"Radioreporter können immer länger"

Im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 10.06.2008
Er bezeichnet sich selbst als einen Fußballreporter mir ironischer Distanz und dynamischer Stimme, "durchaus mitreißungsfähig". Manni Breukmann, der inzwischen legendäre Radiofußballkommentator, zur Kunst, ein für den Hörer unsichtbares Fußballspiel zu kommentieren.
Liane von Billerbeck: Das war er, unverkennbar, Manfred ‚Manni’ Breukmann, der Radiofußballkommentator beim 2:0 im Spiel Deutschland gegen Polen. Und mit ihm bin ich jetzt in Bern verbunden. Ich grüße Sie.

Manfred Breukmann: Hallo, guten Tag.

Billerbeck: Was wir da eben gehört haben, das war ein Torschrei von knapp vier Sekunden. Ihr Fernsehkollege Béla Réthy kann 20 Sekunden länger, sagt er. Wie lange könnten Sie?

Breukmann: Ich könnte, wenn Béla Réthy 20 Sekunden kann, sicherlich 25 Sekunden länger, weil Radioreporter können immer länger. Man muss nur mal nach Brasilien gucken, da ist es ja unglaublich, was diese Jungs da leisten. Übrigens nur Jungs, keine Mädels.

Billerbeck: Angefangen haben ja die deutschen Fußballkommentatoren, wir haben das vorhin gehört, relativ nüchtern. Inzwischen dürfen die auch Temperament zeigen. Wo haben Sie das gelernt und von wem?

Breukmann: Also das ist Learning by Doing. Ich hasse ja die Anglizismen, aber in dem Fall mal ausnahmsweise. Ich habe es nicht gelernt, ich habe immer wieder gehört, immer wieder zugehört. Ich bin ja von Kindesbeinen an mit dem Fußball vertraut, und insofern kommt man da auch nicht an diesen Radioreportagen vorbei. Und dann habe ich mir das auf diese Art und Weise angeeignet und versucht, über die Jahre einen eigenen Stil zu entwickeln.

Billerbeck: Wenn Sie drei Adjektive hätten, wie würden Sie Manni Breukmann beschreiben?

Breukmann: Als Mensch oder als Reporter?

Billerbeck: Als Reporter.

Breukmann: Als Reporter: Ironische Distanz, dynamische Stimme, durchaus mitreißungsfähig.

Billerbeck: Und nicht zu wenig selbstbewusst.

Breukmann: Das ist so eine Geschichte. Das wissen Sie ja gar nicht, ob ich selber selbstbewusst bin oder von welcher Ecke ich eigentlich komme. Aber wenn ich am Mikrofon sitze, bin ich, glaube ich, ein Anderer als im normalen Umgang. Viele meiner Bekannten und Freunde oder Arbeitskollegen beschreiben mich als doch eher ruhigen Vertreter. Aber am Mikrofon ist das komplett anders, vielleicht hängt das mit meinem Sternzeichen Zwilling zusammen. Ich habe da zwei Seiten.

Billerbeck: Was sagen Sie eigentlich, wenn ein Spiel stinklangweilig ist?

Breukmann: Dann sage ich, dass es stinklangweilig ist. Es gibt Kollegen, ich will sie nicht namentlich nennen oder in die Pfanne hauen, aber es gibt manchmal den einen oder anderen, der "jazzt" das dann so ein bisschen hoch und sagt, das wäre ja unter taktischen Gesichtspunkten ein hochinteressantes Spiel. Aber wenn ich so eine Formulierung höre, werde ich immer sehr misstrauisch und ich denke mir, es spricht vieles dafür, dass es einfach ein langweiliger Kick ist. Und das muss man deutlich sagen, damit man glaubwürdig bleibt.

Billerbeck: Haben Sie eigentlich schon mal etwas erfunden?

Breukmann: Ich habe auf dem Spielfeld noch nichts erfunden. Ich habe mit Sicherheit schon die Unwahrheit gesagt. Nicht so richtig vorsätzlich dreckig gelogen, aber nehmen wir mal an, man sitzt da beim FC Barcelona 40 Meter über der Eckfahne und an der anderen Eckfahne, und das sind dann so etwa 120 Meter, da passiert etwas, und es ist ein bisschen diesig. Was will ich denn da machen? Ich habe keinen Monitor gehabt in Barcelona. Da muss ich schon mit der Wahrheit etwas sparsam umgehen, weil sie ja ein so kostbares Gut ist, oder ich muss ich drum herum reden, das geht ja auch als Fußballreporter.

Billerbeck: Stadion Barcelona haben Sie jetzt schon mal geschildert. In welchem Stadion sitzen Sie eigentlich am liebsten?

Breukmann: Das hängt zum einen mit dem Verein zusammen, das ist natürlich auf jeden Fall der ruhmreiche FC Schalke 04. Dann kommen aber noch ein paar andere Merkmale dahin zu. Man muss sehr nah dran sitzen, damit man auch möglichst schön reportieren kann. Und da gefällt mir das Stadion von Bayer Leverkusen, obwohl ich mit dem Verein nicht so furchtbar viel am Hut habe. Auch der VFL Bochum ist nicht schlecht, da sitzt man so 20, 25 Meter vom Spielfeld entfernt, kann alles sehr, sehr gut erkennen, und das wird dann auch eine bessere Reportage, denn das menschliche Auge ist ja sowieso schon überfordert, weil alles so furchtbar schnell abläuft und man auch Details erkennen soll. Das funktioniert ja gar nicht so richtig. Deswegen brauchen wir auch einen Monitor, auf dem wir uns hinterher noch mal strittige Szenen angucken können.

