Rammstein ist Deutschlands größter Kulturexport

Timm Klotzek im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 06.07.2012
Junge Leute im Ausland, die "unglaublich textsicher deutsche Lyrik nachsingen" - dafür sorgt die deutsche Band Rammstein, sagt Timm Klotzek, Chefredakteur des "SZ-Magazins", das der Rockband ein 30-seitiges Special widmet. Damit seien sie sowas wie "der deutsche Botschafter da draußen".
Liane von Billerbeck: Nein, wir haben uns nicht vertan. Das war Rammstein mit ihrem Song "Sonne", ein Ausschnitt daraus, denn um Rammstein soll es jetzt gehen im Gespräch mit dem Chefredakteur des "SZ-Magazins", Timm Klotzek, ich grüße Sie!

Timm Klotzek: Schönen guten Morgen!

von Billerbeck: 30 Seiten bei Ihnen im Blatt, ein Special über Rammstein, begleitet auf ihrer Tournee durch die USA und Kanada. Rammstein, könnte man sagen, ist so klischeehaft deutsch wie nur irgendwas, dennoch liebt sie hierzulande wahrlich nicht jeder. Wie war denn das bei Ihnen, gehört beim "SZ-Magazin" dazu, Rammstein toll zu finden?

Klotzek: Nein, aber darum geht es ja meistens im Journalismus auch gar nicht, was man selber findet. Es ist viel bemerkenswerter, dass Rammstein-Konzerte binnen Sekunden in Deutschland ausverkauft sind, und wenn man ins Ausland schaut, wahrscheinlich noch viel schneller, wenn man das sagen kann. Sie sind eine unglaublich beliebte Band in Südamerika. Wir waren jetzt in den USA, Kanada, dabei, Osteuropa. Also, diese Band, wir haben das auf das Cover geschrieben, ist der größte Kulturexport, den Deutschland derzeit zu bieten hat. Und das ist auch für Leute interessant, die selber mit dieser Musik wahrscheinlich gar nicht so viel anfangen können.

von Billerbeck: Warum ist es dann für Leute interessant, die mit der Musik nichts anfangen können?

Klotzek: Na ja, weil es sozusagen wirkungsmächtig ist. Weil Rammstein sozusagen etwas ist wie der deutsche Botschafter da draußen, weil unglaublich viele junge Menschen in Texas oder in Kalifornien, wo unsere Reporter dabei waren, unglaublich textsicher deutsche Lyrik nachsingen. Und es ist sehr interessant, dass ausgerechnet diese Radauband, bei der unglaublich viel Bühnenshow und Feuer und Schweiß und Lärm ist, den Leuten so ans Herz geht. Weltweit, und das schafft sonst niemand in Deutschland.

von Billerbeck: Viel Feuer, viel Schaum, viel Metall. Der Sänger von Rammstein, der köpft ja jeden Abend das Mikrofon weg und trägt da durchaus Narben davon. Was ist es, wie können Sie uns erklären, was ist es, was die Faszination von Rammstein ausmacht, die man in Ihrem Heft ja mit vielen Fotos und Texten, Fotos von Andreas Mühe und Text von Alexander Gorkoff, also durchaus zwei bekannte Fotografen ja, dargeboten bekommt?

Klotzek: Wir haben tatsächlich auf 30 Seiten probiert, dieses Phänomen Rammstein zu erklären, und es fällt mir jetzt schwer, das in einem Satz zusammenzufassen, also – was ich schon mal grundsätzlich sehr gut finde, auch wenn das so ein bisschen nach Eigenlob riecht, ist, dass wir eine Kulturreportage gemacht haben. Also grundsätzlich wird Kultur in meinen Augen oft zu sehr einfach nur rezensiert oder die Leute werden interviewt. Und was wir diesmal gemacht haben, mit sehr großem Reportageaufwand, dass wir diese Leute begleitet haben durch Nordamerika und dass wir tatsächlich den ganzen Tag bei Ihnen waren. Und ich glaube, dass, wenn man sozusagen den Gitarristen vor dem Auftritt ganz still Flamenco spielen sieht, in so einer Dusche, in so einer Duschkabine, und wenn man die Band im Flugzeug sieht, auf Fotos, dann sieht man, wie sie Freud lesen, und wenn man ...

von Billerbeck: Oder Marion Brasch.

Klotzek: ... ja. Wenn man sie sozusagen durch den Alltag begleitet und sieht, welche Emotionen sie bei ihren Fans auslösen, und gleichzeitig, wie sensibel und vergrübelt und nachdenklich und auch Lärm hassend sie selber in ihrem Alltag sind, dann entsteht eine interessante Spannung, die ich jetzt aber nicht in einem Satz oder einer Formel "So funktioniert Rammstein" zusammenfassen kann.

von Billerbeck: Vergrübelt, sensibel, Lärm hassend – das ist die Zusammenfassung für Deutsch, oder?

