Rechtsextremismus

Meldesystem für antisemitische Vorfälle

Der Spruch "Gegen jeden Antisemitismus!" prangt an einer Toilettenwand der Philipps-Universität in Marburg.
Der Spruch "Gegen jeden Antisemitismus!" prangt an einer Toilettenwand der Philipps-Universität in Marburg. © picture alliance / dpa/ Arne Dedert
Von Thomas Klatt · 07.10.2016
Erfahrungen mit Antisemitismus werden von Juden nur selten angezeigt - und bleiben somit oft für die nicht-jüdische Bevölkerung unsichtbar. Das soll in Zukunft anders werden.
"Zuvorderst ist es eine allgemeine Sorge vor negativen Konsequenzen als Jude oder Jüdin in die Öffentlichkeit zu treten und auch ein Unbehagen mit einer eigenen Opferrolle. Dass Betroffene versuchen das ihnen Widerfahrene klein zu reden: Das war jetzt nicht so schlimm. Was meinen Großeltern oder vielleicht sogar noch meinen Eltern vielleicht in Russland passiert ist war viel viel schlimmer und deswegen ist die Situation jetzt relativ o.k. und ich mache jetzt hier kein großes Ding draus."
Benjamin Steinitz von der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS), weiß, dass nur die wenigsten antisemitischen Vorfälle gemeldet werden. Seit dem Start der Online-Meldestelle im Juli 2015 wurden zwar über 200 Vorfälle aus Berlin und anderen Bundesländern mitgeteilt. Aber das Dunkelfeld sei weit größer. Ein Problem: Wenn Anzeigen bei der Polizei gemacht würden, gebe es selten Ermittlungserfolge. Die RIAS-Meldestelle und das Kompetenzzentrum für Prävention und Empowerment der Zentralwohlfahrtstelle der Juden ZWST haben jetzt eine engere Zusammenarbeit beschlossen. Gemeinsam ermutigen sie dazu, jeden Fall von Alltags-Antisemitismus anzuzeigen, egal ob Hass-e-mails oder Beschimpfungen als "Du Jude!" auf dem Schulhof.
"Uns sind Fälle bekannt, bei denen die Entscheidung der Betroffenen sich zu wehren, den Antisemitismus nicht mehr hinzunehmen, sowohl im schulischen, im privaten aber auch im beruflichen Umfeld zu sehr sehr negativen Erfahrungen auch auf Seiten der nicht-jüdischen Beteiligten geführt hat. Das sind Abwehrreaktionen, eine Form der Nichtanerkennung des benannten Antisemitismus als Antisemitismus. Es wird als etwas anderes dargestellt, als eine Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man Antisemitismus de-thematisieren kann in so einer Situation. Es wird auch häufig, das ist dann schon so eine Form des Gegenangriffs, wird den Betroffenen gesagt, sie würden zu überempfindlich reagieren auf diese Situation."

Maß antisemitischer Angriffe nehme eher zu als ab

Die Geschäftsführerin des Vereins für Demokratische Kultur, Bianca Klose, hofft nun, dass das Berliner Meldesystem zum Vorbild für ganz Deutschland wird.
"Wir sind sehr froh, dass gerade diese herausragende Arbeit von RIAS durch das Landesprogramm gegen Rassismus und Rechtsradikalismus und Antisemitismus in Berlin gefördert wird und damit muss man betonen, dass Berlin in einer Vorreiterrolle ist. Das ist die erste bundesweit arbeitende Online-Meldestelle. Wir möchten mit dieser Kooperation vor allem die Erfahrungen der Juden und Jüdinnen mit Antisemitismus sichtbarer machen.
Das Meldesystem soll vor allem in jüdischen Gemeinden noch bekannter gemacht werden, verspricht ZWST-Direktor Benjamin Bloch. Denn das Maß antisemitischer Angriffe nehme eher zu als ab.
"Ich hätte mir nicht vorgestellt, dass 70 Jahre danach wir hier nötig haben werden. Es scheinen sich die Zeiten verändert zu haben und das erfüllt uns ab und zu mit Sorge."
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