Rausch, Liebe, Selbstfindung

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 09.08.2010
In "Unmade Beds" schickt Regisseur Alexis dos Santos einen jungen Mann in den brodelnden Mikrokosmos der Londoner Subkultur. In Deutschland kommt der Film unter dem Titel "London Nights" in die Kinos.
"Als ich klein war, sind meine Mutter und ich ständig herumgereist. Wir schliefen jede Nacht in einem anderem Bett. Wie viele Betten werden es am Ende meines Lebens sein? Manche Menschen schlafen ihr ganzes Leben im selben Bett."

Axl ist 20 Jahre alt, kommt aus Spanien und ist gerade in London angekommen. Er zählt die fremden Betten, in denen er morgens aufwacht, nach langen Partys in unterschiedlichen Ecken der Stadt. Darüber hinaus hat Axl eine Mission: Er sucht seinen Vater.

In seiner großen Wohngemeinschaft, einer Fabriketage im Londoner East End voller ungemachter Betten trifft Axl auf Mike und Vera: Der Engländer träumt vom Fallschirmspringen, aber hat eigentlich panische Angst davor. Die junge Frau aus Belgien hat sich gerade getrennt und beginnt eine merkwürdige Beziehung mit einem Unbekannten. Sie treffen sich nur aan vorher vereinbarten Orten in abgelegenen Teilen Londons. Als das letzte Rendezvous scheitert, macht sich Vera auf die Suche.

Das könnten Handlungselemente für jeden beliebigen Jugendfilm sein, aber der 39-jährige Argentinier Alexis dos Santos ist ein besonderer Regisseur, inszeniert existenziell Wichtiges undramatisch, fast beiläufig. "Unmade Beds" ist sein zweiter Film. Sein Debüt "Glue" lief vor drei Jahren in deutschen Kinos und erzählt von sexueller Selbstfindung im abgelegenen Süden Argentiniens:

"Ich finde Figuren interessant, die sich sexuell nicht direkt festlegen und nicht von Anfang an sagen: 'Ich steh auf Mädchen, oder ich steh auf Jungen.' In 'Glue' ist das diese ganz starke ambivalente Freundschaft der beiden Jungen und dann kommt noch das Mädchen dazu. In 'Unmade Beds' findet Axl in der Londoner Subkultur eine Art Ersatzfamilie. Das passiert einem eben, wenn man etwas über zwanzig ist und in andere Länder geht. Da bilden sich auf Partys Freundschaften und Ersatzfamilien. Da verwischen sich auch die sexuellen Grenzen und am nächsten Tag bereust du, was du getan hast oder auch nicht."

Die Protagonisten seiner Filme sind immer auf der Suche und auch Alexis de los Santos ist ein Wanderer zwischen Dorf und Metropole: 1971 in Buenos Aires geboren, verbrachte er mehrere Jahre seiner Kindheit im menschenleeren argentinischen Süden:

"Wenn du dann später wieder in einer großen Stadt wie London lebst, wird dir klar, dass das Ganze auch nur aus vielen kleinen Gruppen und Gemeinschaften besteht."

In London studierte er Film, davor machte er Musik, war Theaterschauspieler und Regisseur:

"Als ich das Filmemachen für mich entdeckte, wurde mir klar, wie wunderbar sich hier ganz verschiedene Ausdrucksformen zusammenfügen. Auf der einen Seite Geschichten zu erzählen, aber mit allen Möglichkeiten künstlerischen Ausdrucks. Das hatte für mich viel mit Architektur und mit Theaterinszenierung und Schauspiel zu tun, mit allem, was mich interessierte."

Auch in der Textur seiner Filme spielt er mit unterschiedlichen Materialien, zeigt Super-8-Aufnahmen und Videofragmente wie Traumelemente, Erinnerungen oder einfach offen gebliebene Sehnsüchte und geheime Wünsche. Dabei fasziniert die Natürlichkeit seiner Schauspieler:

"Ich lasse den Schauspielern viel Freiheit und wir haben wenig geschriebene Dialoge. In 'Glue' haben wir alles improvisiert. In 'Unmade Beds' hatten wir ein Drehbuch, aber ich wollte, dass die Schauspieler ihre eigenen Erfahrungen mit hinein bringen. Ich habe auch immer alles gefilmt, auch noch wenn die Szene schon vorbei war. Und das war manchmal besser als das, was ich eigentlich geschrieben hatte. Meine Art mit Schauspielern zu arbeiten hat auch damit zu tun, dass ich selbst als Schauspieler gearbeitet habe."

"Unmade Beds" führt in den brodelnden Mikrokosmos der Londoner Subkultur, und vermittelt ein ganz besonderes Lebensgefühl auch über die skurrile Ausstattung und die immer gegenwärtige Musik. Die Inszenierung greift auf verschiedene Filmmaterialien zurück und mischt Traum- und Erinnerungsebenen. Auch in seinem zweiten Film ist Alexis dos Santos autobiografisch.

Das dürfte auch der Grund sein, warum die Handlung wie eine Geschichte aus den späten 80er-Jahren erscheint, wenngleich der Film durch moderne Accessoires wie Mobiltelefone doch in der Gegenwart verankert ist. Im geschickten Spiel mit Bild und Ton sowie dank überzeugender Darsteller entsteht daraus ein gleichzeitig mitreißender wie unterkühlter Jugendfilm um Rausch, Liebe, Lust, Selbstfindung und die Auflösung vermeintlich fester Identitäten.

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