Klotzek: Vielleicht, ja. Aber es ist nicht die unsympathischste Eigenschaft für die größte Rockgruppe der Welt.

von Billerbeck: "Bergheim plus Lyrik" sei das, schreibt Gorkow, das haben Sie ja auch eben beschrieben, was man auf den Fotos sieht. Aber es steht in dem Text auch, Rammstein sei das größte Missverständnis. Worin besteht denn das Missverständnis?

Klotzek: Ich glaube, dass das Missverständnis bei einer Band, die so auf Radau und Show setzt, ich glaube, dass das größte Missverständnis ist, dass man die Bandmitglieder eins zu eins mit den Rollen gleichsetzt, die sie auf der Bühne verkörpern. Und wenn unsere große Geschichte etwas schafft, dann, glaube ich, den Unterschied aufzuzeigen zwischen diesen sechs Menschen und den sechs Theaterrollen ...

von Billerbeck: ... Kunstfiguren ...

Klotzek: ... ja, Kunstfiguren, natürlich. Also der Keyboarder wird in einen Kochtopf gesteckt auf der Bühne, und das ist Kunst. So sind die nicht. Sie stellen etwas dar und das begeistert die Leute wie nichts anderes.

von Billerbeck: Vielleicht lag ja das Missverständnis auch darin, dass man Rammstein immer für eine rechte Band gehalten hat, weil sie eben mit solchen ästhetischen Modellen spielen, weil der Sänger dann das R so rollt und man erinnert sich an andere historische Figuren. Möglicherweise auch das?

Klotzek: Ja. Also ich glaube, dass sozusagen dieses martialische und dieses Dunkle und dieses Ledermantelhafte natürlich auf den ersten Blick Leute erschrecken kann, aber ich muss da, glaube ich, eher an Chaplin im "Großen Diktator" denken, wie er so von Apfelstrudel und Wiener Schnitzel spricht. Und ganz ähnlich funktioniert auch Rammstein. Und sie erzählen in dieser Geschichte auch, ganz interessant von ihrem Aufwachsen in der DDR. Das sind alles Bildungsbürgerkinder, die sehr, sehr reflektiert sind, die mit einer unglaublichen Wut im Bauch Musik gemacht haben und eine linke Vergangenheit haben tatsächlich. Also diese Vorwürfe, rechts und faschistoid zu sein, gehen den Leuten ganz schön nahe, und sie sagen auch, dass sie das überhaupt nicht leicht wegstecken, zumal sie sich in jungen Jahren von rechten Skinheads auch, wie sie sagen, die Fresse haben polieren lassen.

von Billerbeck: Aber die Ästhetik hat ja immer manchmal solche Anklänge, und deshalb ist ja vielleicht auch dieser Vorwurf im Raum?

Klotzek: Ja, aber wie gesagt, ich glaube auch nicht, dass man jetzt Chaplin den Vorwurf macht, dass er Faschist ist, wenn er die Rolle des großen Diktators spielt und Hitler sauber veräppelt.

von Billerbeck: Nun ist das ein ganzes Heft der "Süddeutschen Zeitung", des Magazins, da sind Fotos drin von Andreas Mühe, und wir haben da auch Farbfotos, so Landschaftsaufnahmen aus Arizona, Texas und Kanada. Grandiose Landschaften, und in denen steht dann jeweils ein Rammstein-Musiker nackt von hinten zu sehen. Dafür kann man in den USA gerne mal im Gefängnis landen, aber was soll uns das sagen, bitteschön?

Klotzek: Ja, also, Andreas Mühe, ein ohnehin grandioser Fotograf, hat es wirklich geschafft, dass die Bandmitglieder, die sehr, sehr misstrauisch sind, die üblicherweise überhaupt nicht mit Journalisten sprechen, die sich sehr, sehr ungern fotografieren lassen, im wahrsten Sinne des Wortes für ihn entblößt haben. Das war eine Idee, die dort auf der Reise entstanden ist, und ich glaube, dass es diesen Radaubrüdern doppelt und dreifach Spaß gemacht hat, dass sie sich an Orten haben fotografieren lassen, wo zum einen das Fotografieren streng verboten ist, zum anderen das sich Ausziehen. Und dann kam von unterwegs die Meldung, also wenn wir hier erwischt worden wären, dann wären wir alle nicht unter 180 Tagen Gefängnis herausgekommen. Und das ist dann wiederum der klassische Rammstein-Rock ‘n’ Roll, dass es ihnen Spaß macht, Dinge zu machen, die eigentlich nicht gehen.

von Billerbeck: All das heute zu sehen im Magazin der "Süddeutschen Zeitung". Vorgestellt hat das Timm Klotzek, der Chefredakteur des "SZ-Magazins". Ich danke Ihnen!

Klotzek: Gerne!

von Billerbeck: Das "SZ-Magazin" erscheint in München, also, heute 30 Seiten Rammstein. Deutschlandradio Kultur ist in München auf der UKW-Frequenz 96.8 zu hören und natürlich auch via Internet und im Digitalradio DAB.

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