Billerbeck: Eben war es klar, Sie sind bekennender Schalke-Fan. Wie schaffen Sie es denn eigentlich, wenn Sie Bundesliga kommentieren, da unparteiisch zu sein, denn Sie senden ja quasi für die ganze Republik.

Breukmann: Weil ich eben kein bekennender Schalke-Fan bin. Man muss ja die Begriffe immer etwas näher betrachten und untersuchen. Ich bin kein Fan. Ich habe eine Schwäche für die Schalker, Fan bedeutet auch fanatisch, das bin ich noch nie in meinem Leben gewesen. Und je länger man das macht, um so mehr blättert das auch ab. Also ich freue mich über einen Schalker Sieg mehr als über einen Dortmunder Sieg. Und am Mikrofon, das haben wir ja, nein, nicht mit der Muttermilch bekommen, aber jedenfalls mit den ersten Reportagen, die wir gemacht haben, da gilt das strikte Gebot der Neutralität, außer es handelt sich um ein Spiel der Nationalmannschaft oder ein Europapokalspiel mit deutscher Beteiligung. Und Neutralität bedeutet dann manchmal auch, man geht mit den Schalkern vielleicht sogar noch ein bisschen strenger um als mit anderen Mannschaften, wie der Vater mit seinem Lieblingssohn oder seiner Lieblingstochter.

Billerbeck: Und jetzt bei der EM oder Länderspielen, wie parteiisch sind Sie da? Haben Sie da schon mal gesagt, WIR haben gewonnen?

Breukmann: Das würde ich nie sagen, das geht dann wieder zu weit, aber man soll aus meiner Reportage schon schließen dürfen, dass ich innerlich die Daumen drücke für diese deutsche Mannschaft, dass sie das Spiel gegen Polen gewinnt. Die Grenze ist dann erreicht, wenn es ein Elfmeter für Polen ist, und ich sage, das war keiner, obwohl es auf der Hand liegt, es war ein Elfmeter für Polen. Und dann muss ich das auch sagen, aber die Leute dürfen durchaus merken, dass mein Herz da für die deutsche Mannschaft schlägt.

Billerbeck: Es gibt ja legendäre Ausraster, also ich erinnere an ein Spiel mit einem argentinischen Schiedsrichter, und da sagte der Kommentator dann, schickt ihn zurück in die Pampa. Gibt es so etwas, was Sie nie sagen würden, also so eine Art Giftliste für Formulierungen?

Breukmann: Also ich lasse es sein mit der allzu martialischen Sprache, obwohl die gar nicht mehr so angesagt ist in unserem Sprachschatz. Da tauchen Bomben und Granaten und so etwas nicht mehr so auf. Ich versuche auch die allzu großen Schablonen wegzulassen. Der ominöse Punkt beim Elfmeter, wie furchtbar, schon 100.000 Mal gesagt. Ich will es einfach nicht mehr hören und ich will es auch nicht mehr sagen. Ich will auch nicht mehr sagen, der Schiedsrichter guckt auf die Uhr. Aber manchmal tut er das – ja, was machste da? Da gibt es natürlich nur die Möglichkeit, das irgendwie zu umschreiben. Und eine peinliche Geschichte hatte ich mal, das ist lange her, schäme ich mich heute noch. Da schoss ein Nürnberger, der früher bei Düsseldorf gespielt hat, im Spiel gegen Düsseldorf das entscheidende Tor für Nürnberg. Und ich sage, das muss für Detlef Szymanek ein innerer Reichsparteitag gewesen sein. Um Gottes Willen, Nürnberg, da habe ich gar nicht daran gedacht. Ich kann sagen, ich war noch zu jung, ich hatte noch nicht das historische Bewusstsein, aber so etwas darf eigentlich nicht passieren.

Billerbeck: Sie sind ja nun seit ewigen Zeiten Radiomann, was müsste denn passieren, dass Sie zum Fernsehen wechseln?

Breukmann: Zum Fernsehen werde ich nie wechseln, wenn es darum geht, irgendwelche Konserven zu erstellen. Ich habe das mal probeweise gemacht, also so Sechs- bis Sieben-Minuten-Zusammenfassungen von Bundesligaspielen. Da saß ich da, guckte mir das Spiel an, notierte die Szenen, war ganz ruhig, besprach mich mit meinem Assistenten, der dann auch dafür zuständig war, das alles hinterher zusammen zu stellen. Und 15 Meter weiter, da saß mein Kollege vom Radio, warf die Arme in die Luft, ruderte rum, brüllte da durch die Gegend, wenn es wirklich dramatisch wurde...

Billerbeck: Und Sie waren neidisch.

Breukmann: Ich war neidisch und habe gesagt, nee, das muss doch nun wirklich nicht sein. Damit kann man möglicherweise berühmter werden, aber mehr Spaß macht Radio und da bleibe ich auch dabei.

Billerbeck: Ihr Tipp, wer steht im Finale?

Breukmann: Also ich habe die Holländer gesehen. Die haben mich wahnsinnig beeindruckt, aber ich habe noch nicht die Spanier gesehen. Auf die Italiener setze ich jetzt nicht mehr. Ich glaube Holland wird sehr weit kommen, und der andere Strang, die Gruppen A und B, na ja, Deutschland. Also Endspiel Deutschland – Holland, das wäre doch ein Hammer. 1974 hatten wir das schon einmal, aber bei der Weltmeisterschaft. Dieses Mal, na ja, vielleicht kommt es ja dazu, das wäre sehr schön.