Quadrocopter - wie von selbst zum Unfallort

Von Lutz Reidz · 08.11.2011
Die Entwicklung von Robotern ist in den vergangenen Jahren weiter vorangeschritten. Längst handelt es sich nicht mehr nur um Automaten, die auf wenige Funktionen beschränkt sind. Vielmehr werden sie, wie der Quadrocopter, zur Bewältigung komplexer Aufgaben eingesetzt.
Ende Juni musste eine zur Datensammlung eingesetzte Aufklärungsdrohne vom US-amerikanischen Typ T-Hawk auf dem Reaktorgebäude von Fukushima notlanden. Der Versuch, mit diesem unbemannten Fluggerät die radioaktive Belastung im verstrahlten Bereich am japanischen Unglücksreaktor zu messen, war nur zum Teil geglückt.

Trotz dieses Rückschlages verfolgen Forscher rund um den Globus ein Ziel: Mit fliegenden, unbemannten Robotern (Fachjargon: UAV= Unmanned Aerial Vehicles) einfach, schnell, kostengünstig und vor allem gefahrlos für Menschen Forschungsdaten zu sammeln oder Vermisste aufzuspüren.

Diesem Ziel hat sich auch eine Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen verschrieben, wo ein international zusammengesetztes Team von Wissenschaftlern versucht, den Robotern das Fliegen beizubringen.

Start frei für den Quadrocopter. Das rund 40 Zentimeter große Fluggerät ist bereits in der Luft und rotiert nun wie ein "richtiger" Hubschrauber durch das Versuchslabor. Der fliegende Roboter schaut aus wie ein X, mit vier kleinen Propellern an jeder Ecke und mit einer Reihe von Antennen auf dem kleinen Gehäuse in der Mitte, in dem die Systemplatine verbaut ist. Antonio Franchi sitzt im Raum nebenan und blickt durch ein großes Fenster, während er den fliegenden Roboter mit seiner Fernbedienung steuert:

"Der Quadrocopter kann als fliegender Roboter mit seinen vier Propellern wie ein Helikopter in der Luft in alle Richtungen fliegen und auch rotieren. Ich steuere ihn mit dieser Fernbedienung hier, die ähnlich wie ein Joystick funktioniert, aber in der drei Motoren eingebaut sind, die mir eine Rückmeldung vom Roboter geben, was gerade vor Ort passiert."

Im Moment rotiert nur ein einziger Quadrocopter im Versuchslabor umher. Doch Projektleiter Paolo Robuffo Giordano betont, dass er auch einen ganzen Verbund von fliegenden Robotern auf die Reise schicken kann:

"Wir lassen uns dabei von der Schwarmintelligenz der Vögel inspirieren. Wenn im Versuchslabor ein Quadrocopter die Richtung ändert, dann folgen ihm die anderen automatisch. Sensoren und Kameras an Bord sorgen dafür, dass die Roboter sich in der Luft orientieren können, dabei nicht zusammenstoßen und den gleichen Abstand zueinander einhalten. Es sind zwei Kameras verbaut, eine zeigt nach unten, zum Boden, um die Geschwindigkeit zu überwachen. Und die andere hat das Umfeld in Flugrichtung im Blick."

Auch im Tübinger Versuchslabor sind Kameras an den Wänden installiert: Insgesamt sechs Stück, sie dienen der Orientierung - ein GPS im Kleinformat also. Bei einem Einsatz im Freiland dagegen soll der Nutzer mit seinen Fluggeräten das "richtige" GPS nutzen und darf dabei natürlich nicht an Bäumen oder Hochspannungsmasten zerschellen:

"Die Quadrocopter sind in der Lage, Hindernisse zu erkennen und ihnen auszuweichen - selbstständig! Und ich bekomme dann über die Fernbedienung eine Rückmeldung, dass der Roboter auf ein Hindernis zufliegt und nun ausweicht."

Zur Demonstration fliegt der Quadrocopter auf eine Trennwand zu, die mitten im Tübinger Versuchslabor aufgebaut ist. Antonio Franchi spürt dies ohne hinzusehen, und zwar an seiner Fernbedienung. Insgesamt drei Motoren sind darin eingebaut. Und so bemerkt der Ingenieur jetzt an der widerspenstigen Steuerung, an den Kräften, die darauf einwirken, dass sich das Fluggerät nicht weiter auf dieses Hindernis zusteuern lässt. Der fliegende Roboter trifft jetzt eine eigene Entscheidung, er weicht aus nach oben und überfliegt die Wand:

"Dieses Prinzip der Erfassung von Gefahren ließe sich noch ausweiten. Zum Beispiel, um Waldbrände rechtzeitig zu erkennen oder davor zu warnen, wenn gefährliche Gase in der Luft sind. Die Roboter könnten bei Rettungsaktionen auch nach Vermissten suchen und dabei selbstständig die Entscheidung treffen, wie sie - in Anbetracht widriger Windverhältnisse zum Beispiel - am besten dort hinkommen. Auch diese Informationen lassen sich als Rückmeldung an die Kommandozentrale senden."

Die Quadrocopter im Tübinger Versuchlabor wiegen rund 800 Gramm, mit den winzigen Kameras an Bord, den Sensoren und dem Lithium-Ionen-Akku für Stromversorgung und Antrieb. Rund 15 Minuten kann der Roboter damit umher fliegen. Das reicht für kleinere Laborexperimente, aber für zeitintensive Forschung oder Rettungsaktionen draußen im Freiland bevorzugt Antonio Franchi stärkere Motoren:

"Für den Außeneinsatz müssten größere Quadrocopter mit Verbrennungsmotoren ausgerüstet sein. Damit könnten sie maximal anderhalb Stunden fliegen. Es gibt bereits Varianten, die in Australien eingesetzt werden, für das Monitoring der Viehherden aus der Luft. Und natürlich ließen sich solche fliegenden Roboter auch einsetzen in der Wildtierforschung, um die Wanderrouten von Tieren zu verfolgen."

Auch in der Verkehrsüberwachung wären diese Roboter sehr nützlich. Doch mit einem solchen "Monitoring” allein, also dem Erfassen von Verkehrsströmen oder dem Beobachten von Wildtieren will sich Paolo Giordano nicht zufrieden geben:

"Für mich als Forscher wäre es sehr interessant, den Quadrocoptern beizubringen, wie man etwas greift. Dass man also künstliche Hände anbaut, damit sie in der Umwelt auch agieren, etwas von einem Ort zum anderen bringen können. Und der Mensch steuert das Ganze dann von einem weit entfernten Ort."
Mehr zum Thema