Räume, die für sich schon Kunst sind

27.06.2013
Anselm Kiefers Atelier hat etwas von einem Museum. Die Räume sind so groß, dass der Besucher sie sich erlaufen muss – sie stehen damit in einem deutlichen Gegensatz zu den Ateliers früherer großer Künstler. Danièle Cohns Bildband schafft einen durchaus intimen Einblick in das Wirken des Malers.
Die französische Professorin für ästhetische Philosophie Danièle Cohn - sie ist eine der drei Kuratoren der gerade im Pariser Louvre gezeigten Ausstellung "De l'Allemange" - stellt in ihrem Buch "Anselm Kiefer Ateliers" die Arbeitsräume des 1945 in Donaueschingen geborenen Malers vor, der zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart gehört.

Anselm Kiefer verwendet für seine großformatigen Bilder häufig Blei, Asche oder vertrocknete Blumen. Indem er diese Materialien zu Bestandteilen seiner Bildkompositionen macht, entsteht ein aufgeladener Bildraum, der Vergangenes in Erinnerung ruft. Seine Themen findet er in der deutschen Geschichte. Deren Schattenseiten hinterfragt Kiefer in seinen Bildern, die durch einen dialogischen Gestus beredt werden.

Den forciert Kiefer, indem er den Bildern Zitate von Ingeborg Bachmann, Paul Celan oder Walter Benjamin einschreibt. Auf den kargen, düster wirkenden Orten, die in der Kombination mit den Objekten zu Erinnerungslandschaften werden, scheint die Zeit stillgestellt zu sein. Doch zugleich wird Zeitlichkeit und Vergänglichkeit sichtbar: Geschichte ist durch diese Orte hindurchgegangen.

Beim Malen ist Kiefer allein, aber er ist umgeben von Maschinen und Werkzeugen, die man in einem Künstleratelier nicht vermuten würde. Der "Ateliermaler" arbeitet nicht nur in seinem Atelier, sondern er wohnt auch dort. Als Ateliers bevorzugt er inzwischen stillgelegte Fabriken, die durch ihre gigantischen Dimensionen beeindrucken.

Danièle Cohen hat Fotos von der Scheune einer alten Schule im baden-württembergischen Buchen in den Band aufgenommen, einem frühen Atelier von Kiefer. Darüber hinaus sind Bilder von dem weitläufigen Areal im südfranzösischen Barjac zu sehen, das Kiefer eine Zeit lang als Atelier diente und man bekommt einen visuellen Eindruck von der Lagerhalle in Croissy bei Paris, die sein gegenwärtiges Domizil ist.

Der Kontrast zu Ateliers des 19. Jahrhundert ist erheblich. Zum Vergleich zieht Danièle Cohn das Atelier des Romantikers Caspar David Friedrich heran. Ein Bild von Georg Friedrich Kerstings zeigt Friedrich in einem überschaubaren Raum bei der Arbeit. Kiefers Ateliers lassen sich dagegen nicht mit einem Blick erfassen, sondern man muss sie erlaufen. Für großformatige Bilder wie "Sternen-Lager V", mit den Maßen von 4,65 x 9,40 Meter oder "Emanation", das 9,40 x 5,10 Meter misst, sind große Räume eine Voraussetzung.

Der Bildband zeigt den Ateliermaler Kiefer in seinen Arbeitsräumen, die ihm zugleich Lebensräume sind. Diese Fotos haben durchaus etwas Intimes, man sieht aber auch Räume, die als Raum ein Kunstwerk an sich sind. Würde ein Bild aus diesen Räumen entfernt werden, wäre der Gesamteindruck zerstört. Kiefers Ateliers gleichen Räumen in einem Museum und mit dem Buch von Danièle Cohn hält man ein bleibendes, sehr beeindruckendes Eingangsbillet in der Hand, das man immer wieder vornehmen kann.

Nach Daniel Arrases beeindruckendem Bildband "Anselm Kiefer", der 2001 ebenfalls bei Schirmer/Mosel erschien, legt der Verlag nun mit "Anselm Kiefer Ateliers" ein weiteres Schlüsselwerk vor, das zur Erschließung von Kiefers Bildwelt wichtige Aufschlüsse liefert.

Besprochen von Michael Opitz

Danièle Cohn: "Anselm Kiefer Ateliers"
Aus dem Französischen von Saskia Bontjes van Beek
Verlag Schirmer/Mosel, München 2013
304 Seiten, 78,00 Euro
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