Putin "provoziert im Moment die Amerikaner"

Stefan Meister im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 09.08.2013
Putins Entscheidung pro Snowden habe innenpolitische Gründe, sagt der Politikwissenschaftler Stefan Meister. "Es wäre klüger gewesen von Obama, sich trotz dieser Ohrfeige aus Moskau mit Putin zu treffen."
Jörg Degenhardt: Schöne Grüße aus Moskau! Wladimir Putin wünscht George W. Bush nach einer Operation gute Besserung. Die beiden können miteinander, ganz anders ist das Verhältnis zwischen dem Kreml-Chef und dem Bush-Nachfolger. Obama und Putin werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr. Müssen sie ja auch nicht, aber als Politiker, als wichtigste Vertreter ihres Landes sollten sie miteinander umgehen können, schließlich spielen die USA, aber auch Russland eine wichtige Rolle auf dem weiten Feld der internationalen Politik. Gleichwohl, aus Protest gegen das russische Asyl für den Geheimnisenthüller Snowden hat der US-Präsident vorerst alle geplanten bilateralen Treffen mit Putin abgesagt. Ich begrüße Stefan Meister vom European Council on Foreign Relations, ich begrüße Sie und sage guten Morgen, Herr Meister!

Stefan Meister: Guten Morgen!

Degenhardt: Hat Obama da eine kluge Entscheidung getroffen?

Meister: Würde ich nicht sagen. Ich denke, das ist keine kluge Entscheidung, dieses Treffen abzusagen, was jetzt das erste große Treffen zwischen den beiden gewesen wäre nach der Wiederwahl Putins als Präsident. Andererseits steht Obama innenpolitisch auch unter Druck wegen den Entwicklungen in Russland, also was Menschenrechtsfragen betrifft, aber natürlich vor allem der Fall Snowden, der international, aber auch in den USA selbst zu großen Aufregungen geführt hat. Und die Russen, die sozusagen ihn provozieren, Snowden in Russland Asyl gewährt haben, also, es ist für Obama auch letztlich eine innenpolitische Entscheidung. Und ihm blieb vielleicht letztlich gar nichts anderes übrig.

Degenhardt: Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow nennt Obamas Entscheidung bedauerlich. Warum, wie Sie sagen, war diese Entscheidung nicht klug? Weil er damit auch die antiamerikanischen Kräfte in Russland selbst stärkt?

Meister: Ja, ich meine, Putin spielt letztlich auch mit so einer Entscheidung. Er provoziert im Moment die Amerikaner, um sich innenpolitisch selbst zu stärken. Putin war innenpolitisch selbst angeschlagen um die Wahl herum und hat mit einer starken antiamerikanischen Rhetorik, antiwestlichen Rhetorik versucht, in der eigenen Bevölkerung zu punkten. Ich denke, es wäre jetzt klüger gewesen von Obama, sich trotz dieser Ohrfeige sozusagen aus Moskau mit Putin zu treffen, um zu zeigen, dass die Amerikaner weiterhin gesprächsbereit sind und trotz dieses schwierigen Verhältnisses mit Moskau versuchen, Einigung auch in anderen Fragen – nicht nur Snowden, Snowden ist ja letztlich nur das Symptom sozusagen der schlechten Beziehung – zu finden.

Degenhardt: Welche Gründe gibt es denn noch, wenn nicht nur den Fall Snowden?

Meister: Wir haben letztlich eine Vielfalt von Problemen und das sind letztlich auch die alten Probleme. Also, das ist es ja. Wir hatten ja die Reset-Politik, also den Neustart von Obama …

Degenhardt: Die dürfte gescheitert sein.

Meister: … in Bereichen von Abrüstung, im Raketenschild, den die Amerikaner in Europa bauen wollen, mit den Russen ins Gespräch zu kommen. Wir haben natürlich die ganzen internationalen Konflikte, wir haben Syrien, wo Russland nicht besonders konstruktiv war. Wir haben im Prinzip die ganze Themenpalette, bei denen die Beziehungen weiterhin stagnieren und die beiden Seiten nicht vorankommen. Und da ist Gesprächsbedarf da und da sollten auch beide Präsidenten zusammenkommen.

