Rechtsextremismus "nicht engagiert genug verfolgt"

Eva Högl im Gespräch mit Ute Welty · 03.07.2012
Eva Högl, SPD-Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages, geht davon aus, dass sich die Hintergründe der Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz noch aufklären lassen. Es gebe sogenannte Löschungsprotokolle, erläuterte sie.
Ute Welty: Wenn heute der Untersuchungsausschuss zum nationalsozialistischen Untergrund und zum Rechtsterrorismus zusammenkommt, dann wird es an Fragen nicht mangeln. Verfassungsschutzpräsident Hans Fromm hat um seine Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand gebeten. Mit anderen Worten, er tritt zurück. In seiner Behörde sind Akten zum NSU geschreddert worden, offenbar kurz, nachdem sich Beate Zschäpe der Polizei gestellt hat. Zschäpe und ihre Komplizen stehen im Verdacht, zehn Menschen aus rechtsradikalen Motiven ermordet zu haben. Für die SPD sitzt Eva Högl als Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen, Frau Högl!

Eva Högl: Schönen guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Wann genau die Akten vernichtet worden sind, darüber gehen heute Morgen die Darstellungen auseinander. Sehen Sie eine Chance, den Zeitpunkt des Schredderns im Nachhinein genau feststellen zu können?

Högl: Selbstverständlich. Es gibt im Bundesamt für Verfassungsschutz sogenannte Löschungsprotokolle, wie ich mir habe sagen lassen, und außerdem werden wir am Donnerstag voraussichtlich den Referatsleiter, der die Vernichtung der Akten veranlasst hat, als Zeugen hören. Das habe ich angeregt unmittelbar nachdem die Vernichtung bekannt wurde. Und soweit ich das jetzt schon sagen kann, habe ich dafür Zustimmung bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Untersuchungsausschuss bekommen.

Welty: Steht denn auch fest, ob der Mann kommt und ob er reden darf?

Högl: Soweit ich weiß, wird er kommen und darf dann auch reden. Alles weitere müssen wir heute Morgen klären. Wir haben dazu heute Morgen eine Beratungssitzung und werden die weiteren Details miteinander besprechen.

Welty: Am Donnerstag kommt auch Heinz Fromm. Ist ein zurückgetretener Verfassungsschutzpräsident ein aussagefreudigerer Zeuge als ein amtierender?

Högl: Das kann ich nicht sagen, Frau Welty, ob das so ist. Ich hoffe auf jeden Fall, dass Herr Fromm einiges dazu beitragen wird, Licht in das Dunkel zu bringen, nicht nur in die Vernichtung der Akten, sondern auch in die Hintergründe der Zwickauer Terrorzelle. Ich verspreche mir von Herrn Fromm auch, dass er uns etwas darüber sagt, warum die Zwickauer Terrorzelle 14 Jahre lang untertauchen konnte und niemals ins Visier der Sicherheitsbehörden geriet.

Welty: Was genau werden Sie von ihm wissen wollen, wie bereiten Sie sich auf Ihren Frageanteil vor?

Högl: Zunächst mal wird es sicherlich um die Vernichtung der Akten gehen, das ist natürlich jetzt das Aktuelle, was uns alle interessiert, und wir werden den Referatsleiter auch vor Herrn Fromm hören, sodass wir dann unmittelbar darauf Bezug nehmen können, was er gesagt hat, und ansonsten befinden wir uns jetzt im Untersuchungsausschuss mit unserer Arbeit bei den Morden. Das heißt, wir widmen uns der Reihe nach jedem Tatort, und ich werde sicherlich ganz viel dazu fragen, welche Erkenntnisse das Bundesamt für Verfassungsschutz zu den einzelnen Morden hatte, und was das Bundesamt für Verfassungsschutz dazu beitrug, die Hintergründe der Morde aufzuklären.

Welty: Wenn Akten geschreddert werden, wie groß ist dann die Gefahr, dass auch Löschungsprotokolle zum Beispiel manipuliert werden?

Högl: Ja, das ist natürlich eine große Gefahr, und ich weiß auch ganz genau, dass diese Vernichtung der Akten natürlich Spekulationen nähren, und das ist alles nicht gut. Und ich will Ihnen auch ganz offen sagen, ich hoffe nicht, dass mit der Vernichtung der Akten etwas vertuscht werden sollte, und dass ...

Welty: Und wieso sollte man sie ansonsten vernichten?

