Pussy-Riot-Mitglied Tolokonnikowa

Politik muss sein!

Nadja Tolokonnikowa
Nadja Tolokonnikowa: "Unterstützung für unabhängige Medien in Russland ist ein Muss" © picture alliance/dpa/Rolf Vennenbernd
Von Sabine Adler · 16.03.2016
Ihr Protest gegen Wladimir Putin in einer Kirche machte Pussy Riot weltbekannt. Ein Mitglied der Künstler-Protest-Gruppe, Nadja Tolokonnikowa, hat nun das Buch "Anleitungen für eine Revolution" geschrieben. In dem spricht sie über ihre Erfahrungen im Straflager, ihre Kunst und neue Aufgaben.
Dass Nadja Tolokonnikowa wandlungsfähig wie eine Schauspielerin ist, sieht man in den Musikvideos. Dass Girl, mit bunter Maske und Strümpfen hüpfend in der Moskauer Erlöserkirche, steckt für den Song "Tschaika" in einer Uniform, genau wie der unter Korruptionsverdacht stehende russische Generalstaatsanwalt Juri Tschaika, dem der Titel gewidmet ist. "Ich bin ein politischer Mensch, eine politische Künstlerin. Ich trete in Aktionen auf, aber in erster Linie bin ich Managerin unserer Gefangenenorganisation und unseres Medienprojektes."
Zum Interview erscheint sie wie für einen Auftritt: die Oberlippe rot, die Unterlippe schwarz geschminkt, weiße Wimpern und Augenbrauen, einen kleinen Sowjetstern als Schönheitsfleck. Aktionskünstlerin, Sängerin, Musikerin, Autorin - sie mag sich nicht festlegen, Hauptsache es geht um Politik. In ihrem Buch gibt sie genau 200 Anleitungen zur Revolution.
"Das Schreiben habe ich im Gefängnis schätzen gelernt. Dort gibt es keine andere Möglichkeit, sich auszudrücken, Position zu beziehen. Aktionen sind nicht erlaubt, man kann nicht mit Liedern auftreten, und deswegen habe ich zu schreiben begonnen. Diese Form der Notizen entstand aus der Situation im Gefängnis. Du weißt nie, wann du unterbrochen wirst, wie viel Zeit du hast. Außerdem kann man einen kleinen Zettel besser verstecken. Verschickt habe ich kein einziges Blatt, denn im Gefängnis herrscht Zensur, jede Kritik über die Haftbedingungen, an Putin würde bedeuten, dass Dein Brief nicht ankommt. Wie zu Sowjetzeiten, wo nichts über die Stalinistische Diktatur, die Repressionen geschrieben werden durfte."
Jeder Protest in Russland werde bestraft, sagt Nadja Tolokonnikowa von Pussy Riot. Sie musste wegen des Auftritts in der Kirche zwei Jahre ins Gefängnis. Eine Protestkultur gebe es in Russland bestenfalls auf Schülerniveau. Wie Kinder, die sich, solange der Lehrer nicht im Raum ist, über ihn lustig machen und, wenn er kommt, den Mund nicht aufkriegen.
"Totalitarismus im Straflager"
26 Jahre alt ist sie, studierte Philosophin, aus Norilsk stammend, einer der schmutzigsten Städte Sibiriens, was sich auf ihre Gesundheit ausgewirkt hat. Trotzdem verweigerte sie drei Mal während ihrer Zeit im Straflager in Mordwinien die Nahrungsaufnahme, immer mit dem Ziel, die Haftbedingungen für die Mitgefangenen zu verbessern, die 16- bis 20-stündigen Arbeitstage zu verkürzen. Denn im Straflager habe Totalitarismus geherrscht.
"Der dritte Hungerstreik in meinem zweiten Haft-Jahr war besonders schwer. Er dauerte eine Woche, und schon am dritten Tag waren mein Körper, das Gesicht, die Kopfhaut über und über mit Abszessen bedeckt, die juckten und eiterten. Das schreckliche am Hungerstreik ist, dass du nicht weißt, wann du aufhören kannst. Machst du es zu früh, stehst du schwächer da als zuvor. Mir gelang es durchzuhalten, man reagierte, indem man mich mit dem Menschenrechtsbeauftragten des Präsidenten, Wladimir Lukin, verband."
"Unterstützung für unabhängige Medien ist ein Muss"
Nach ihrer Entlassung gründete sie die Menschenrechtsorganisation "Prawa Zona2", Zone des Rechts", die inzwischen die Freilassung von 18 HIV-kranken Häftlingen erstritten hat. Und sie gründete ein Informationsportal, das spezialisiert ist auf Nachrichten aus dem Strafvollzug und Justizwesen. Mit dem vor ihr berühmtesten Gefangenen Russlands, Michail Chodorkowski, verbindet sie eine enge Zusammenarbeit.
"Wir haben Kontakt, aber keine gemeinsame Finanzierung. Sie unterstützen Familien von politischen Häftlingen materiell. Ich selbst habe oft vermittelt, wenn ich die Häftlinge kannte. Wir sammeln zusammen Informationen über die Haftanstalten und unterstützen gegenseitig unsere journalistischen Projekte. Unseres heißt 'MediaZona' und ihres 'Offenes Russland'."
Die Pussy-Riot-Frontfrau macht zwar immer noch Musik, doch die Prioritäten haben sich verschoben: "Die Kunst braucht meine Seele, um zu überleben. Aber die Unterstützung für unabhängige Medien in Russland ist ein Muss, Pflicht."
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