eingeschätzt werden. Wenn ich das, was Sie jetzt gesagt haben, zusammenfasse, dann schließe ich daraus, die AfD könnte einen anderen Weg gehen, nicht kurzer Aufstieg und gleich wieder Fall, sondern die könnten sich schon dauerhaft etablieren?
Arzheimer: Ich glaube, das wird von zwei Faktoren abhängen. Der eine Faktor ist mit Sicherheit die Frage, welche Linie, welcher Flügel sich in der AfD durchsetzt. Das ist für mich momentan überhaupt noch nicht ausgemacht. Mein Eindruck ist, dass die jetzige Parteiführung unter Druck steht eigentlich von beiden Seiten, sowohl von den moderaten als auch von den radikaleren Kräften, die es hier gibt. Und wie das ausgeht, wird einfach die Zeit zeigen.

Flüchtlingsthema wird über langfristigen Erfolg der AfD entscheiden

Der zweite Punkt ist natürlich dieses Flüchtlingsthema. Wir hatten vor ungefähr einem Jahr die AfD in den Umfragen bei unter fünf Prozent. Das hing sicher damit zusammen, dass die Partei als sehr zerstritten wahrgenommen wurde, aber das hing auch damit zusammen, dass das große Thema, von dem sie jetzt profitiert, damals einfach noch kein Thema war. Und wenn wir jetzt hypothetisch davon ausgehen, dass in zwei oder drei Jahren oder vielleicht auch schon in einem Jahr diese Flüchtlingssituation nicht mehr so im Vordergrund der Berichterstattung steht, wird mit Sicherheit auch die AfD Einbußen hinnehmen müssen.
Heise: Auf der anderen Seite waren die ja auch durchaus flexibel. Ganz am Anfang war es ja der Euro, die Euroskepsis, die – und eines muss man ja bedenken: Bei den Landtagswahlen werden die ja tatsächlich sehr wahrscheinlich eine kritische Größe überschreiten. Das heißt, sie bekommen mehr Geld, und sie bekommen auch mehr Einfluss in den Parlamenten, durch mehr Redezeit beispielsweise.
Arzheimer: Das ist völlig richtig, was Sie sagen, wobei man beim Eurothema gewisse Abstriche machen muss, denn das hat selbst auf dem Höhepunkt der Eurokrise niemals diese Mobilisierungskraft erreicht. Und ein großer Teil des Führungsstreites in der AfD, bevor Lucke ausgeschieden ist, drehte sich ja um die Frage, wie wichtig ist eigentlich die Kritik am Euro, am Eurosystem, wie wichtig sind diese wirtschaftsliberalen Forderungen, und wie wichtig ist das andere große Thema, mit dem sie jetzt punkten.
Von daher würde ich denken, wenn sich die Flüchtlingsproblematik tatsächlich abschwächt, wird das der AfD schon schaden. Die werden nicht einfach auf ein neues Thema ausweichen können. Und auch jetzt ist es ja so, dass die AfD schon in einigen Landesparlamenten vertreten ist. Ob diese zwei westdeutschen, ein ostdeutsches Parlament jetzt noch dazukommen oder nicht, ist vielleicht gar nicht so eine entscheidende Frage, sondern ich glaube, wichtig ist, welche Linie sich in der Partei durchsetzt. Und da sind die Unterschiede auch gerade zwischen Ost und Westdeutschland ja schon zu erkennen.

"Aggressives Bekämpfen" der AfD erreicht nur das Gegenteil

Heise: Jetzt mal außerhalb der Partei geguckt: Wie sollen denn die anderen Parteien, die etablierten Parteien mit der AfD umgehen? Sollen sie darauf warten, dass das geschieht, was Sie voraussehen, oder sollen sie sie aggressiv bekämpfen?
Arzheimer: Ich glaube, mit dem Aggressiv-bekämpfen und mit dem Nicht-aufs-Podium-Setzen, wenn da jemand von der AfD sitzt, erreicht man eigentlich eher das Gegenteil, denn das gibt der Partei Aufmerksamkeit und man bringt die AfD damit auch in so eine Opferrolle, in der sich die Partei und ihre Wähler ja selbst sehen. Von daher bestätigt das eigentlich nur das, was die AfD sowieso schon kommuniziert. Also ich denke, man sollte mit der AfD vielleicht etwas gelassener umgehen und sich durchaus auch dort, wo das möglich ist, argumentativ mit ihr auseinandersetzen. Auf der anderen Seite gibt es natürlich in der AfD immer wieder Grenzüberschreitungen, ganz gezielte Provokationen, und das ist dann, glaube ich, auch der Punkt, wo man durchaus aufstehen und das Podium verlassen kann.
Heise: Sagt der Politikwissenschaftler Kai Arzheimer zur Zukunft der AfD und dem Umgang mit ihr. Danke schön, Herr Arzheimer!
Arzheimer: Sehr gern!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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