Högl: Na ja, das werden wir mal rausfinden. Es gibt ja auch Vorschriften, nach denen Akten nach einer bestimmten Zeit vernichtet werden müssen. Ich weiß nicht, ob es Dusseligkeit oder Doofheit des Referatsleiters war, oder ob es Vorsatz war. Deswegen möchte ich ihn dazu auch hören, um zu erfahren, was sein Motiv war, ausgerechnet am 11.11.2011 unmittelbar nachdem bekannt wurde, dass die Zwickauer Terrorzelle die Morde begangen hat, diese wichtigen Akten zu vernichten.

Welty: Erst der Bundesnachrichtendienst, jetzt der Verfassungsschutz – die deutschen Geheimdienste stehen in den letzten Jahren fast kontinuierlich in der Kritik. Was muss sich Ihrer Meinung nach in diesem Bereich ändern?

Högl: Wir können schon jetzt feststellen, dass wir auf jeden Fall eine viel bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den Bundesländern, zwischen den Bundesländern und auf der Bundesebene brauchen, das ist das Erste. Ansonsten halte ich mich zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Forderungen, was wir alles verändern müssen, noch zurück, weil ich zunächst alles lückenlos im Untersuchungsausschuss aufarbeiten und aufklären möchte, und dann als zweiten Schritt Forderungen entwickeln möchte.

Aber ich kann schon eines sagen, die Sicherheitsbehörden hinterlassen keinen guten Eindruck. Sie haben flächendeckend versagt in diesem Fall, und ich erwarte von den Sicherheitsbehörden im Bund und in den Ländern auch eine Mitwirkung daran, dass wir hieraus die richtigen Schlussfolgerungen ziehen.

Welty: Hat auch das Parlament versagt und die parlamentarische Kontrolle?

Högl: Natürlich, wenn solche Fehler gemacht werden, dann hat auch die parlamentarische Kontrolle versagt, auch da müssen wir drüber nachdenken, was bekommt das Parlament überhaupt an Informationen, wie transparent ist die Arbeit der Sicherheitsbehörden. Und auch das ist sicherlich ein Punkt, den es zu verbessern gilt.

Welty: Wie wollen Sie sicherstellen, dass Kontrolle gewährleistet ist, ohne die Effektivität eines Geheimdienstes einzuschränken? Denn Kontrolle hat ja auch immer etwas mit Öffentlichkeit zu tun, während das Wesen eines Geheimdienstes darin besteht, nicht öffentlich zu agieren.

Högl: Ganz genau, und natürlich sind da bestimmte Grenzen gesetzt. Andererseits bin ich eine Vertreterin derjenigen, die sagen, je mehr Transparenz, umso besser. Also wir müssen natürlich ganz genau noch mal schauen, ob wir diese ganze Geheimhaltung brauchen, auch ob wir die ... also ich kann schon jetzt sagen, dass sicherlich auch die Führung von V-Leuten und ihre Auswahl auf den Prüfstand gehört, aber wie gesagt, das schau ich mir noch mal ganz genau an, das wird in zweiten Schritt dann unsere Aufgabe sein. Aber da liegt einiges im Argen bei unseren Sicherheitsbehörden, das ist nicht gut, ich hatte mir das anders vorgestellt, aber diese schreckliche Mordserie deckt auch viele Fehler und ein gewaltiges Versagen auf.

Welty: Hätte man diese ganzen Konsequenzen nicht auch schon eben nach dem sogenannten BND-Untersuchungsausschuss weiter vorantreiben können?

Högl: Selbstverständlich hätte man schon früher die Sicherheitsbehörden anders aufstellen müssen. Jetzt haben wir die Chance dazu, dann müssen wir diese Chance auch nutzen, und es sind in den Jahren insgesamt eine Reihe von Fehlern auch struktureller und organisatorischer Art gemacht worden, und ich kann schon jetzt sagen, dass das Thema Rechtsextremismus bagatellisiert wurde, nicht engagiert genug verfolgt wurde, und das zeigt sich an einigen Dingen, zum Beispiel an der Zusammenlegung der Abteilungen Links- und Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz. Auch das drückt aus, dass Rechtsextremismus nicht den Stellenwert gehabt hat, den er auf jeden Fall haben muss in unseren Sicherheitsbehörden.

Welty: Eva Högl, SPD-Obfrau im Untersuchungsausschuss zum Rechtsterrorismus. Ich danke für das Interview an dieser Stelle!

Högl: Ich danke auch, einen schönen Tag, Frau Welty!

Welty: Danke, auch!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.



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Verfassungsschutz weiter im Visier - NSU-Aktenvernichtungsaffäre empört Politiker, (Deutschlandradio, Aktuell vom 3.7.2012)
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