Quo vadis, Protestantismus?

Von Knut Berner · 07.12.2009
Krisenzeiten sind Anlässe, sich auf das Wesentliche zu besinnen. Das gilt auch für die Evangelische Kirche in Deutschland. Sie ist gegenwärtig bedrängt von einem aggressiven Atheismus à la Richard Dawkins, der Gottesvorstellungen als Wahnideen diffamiert.
Gravierender ist der Gewohnheits-Atheismus, die vor allem in Ostdeutschland noch verbreitete Gleichgültigkeit gegenüber dem christlichen Glauben. Gleichzeitig verschärft sich die Konkurrenz zwischen den Religionen: Pfingstkirchen feiern Erfolge, der Vatikan sieht die Evangelischen nur als kirchenähnliche Gemeinschaft, der Islam verstärkt seine Präsenz in Europa. Wobei vor allem seine rigorosen Varianten viele Menschen faszinieren und zugleich beunruhigen.

Mit der Religion kann man machen, was man will: Die einen verspotten sie als antiquiert, die anderen pendeln vor sich hin oder setzen auf diffuse Spiritualität, verbreitet ist die Meinung, dass wir ohnehin alle an denselben Gott glauben. Und dann gibt es noch die russische orthodoxe Kirche, die den Dialog mit den Evangelischen aufkündigen will, weil eine geschiedene Frau zur EKD-Ratsvorsitzenden gewählt wurde. Während man unbekümmert die eigenen Anbiederungen an russische Machtpolitiker weitertradiert.

Die Aufregung alter Kirchenmänner über Geschlecht und Biografie der Ratsvorsitzenden ist dabei ebenso unsinnig wie die gegenteilige Erwartung, aufgrund dieser Wahlentscheidung käme mit dem Protestantismus wieder alles in Ordnung. Eine Einzelperson soll die Kirche retten? Das klingt nach katholisch inspiriertem Personenkult. Worauf es vielmehr ankommt, ist die Schärfung des protestantischen Profils in allen Bereichen kirchlichen Lebens. Quo vadis, Protestantismus?

Fest steht, dass die evangelische Kirche sich nicht nur als Kirche des Wortes definieren, sondern damit Ernst machen muss. Sie kann sich nicht mit der viel beschworenen Rückkehr der Religion beruhigen. 2008 sind 160.000 Menschen aus der evangelischen Kirche ausgetreten, 30.000 mehr als im Jahr 2007. Sie sind nicht gegangen, um zum Islam überzutreten oder weil sie Atheisten geworden sind. Eher ist zu vermuten, dass es eine Enttäuschung gibt bezüglich des Wortes, weil in der Kirche nicht mehr ansprechend genug verkündigt wird, was der einzige Trost im Leben und im Sterben ist, wie es der Heidelberger Katechismus formuliert.

Es fehlt an der sensiblen und nachdenklichen Auslegung der Botschaft, dass Gott der ganz Andere ist. Dass er anders ist, als wir ihn ausdenken, zeigt sich an seiner liebenden Akzeptanz des unvollkommenen Menschen. Das Heil und das Gelingen des Lebens besorgt Gott selber nach seinen Kriterien. In dieser Entlastung durch das Evangelium steckt ein Skandal. Protestantismus ist Protest gegen Selbstüberhöhung und gegen die Meinung, man wäre auf der richtigen Seite, wenn man nur die richtigen Werte vertritt.

Die Einsicht, dass alle Menschen von Hause aus Feinde Gottes sind, weil sie ihn funktionalisieren, statt sich von ihm befreien und korrigieren zu lassen, ist die beste Basis der Ökumene. Gott geht nicht in unseren Vorstellungen auf und er ist nie nur mein Gott, sondern zugleich der aller anderen Menschen. Diese Einsicht ist das Vorzeichen vor der Klammer, in der sich Ökumene abspielt. Sie kann als versöhnte Verschiedenheit begriffen werden, wobei Versöhnung und Streit einander nicht ausschließen. Was dem anderen heilig ist, muss mir nicht heilig sein. Aber notwendig ist eine Bereitschaft zum genauen Hinhören und zur Achtung voreinander, was aber gerade im Verhältnis Christentum-Islam nur wechselseitig funktioniert. Differenzen zu überspielen, ist angesichts der Bedeutung von Gottesbildern unangemessen.

Insgesamt kommt es nicht darauf an, welche Konfession am meisten Macht hat oder in den Medien mit den überzeugendsten Persönlichkeiten aufwarten kann. Sondern die Krise des Protestantismus kann nur überwunden werden durch Konzentration auf das Wort, auf die Entfaltung der inneren Plausibilität christlicher Rede von Gott, und zwar auf innovative Weise. Denn Gott ist interessant. Eine langweilige Kirche hat ihn immer schon verfehlt.


Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte Evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg, Vikariat (Ausbildung zum Pfarrer) in Wuppertal, Promotion und Habilitation an der Ruhr-Universität Bochum, seit 1996 Studienleiter im Evangelischen Studienwerk e.V. Villigst mit Zuständigkeit für das Auswahlverfahren in der Grundförderung und den Promotionsschwerpunkt "Macht-Religion-Moral". Außerdem seit 2003 Privatdozent für Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
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