Reaktionärer Schulmeister auf der Bühne

Von Eberhard Spreng · 12.06.2009
"Eine Roman-Revue" nennt Regisseur Sebastian Baumgarten seine Inszenierung des Heinrich-Mann-Bestsellers "Professor Unrat" im Maxim Gorki Theater und verweist mit Videosequenzen auf die berühmte Verfilmung "Der blaue Engel". Sein Prof. Unrat habe den "Gestus eines verbrauchten Hausmeisters", moniert Theaterkritiker Eberhard Spreng.
Übermächtige Vorbilder des Films von Josef von Sternberg "Der blaue Engel" überschatten den Stoff des berühmten Romans von Heinrich Mann. Sebastian Baumgarten hat alles dafür getan, um sich so weit wie möglich von dem Marlene-Dietrich-Film abzusetzen und zitiert die historische Epoche nur in verstreuten Video-Einspielungen. Da ist in einem kahlen Bühnengerüst ein Vorhang eingelassen, durch den hindurch man auf das Gangstertribunal aus dem berühmten "M" des Fritz Lang blickt, so als wäre dieses das Publikum in Rosa Fröhlichs anrüchigem Etablissement.

Aber die drei Gymnasiasten Lohmann, Kieselack und von Ertzum, die es frequentieren, laufen mit ausgestellt grotesken Gesten über die Bühne, Abziehbilder eher als Figuren in einem Trieb-Lehrstück. Andreas Leupold spielt den bösartigen Pauker mit dem Spottnamen Unrat mut- und kraftlos und mit dem Gestus eines verbrauchten Hausmeisters; die Rosa Fröhlich der Katrin Angerer ist eher ein verschüchtertes, hilfsbedürftiges Mädchen als ein männerverschlingender Vamp. Mit roter Lockenperücke stakst das Volksbühnen-Starlet Kathrin Angerer über die Gorki-Bühne, so als wäre sie das Schwesterchen der verdrucksten Gymnasiasten und nicht der Star aus dem "Blauen Engel" und glamouröse Verheißung.

Weil Sebastian Baumgarten kein Triebgefälle, keine Wertekollision, keine Spannung zwischen ihr und dem Pauker inszeniert, kann auch dessen Verfallsprozess nicht erzählt werden, nicht also dieser Umschlag von radikaler Autoritätshörigkeit zu einer anarchischen Haltung, die nunmehr darauf abzielt, die bürgerliche Stadtgesellschaft zu ruinieren.

Restriktiver Ordnungssinn und zügellose Anarchie, Kontrollzwang und Fanatismus sind die beiden Seiten derselben Persönlichkeitsstruktur, Teil derselben deutschen Misere. Sebastian Baumgarten wollte das zum Thema machen, aber erspielt wird es nicht. Wo der Film es mit Emil Jannings bei der Schulparodie und dem Spott beließ, will Baumgarten in seiner sogenannten "Roman-Revue" immerhin der literarischen Vorlage gerecht werden. Aber in seiner Inszenierung bleibt sozial-psychologisch unverständlich, wie aus Professor Unrats Pädagogikprogramm die Kriegsbegeisterung, eine Hinführung zum 1. Weltkrieg geworden sein soll, auch wenn sich am Ende, nach einer hübschen Video-Überblendung, lauter aufgespießte Schmetterlinge in Kriegsflugzeuge verwandeln.
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