Rechtsextremismus

"Ein neues, weitläufiges Täterfeld"

Neonazis marschieren in Dresden mit einem Transparent, das an die Bombennacht vom 13 Februar 1945 erinnert
Die rechte Ideologie verbindet: Es gibt laut Bernd Wagner eine Vielzahl rechtsextremistischer Gruppierungen, die unterschiedlich stark radikalisiert seien. © picture alliance/dpa/Arno Burgi
Bernd Wagner im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 26.01.2017
Die Zahlen haben viele aufgeschreckt: Über 12.000 gewaltbereite Rechtsextremisten soll es laut Sicherheitskreisen in Deutschland geben. Bernd Wagner von der Aussteiger-Initiative "EXIT-Deutschland" findet das nicht überraschend.
Aufgrund seiner Kontakte zu Personen aus dem "rechtsextremistischen Aktionsfeld" weiß Wagner, dass die Szene Zuwächse verzeichne:
"Es datiert ja nicht erst seit heute, im Jahr 2017, sondern der Trend hält ja schon länger an."
Deutlich werde die Entwicklung an dem "drastischen Anstieg der Straftaten". Allerdings würden nicht alle Straftaten, die als rechtsextrem eingestuft würden, von erkannten Rechtsextremisten ausgeübt. Vielmehr sei ein "neues, weitläufiges Täterfeld" entstanden, das aus einer ideologischen Motivation heraus handele:
"Aber gleichwohl sind natürlich dort Alarmsignale verpackt, die auf eine ansteigende Militanz auch der organisierten Rechtsextremisten hinweisen."

Gruppierungen in unterschiedlichen Radikalisierungsstufen

Nach den Beobachtungen Wagners gibt es ein fast wie ein "Flickenteppich anmutendes Arsenal von Gruppierungen", die sich in unterschiedlichen Radikalisierungsstufen befänden. Dazu zählten "Leute mit Militanzvorstellungen, die sich in eine Art Widerstand gegen den Staat" begeben hätten, aber auch weniger aktive Gruppen:
"Eines ist aber allen gemein: die Ideologie, das Selbstbild und natürlich auch der Hass auf die Demokratie und auf Menschen, die in ihr Feindbildraster passen."
Wagner kritisierte, dass es bisher zu wenige konkret ausgerichtete Präventionsprogramme innerhalb des Rechstextremismus gebe:
"Genau an dieser spezifischen Strategie, konkrete Gruppenzusammenhänge mehr in den Blick zu nehmen und Deradikalisierungsinitiativen zu starten - da muss noch hart daran gearbeitet werden."

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Es ist nicht nur der Rechtspopulismus, der gewachsen ist, klar zählbar und sichtbar in Wählerstimmen in Deutschland, es ist offenbar auch die rechtsextreme Szene, weniger sichtbar. Über 12.000 gewaltbereite Extremisten soll es aktuell geben, Zahlen, die aus Sicherheitskreisen durchgesickert sind. Und kurz nachdem das geschah, kam es gestern im Laufe des Tages bundesweit zu Razzien, im Visier dabei auch so genannte Reichsbürger, also Menschen, die gedanklich noch immer in der NS-Zeit stecken.
Eine unappetitliche Welt, mit der sich Bernd Wagner seit Jahren beschäftigt, der ehemalige Kriminalist und Gründer von Exit-Deutschland, einer Initiative, die Menschen hilft, aus der rechtsradikalen Szene auszusteigen. Herr Wagner, guten Morgen!
Bernd Wagner: Einen recht schönen guten Morgen!
Frenzel: Diese wachsende Zahl gewaltbereiter Rechtsextremer, die Öffentlichkeit hat erschrocken darauf reagiert. Sind Sie auch überrascht oder war das für Sie, der Sie näher dran sind, abzusehen?
Wagner: Also, mich hat diese Lage, die jetzt immer mehr sichtbar wird, nicht überrascht. Weil ich das in der Tat ja seit Jahren nun beobachte, Kontakte zu Personen habe, die im rechtsextremistischen Aktionsfeld eingebunden waren und die natürlich auch Bericht geben über das, was sie dort erlebt haben, was sie an Zuwächsen spüren, was sie auch selber gesehen und gehört haben. Insofern hat mich jetzt also diese Darstellung nicht sonderlich überrascht.
Frenzel: Sie sagen, sie ist sichtbarer geworden. Woran liegt das? Daran, dass sie auch militanter, offensiver auftritt?

Alarmsignale für eine steigende Militanz

Wagner: Es zeigt sich einmal an dem drastischen Anstieg der Straftatenzahlen. Nun ist ja bekannt, dass nicht alle Straftaten, die als rechtsextrem eingestuft werden, von erkannten Rechtsextremisten ausgeübt wurden, sondern auch ein neues weitläufiges Täterfeld entstanden ist, welches aus ideologischer Motivation handelt, ohne direkt in rechtsextreme Gruppenzusammenhänge eingebunden zu sein.
Aber gleichwohl sind natürlich dort Alarmsignale verpackt, die auf eine ansteigende Militanz auch der organisierten oder der organisierteren Rechtsextremisten hinweist. Also, da hat sich schon einiges in den letzten Jahren ergeben. Also, es datiert ja nicht erst seit heute, im Jahr 2017, sondern der Trend hält ja schon länger an.
Frenzel: Das heißt, nicht der dumpfe Skinhead, der irgendwo jemanden zusammenschlägt, sondern wirklich, ja, fast schon terroristisch organisierte Gewalt, ist das diese neue Qualität, die Sie beschreiben?
Wagner: Es gibt ein sehr buntes, fast Flickenteppich anmutendes Arsenal von Gruppierungen, die in unterschiedlichen Radikalisierungsstufen sich befinden, also in Entwicklungszusammenhängen sich befinden, von hoch radikalisierten, schon in der Nähe des Terrors sich geistig, aber auch in dem allgemeinen Gruppenleben aufhaltenden Gruppierungen, Leute, die sich versuchen, mit Militanzvorstellungen in eine Art Widerstand gegen den Staat, aber auch gegen die demokratische Kultur zu begeben, es gibt niederschwellig radikalisierte und auch weniger aktive Gruppen.
Allen ist aber eins gemein: die Ideologie, das Weltbild und natürlich auch der Hass auf die Demokratie und natürlich auch auf Menschen, die in ihr Feindbildraster passen.

