Psychosomatische Erkrankungen

Unternehmen können Mitarbeitern gezielt helfen

Ein Mann sitzt abends in einem Büro an einem vollen Schreibtisch und arbeitet in Berlin.
Die steigende Belastung im Job macht immer Menschen psychisch krank. © picture-alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Jörn von Wietersheim im Gespräch mit Ute Welty · 22.03.2018
Psychosomatische Erkrankungen nehmen zu - und damit auch die Fehltage in Betrieben. Wie wichtig niedrigschwellige Beratungsangebote für psychisch Kranke sind, zeigt ein Projekt der Uniklinik Ulm. Vor allem Männer würden nun häufiger Hilfe in Anspruch nehmen, sagt Psychologe Jörn von Wietersheim.
Psychosomatische Erkrankungen nehmen in den letzten Jahren zu - genauso die teils sehr vielen Fehltage in Betrieben wegen dieser Erkrankungen. Nun haben die Uniklinik Ulm und ihr Leitender Psychologe Jörn von Wietersheim eine Betriebssprechstunde für Betroffene in einem Unternehmen eingerichtet und (anonymisierte) Daten von 155 Patienten einer Betriebskrankenkasse ausgewertet.
Ergebnis: Durch die Sprechstunde wurden die Fehltage weniger. Eine Verbesserung sicherlich - aber auch eine Optimierung für das Unternehmen, die vor allem das schnelle wieder "Funktionieren" des Patienten in den Vordergrund stellt?

Schnellere Therapie

Eine Sprechstunde nütze beiden Seiten, meint Wietersheim. Sie sei ein niedrigschwelliges Angebot, das einen schnelleren Zugang zu Diagnosen ermögliche, die wiederum idealerweise zu einer schneller einsetzenden Therapie führten. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass viele Hausärzte Arbeitnehmer oft monatelang krank schrieben – ohne dass diese von einer effektiven Therapie begleitet würde. Deshalb sei es auch eine Aufgabe für den neuen Bundesgesundheitsminister, schnellere Therapiezugänge möglich zu machen.
Jörn von Wietersheim, leitender Psychologe an der Ulmer Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Jörn von Wietersheim, leitender Psychologe an der Ulmer Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.© Copyright: Universitätsklinik Ulm / Stefanie Moeloth
Denn das Verschleppen führe oft zu "einer Chronifizierung" – und schade letztlich allen Seiten. Wietersheim glaubt jedoch nicht, dass firmeneigene Sprechstunden dazu führen würden, Mitarbeiter (vor-)schnell wieder gesund zu schreiben. Auch das sei nicht im Interesse des Unternehmens.
Depressionen, Angststörungen oder Alkoholprobleme seien die häufigsten Ursache dafür, dass Betriebsmitarbeiter in der Psychosomatik-Sprechstunde Hilfe suchten.
Viele Menschen fühlen sich durch solche psychisch begründeten Leiden stigmatisiert. Dies müsse auch bei dem Angebot einer Sprechstunde beachtet werden, gibt Wietersheim zu bedenken. Deshalb könne es im Betrieb durchaus wichtig sein, dass nicht für alle Mitarbeiter sofort ersichtlich werde, ob ein Kollege einfach nur zum Betriebsarzt gehe oder aber in die psychosomatische Sprechstunde.

Mehr Männer gehen zum Arzt

Neben weniger Fehltagen gebe es noch einen weiteren positiven Effekt mitarbeiter-naher Angebote: Männer – allgemein als Ärzte-Muffel verschrien – nähmen sie wahr.
"Wir haben tatsächlich den Eindruck, dass für Männer der Zugang dann etwas leichter ist. (…) Die gehen sonst nicht so gerne hin, und wenn dann noch Hindernisse sind – von Stigmatisierung, von einem langen Weg, von langen Wartezeiten – dann gehen sie vielleicht noch weniger gern."
In allen zwölf Sprechstunden in den verschiedenen Unternehmen, die Wietersheim und seine Kollegen betreuten, zeichne sich ab, dass Männer den Weg zu ärztlicher Beratung jetzt "etwas leichter finden, als wenn sie zum Beispiel zum niedergelassenen Psychotherapeuten oder zum niedergelassenen Psychiater gehen müssen".
Wietersheim ist davon überzeugt, dass auch kleine Unternehmen solche Sprechstunden anbieten könnten – indem sich mehrere Firmen zusammentun und diesen Service teilen.
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