Rassismus in den USA

Polit-Theater von Harry Belafonte

Der US-Schauspieler und Sänger Harry Belafonte, 2012
Der US-Schauspieler und Sänger Harry Belafonte, 2012 © picture alliance / dpa / Urs Flueeler
Von Kerstin Zilm · 05.03.2016
Mehr als zwei Millionen Menschen sitzen in den USA hinter Gittern. Die Mehrheit davon sind Afroamerikaner. Stoff für ein unterhaltsames Bühnenstück? Einem Team aus Bürgerrechtsaktivisten und Künstlern ist das gelungen. Mit dabei: Harry Belafonte und seine Tochter Gina.
Bryonn Bain, Poet, Schauspieler und Sänger, gibt zu: Es ist nicht ohne, mit dem berühmten Harry Belafonte zusammen zu arbeiten, der mit Martin Luther King auf die Barrikaden ging und im Kampf um Bürgerrechte seine Künstlerkarriere aufs Spiel setzte. Belafonte und seine Tochter Gina haben aus Bains Text "Lyrics From Lockdown" ein Theaterstück gemacht.

Nach jedem Durchgang einen Tritt von Mr. B.

"Es ist aufregend und furchteinflößend. Am Anfang haben Gina und Mr. B. mich nach jedem Durchgang in den Hintern getreten und mir mit ihren rauen Stimmen Vorschläge gemacht. Er hat meist gesagt: Das war das Tollste, was ich seit 1966 gesehen habe, aber ich sag dir jetzt mal, was du wirklich machen musst."
Bain saugt die Vorschläge auf wie ein Schwamm. Immerhin hat er ein großes Anliegen thematisiert: das Ende von überfüllten US-Gefängnissen. Bains Geschichte ist eine typische für schwarze Männer in den USA: Unterwegs in New York werden er, sein Bruder und sein Cousin verhaftet. Sie haben nichts verbrochen. Sie sind die einzigen Afroamerikaner in der Nähe eines Tatorts. Bain studiert zu der Zeit Recht in Harvard, verklagt die Polizei und gewinnt. Sein Zeitungsartikel über das Erlebnis macht Furore.

Kunst und Aktivismus verbunden

"Es hat die Leute schockiert. Ich hab alles richtig gemacht, bin zur Schule gegangen, hatte gute Noten. Das alles hat die Polizei nicht davon abgehalten, mich ins Gefängnis zu werfen und wie ein Tier zu behandeln."
In seiner Ein-Mann-Multimedia-Show mit Live-Band spielt Bain 40 Charaktere – Familie, Freunde, Polizisten, die Anwältin, die ihm nicht glaubt. Er rappt, singt und tanzt. Eigene Texte mischt er mit Briefen von Häftlingen, die noch hinter Gittern sind. Bain verbindet Kunst und Aktivismus ganz wie Harry Belafonte es seit Jahren von schwarzen Künstlern fordert. Deshalb gründete Belafonte auch 2014 Sankofa.org, eine Organisation, die sich durch Kunst für die Reform der US-Strafjustiz einsetzt.
"Amerika hat die größte Zahl von Häftlingen in der Welt. Und von den über zwei Millionen Männern, Frauen und Kindern in Haft ist die überwältigende Mehrheit schwarz. Wo ist die entrüstete Stimme des schwarzen Amerikas? Wo sind unsere Anführer?"

"Künstler sind unser moralischer Kompass"

John Legend, Usher, Alicia Keys und Stevie Wonder gehören zu Belafontes Mitstreitern. Seine Tochter Gina ist Sankofas Ko-Leiterin. Sie hat das Stück in Los Angeles inszeniert.
"Ich glaube daran, dass Kunst Veränderungen bewirkt. Künstler sind die Pförtner der Wahrheit, die radikalen Stimmen der Zivilisation, unser moralischer Kompass. Wir Künstler haben die Chance, wirklich tolle, wichtige Themen aufzugreifen."

Premiere in Tim Robbins Theater

Premiere von "Lyrics From Lockdown" war auf der Bühne der Actors' Gang in Los Angeles. Es ist ein idealer Ort für diese Form von Kunst. Mit Oscar-Gewinner Tim Robbins als künstlerischem Leiter hat es sich das Theater zur Aufgabe gemacht, provokante Produktionen zu zeigen. Jedes Jahr organisiert die Gang außerdem acht Wochen lange Workshops in Gefängnissen. Tim Robbins sagt: Die Arbeit beweise, dass Alternativen zur in den USA üblichen Wegsperr-Mentalität funktionieren.
"Wir haben gerade neue Zahlen für unsere Gefängnisarbeit bekommen. Die Zahl der Wiederholungstäter in unserem Programm ist um fast 90 Prozent niedriger als die von anderen Häftlingen. Wenn Justizbehörden begreifen, dass Rehabilitierung funktioniert - sollten sie sich dann nicht dafür einsetzen?"

Auftritte in Schulen, Theatern und Gefängnissen

"Lyrics From Lockdown" bietet mehr als Statistiken, Vorträge und Podiumsdiskussionen im Kampf um die Reform des Justizsystems. Das Stück engagiert das Publikum, gibt ihm Werkzeuge in die Hand, um selbst für Gerechtigkeit zu kämpfen. Nach Los Angeles zieht es jetzt durch Schulen, Theater und Gefängnisse im ganzen Land. Bryonn Bain:
"Wir haben jetzt Mittel, Geschichten zu erzählen, die wir vor fünf, zehn Jahren nicht hatten - auf der Bühne, auf dem Schirm, in Social Media. Es ist unsere Aufgabe, das alles zu nutzen, um den Kampf auf ein neues Niveau zu heben."
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