Degenhardt: Die Neustartpolitik von Obama, wie gesagt, die dürfte gescheitert sein. Das Verhältnis zwischen Moskau und Washington ist so frostig wie im Kalten Krieg, diese Einschätzung hören wir in diesen Tagen oft. Ist sie nicht ein bisschen übertrieben, wenn wir an die Zeit des Kalten Krieges zurückdenken, da gab es ja noch Zustände, die weitaus gefährlicher schienen als der jetzige Zustand!

Meister: Die Obama-Fraktion spricht ja auch von einem Kalten Frieden, bewusst, und nicht von einem Kalten Krieg. Natürlich ist das übertrieben, die Zeiten des Kalten Krieges sind vorbei. Die Aufrüstung sozusagen auf beiden Seiten als die Hauptgefahr für Weltpolitik ist nicht mehr das Problem. Wir haben ganz andere Konflikte sozusagen auf dieser Welt, also, der internationale Terrorismus ist da natürlich zu nennen, wir haben die arabische Welt, die in Bewegung ist. Also, es sind ganz, ganz andere Themen. Russland spielt überhaupt nicht mehr die Rolle auch in der internationalen Politik, die es in den Zeiten des Kalten Krieges gespielt hat.

Und ich denke, das ist dann so ein bisschen auch das Signal, was Washington aussendet, ihr seid letztlich nicht mehr so wichtig, und wenn ich mich nicht mehr mit euch treffe, also wenn ich mich nicht mit Putin treffe, so Obama, dann ist das letztlich auch nicht so schlimm. Weil einerseits blockiert ihr sozusagen wichtige internationale Entscheidungen, andererseits hat Russland nicht mehr die Bedeutung, um hier wirklich relevante Politik zu machen in den internationalen Beziehungen. Und wir haben natürlich wirtschaftliche Interdependenz, Russland ist abhängig auch von Exporten in die westlichen Länder und spielt eben nicht mehr diese Rolle.

Degenhardt: Immerhin gibt es ja heute – wir haben schon in diesem Programm darüber informiert – auch ein Ministertreffen zwischen beiden Seiten, zwischen Washington und Moskau, eben in Washington, immerhin kommt Obama auch zum G20-Gipfel nach Sankt Petersburg. Da geht es ja um die von Ihnen schon angesprochene Wirtschaftspolitik, die ist ihm wichtig. Die müsste doch auch Russland als Wirtschaftsgroßmacht wichtig sein? Schon haben wir übereinstimmende Interessen! Das wäre doch eine Chance, aus dieser Sackgasse momentan herauszukommen?

Meister: Die Wirtschaftspolitik zwischen Russland und USA spielt nicht die große Rolle. Der wichtigste Wirtschaftspartner Russlands ist die Europäische Union, eben nicht die USA, nicht Washington. Und deswegen ist es auch im Gegensatz zu Europa kein Fundament sozusagen für die Beziehung. Und die Amerikaner versuchen natürlich auch, im europäischen, im russischen Markt stärker zu investieren, aber das hat natürlich auch wieder was mit Korruption, mit Investitionsbedingungen zu tun, sodass das letztlich nicht wirklich die Relevanz hat.

Degenhardt: Wie kommen wir dann aus dem jetzigen Zustand heraus? Geben Sie uns eine Perspektive!

Meister: Tja, ich denke, wir müssen dran bleiben an Russland. Russland ist im Moment in einer tiefen Krise, das System Putin befindet sich in einer Krise, es ist innenpolitisch sozusagen angeschlagen. Aber wir haben eben auch Wandlungsprozesse in der russischen Gesellschaft, die, denke ich, vom Westen, von Europa insbesondere auch aus begleitet werden muss. Also, der Austausch muss weiter gepflegt werden, umso wichtiger sind eben diese Treffen. Und ja, man muss eben abwarten, ob es einen Wechsel sozusagen in Russland geben wird, aber gleichzeitig eben die Beziehungen nicht weiter eskalieren und Putin auch nicht Anlässe geben, um sich zu stärken, um sich provoziert zu fühlen, und sich auch nicht von Putin provozieren zu lassen.

Degenhardt: Das verbale Säbelrasseln zwischen den USA und Russland, darüber sprach ich mit Dr. Stefan Meister vom European Council on Foreign Relations. Vielen Dank, Herr Meister, für das Gespräch!

Meister: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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