Reichsbürger begeben sich in Kämpfe

Frenzel: Eine wichtige Gruppe, die ja offenbar immer größer wird oder zumindest Zulauf hat, sind die so genannten Reichsbürger. Wir haben jetzt gerade vor ein paar Minuten hier im O-Ton den Bundesinnenminister Thomas de Maizière gehört, der sagt, na ja, wir haben das alles ziemlich gut unter Kontrolle, im Grunde wissen wir, was da passiert, und können das einhegen. Haben Sie den Eindruck, dass das stimmt?
Wagner: Ja, über die Kontrollqualität, darüber kann ich jetzt relativ wenig sagen, da bin ich auch sehr verhalten in meinem Urteil. Auffällig ist natürlich, wenn man jetzt das Wort Kontrolle noch mal nimmt, dass Reichsbürger immer laut von sich geben. Das heißt, sie begeben sich aufgrund ihrer Vorstellung von Staat, Gesellschaft, Geschichte, auch deutscher Geschichte, immer in die Lage, dass sie direkt den Staat angreifen. Also, sie müssen ja, um Reichsbürger zu sein, sich in Kämpfe hineinbegeben mit Verwaltungen, mit Richtern, Staatsanwälten et cetera. Also, sie werden sichtbar.
Das ist nicht unbedingt bei jedem Rechtsextremisten und bei jeder rechtsextremen Gruppe so. Insofern hat natürlich, wenn das gut eingesammelt wird, dieses Geschehen aufgelistet wird, verarbeitet wird, da hat der Staat natürlich einen relativ guten Überblick über all diese Leute, die sich in dieser Ideologie verfangen haben. Natürlich muss man auch dort wieder sehen, dass die Reichsbürger selbst, was den inneren Zusammenhalt dieser Leute betrifft und auch deren Vorstellungen, sehr große Unterschiede bestehen. Insofern ist das mit der Kontrolle auch eine zweischneidige Sache.
Frenzel: Wie schätzen Sie denn das Problembewusstsein der Politik ein, gerade an der Stelle? Sie haben gesagt niedrigschwellig, also bei denen, die noch nicht ganz schlimm radikalisiert sind … Funktionieren denn da die vielen Präventionsprogramme, die es mal gab, die dann aber auch ja wieder eingedampft wurden in ihrem Ausmaß?

Es mangelt an spezifischer Deradikalisierung

Wagner: Ja, Präventionsprogramme sind gut, Präventionsprogramme sind notwendig. Die meisten, die in den letzten 20 Jahren etabliert wurden in Deutschland, dankenswerterweise, waren auf die Hebung des allgemeinen Bewusstseins demokratischer Kultur gerichtet. Spezifische, direkt jetzt auf unterschiedliche Bereiche innerhalb des Rechtsextremismus konkret ausgerichtete, da hat es natürlich kaum etwas gegeben.
Und genau an dieser spezifischen Strategie, konkrete Gruppenzusammenhänge, Bewegungszusammenhänge näher in den Blick zu nehmen und Deradikalisierungsinitiativen zu starten, da muss noch hart dran gearbeitet werden. Also, allgemeine Vorbeugung, ja, da ist viel geleistet worden, da sind viele Projekte entstanden, Initiativen, aber an einer spezifischen Deradikalisierung, da mangelt es noch erheblich.
Frenzel: Herr Wagner, wir reden hier von Extremisten, von Gewaltbereiten, das ist natürlich wirklich nicht die Welt der AfD, aber dennoch die Frage: Schafft der wachsende Rechtspopulismus ein Klima, in dem auch die Gewalt besser wachsen kann?
Wagner: Das ist eine schwierige Frage, das kann man nicht so kausal so eindeutig zuordnen. Natürlich ist die klimatische Entwicklung noch von mehr Faktoren abhängig als nur von einem aufkommenden Rechtspopulismus. Hier sind natürlich auch Fragen der Qualität der Demokratie als solche, ihre tägliche Legitimität und Effizienz gefragt. Also, das ist ein dritter großer Faktor, den man sich also immer wieder verdeutlichen muss.
Und alles zusammen bringt natürlich eine klimatische Lage mit sich, in der natürlich auch militante Rechtsextremisten das Gefühl kriegen, dass sich hier irgendein apokalyptischer Vorgang ergibt, gegen den man als Person, als Rechtsextremist verpflichtet sei, auch militant aufzustehen. Und das, das forciert natürlich auch den Willen zu starker Militanz und legitimiert natürlich, so ein Bewusstsein legitimiert natürlich auch die Begehung von Straftaten und natürlich politisch intendierter Kriminalität.
Frenzel: Sagt Bernd Wagner, der Gründer der Aussteigerinitiative EXIT-Deutschland. Vielen Dank für das Gespräch!
Wagner: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema