Rainald Grebe an der Schaubühne

Der Untergang von "Westberlin"

Kabarettist Rainald Grebe
Der Musiker und Kabarettist Rainald Grebe © picture alliance / dpa / Foto: Stephanie Pilick
Von Tobi Müller  · 02.10.2015
Der Kabarettist Rainald Grebe hat großen Spaß daran, sich über den Mittelstand in Ost und West lustig zu machen. Erst kürzlich sagte er in einem Interview: "Für mich ist Westberlin Ausland." Nun feierte sein gleichnamiges Stück Premiere an der Berliner Schaubühne.
Westberlin war das Atlantis der neuen Hauptstadt, die untergegangene, unmittelbare Vergangenheit der Zeit im Epochenbruch. Nach der Wiedervereinigung entstand das Neue im Osten Berlins, wie die Stadt in jugendlichem Übermut dachte. Rainald Grebe hat als teilnehmender Kabarettist diesen Prozess begleitet, auf einer Reise vom verklärten El Dorado der Nachwende bis zum verpönten Kinderparadies der Gegenwart. Diese Geschichten waren lustig und klischiert und irgendwann zu Ende erzählt. Vielleicht weil man mittlerweile weiß, dass Milchkaffee-Mütter in Freizeitkleidung doch nicht das Hauptproblem der aktuellen Stadtentwicklung sind. Nun gibt es wieder ein schickes Kaufhaus am Bahnhof Zoo und neue Hotel- und Bürotürme, man ruft die Renaissance des Westens aus. Im gleichen Zuge birgt man auch das versunkene West-Berlin. Es ist ein Zustand permanenter Erinnerungsfestspiele, gleich mehrere Ausstellungen, Bücher und Filme feiern die kreative Insel der Freaks im roten Meer der DDR.
Grebe weiß um diese Westalgie, die sich mit Vorliebe auf die Subkulturen der Siebziger- und Achtzigerjahre richtet. Seine Revue streicht die berühmten Stichworte wie David Bowie, Iggy Pop oder die Disco Dschungel nicht gleich ganz weg, sie spielen nur nicht eine so große Rolle. Er hat mit seinem Bühnenbildner Jürgen Lier ein Wirtshaus in die Schaubühne gebaut mit Bar auf der einen und kleiner Drehbühne auf der andern Seite. Dazwischen Stühle und Tische und eine Türe mit Windfang, alles in tiefem Mahagonibraun.
Am Anfang steht einer mit dem Rücken zum Publikum am Tresen und berlinert über die Entwicklung der Currywurst. Das erinnert ein bisschen an eine alte Inszenierung von Christoph Marthaler und ein Bühnenbild von Anna Viebrock, allerdings ohne das Unheimliche und Dysfunktionale, das diese Räume in der Volksbühne hatten (ja, im Osten der Stadt). Das ist spannend wie immer, wenn Laien und Profis gemeinsam auf der Bühne stehen. Die Profis erkennt man immer sofort, die Laien nicht unbedingt. Der Currywurstmann macht das wunderbar, weil er die Irritation halten kann: Wie jetzt, Currywurst als Eröffnung, in diesem kumpelhaften Berlinsprech, das kann doch nur als touristischer Kommentar gemeint sein? Guter Schauspieler aber, er trifft die Töne. Ist dann doch einer der sieben Zeitzeugen, die Grebe gecastet hat.
Die Schauspieler als schmückendes Beiwerk
Die richtigen Schauspieler haben es etwas schwerer in dieser Revue. Sie schmücken die Berichte der zwei Männer und fünf Frauen aus. Und oft sind sie dazu da, schnell und virtuos aufzuführen, was ein Wikipedia-Eintrag zu Westberlin so aufzählt oder die biedere Ausstellung zum Thema des Stadtmuseums im Ephraim-Palais auf mehreren Stockwerken ausbreitete, statt mit einer Idee zu präsentieren. Also Luftbrücke, Rosinenbomber, die ersten Filmfestspiele, die Ankunft der Stars auf dem Flughafen Tempelhof, der Mauerbau, Christiane F.. So unspektakulär die Biografien der Zeugen sind, ihre Geschichten erzählen viel konkreter vom Sonderstatus dieser Stadt. Es gibt tolle Bücher, die zum Beispiel die Geschichte des alternativen Westberlin aufarbeiten (hervorragend recherchiert und erst noch schön aufgeschrieben: "Der lange Sommer der Theorie" von Philipp Felsch). Aber die – viel zu kurze – Nummer von der Frau, die aus Westdeutschland in die Frontstadt zog und dort bald politische Arbeit in Betrieben machte, fügt dem etwas hinzu. Und sei es, dass man die alltäglichen Widersprüche zwischen einer bürgerlichen Existenz und radikaler Praxis ganz entspannt vor einem sitzen sieht.
Und dann bringt sich Grebe ein paar Mal selbst ins Spiel. Er ironisiert seine eigene Nostalgie nach dem wilden Osten der Stadt, er singt mit allen eine rührende Nachdichtung von Iggy Pops "The Passenger" über die Welt, die an einem vorbeizieht, er stellt auf der Drebühne das Kifferloch des verarmten Grosskabarettisten Wolfgang Neuss nach, den er verehrt hatte. Und als Rolf Eden verkleidet, tanzt er einmal ganz ohne Musik mit der ältesten Zeugin des Abends und spricht mit ihr über den Antrieb, jeden Morgen aufzustehen. Schutzloser hat man Grebe noch nie gesehen. Hier ist der Abend ganz weit von einer Bebilderung des Themas, und kommt einer Stimmung der alten Stadt vielleicht so nah wie nie: Nein sagen, nicht mitmachen, im Bett bleiben – in Berlin ist aus dieser Haltung, hart an der Kante zur Depression, schon große Kunst entstanden. Ein unterspielter Magic Moment.
Dann geht das Gewusel wieder los. Mal lustig, mal rührend, mal zu nah an der Best-Of Gala. Ausgerechnet an der Schaubühne stellt Grebe gegen Ende eine Szene aus der legendären "Sommergäste"-Inszenierung von Peter Stein nach. Da wird die eine oder andere Nase gerümpft vom Publikum, das geht dann doch zu weit. Aber Grebe zeigt nur, wie trügerisch Erinnerung sein kann. In den Gesprächen zur Vorbereitung habe Grebe die alten Schaubühnenbesucher gefragt, was denn so toll gewesen sei an dieser Arbeit von 1974. Die Schauspieler, der Text, die Regie? Nein, so Grebe, "es war der Geruch der Birken!" 300 an der Zahl, frisch geschlagen. Doch nach der 3. Vorstellung rochen die gar nicht mehr.
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