Psychometrie

Welche Datenspuren verraten unsere Persönlichkeit?

Ein Glasstein liegt auf dem Bildschirm eines iPhones und vergrößert das Profil-Icon einer Facebook-Anwendung.
Der Psychologe Michal Kosinski will herausfinden, welche Schlüsse man aus unseren digitalen Spuren auf unsere Persönlichkeiten ziehen kann. © picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr
Von Christoph Drösser · 12.01.2017
Der Psychologe Michal Kosinski hat Beängstigendes herausgefunden: Anhand unserer Spuren im Internet lässt sich nicht nur erraten, was wir zuletzt eingekauft haben – sondern auch, wie wir uns heute fühlen. Ein gefundenes Fressen für die Werbeindustrie.
Vielleicht fängt man am besten mit dem an, was Michal Kosinski nicht ist: Weder hat er eine neue psychologische Persönlichkeitstheorie entwickelt noch ein revolutionäres Verfahren, um aus großen Datenmengen Information zu extrahieren. Kosinski arbeitete vor ein paar Jahren im Psychometrie-Department der britischen Universität Cambridge. Psychometrie ist eine Disziplin, die versucht, unsere Persönlichkeit mit objektiven Daten zu vermessen.
"Schon früh haben wir erkannt, dass man die Leute vielleicht gar keine Fragebögen ausfüllen lassen muss. Wenn die Menschen online so viele Fußabdrücke hinterlasse, während sie einkaufen, Dinge tun, über Dinge nachdenken und Dinge fühlen. Man muss die Leute gar nicht darum bitten, das selbst zu erzählen, man kann einfach hingehen und diese digitalen Spuren aufzeichnen. Und vielleicht, habe ich überlegt, wäre es möglich, auf diese Weise psychologische Merkmale zu testen."
Seine etablierten Kollegen betrachteten diese Idee erst einmal mit Argwohn: Facebook-Daten als Grundlage für seriöse psychologische Forschung? Vor allem aber: Zeigen wir online überhaupt unser wahres Gesicht?
"Und zweitens sagten sie: Besteht überhaupt irgendeine Beziehung zwischen deiner Onlinepersönlichkeit und deiner Offlinepersönlichkeit? Vielleicht hat es keinen Sinn, Menschen online zu untersuchen, weil wir uns alle in gelbe Einhörner verwandeln, sobald wir ins Internet gehen, und es keinen Zusammenhang zwischen unserem Charakter dort und im wirklichen Leben gibt."

Facebook-Fragebögen nur Vorwand für Datensammler

Wenn Sie auf Facebook sind, dann haben Sie vielleicht schon einmal an einem Spielchen teilgenommen, bei dem Sie ein paar Fragen beantworten und dann zum Beispiel gesagt bekommen, welche Hunderasse am besten zu Ihnen passt. Das ist oft ein Vorwand, um an Nutzerdaten zu kommen. Kosinski und seine Mitarbeiter boten einen seriösen psychologischen Fragebogen auf Facebook an und waren erstaunt, dass Millionen von Menschen die Fragen beantworteten. Und die Hälfte von ihnen erlaubte den Forschern den Zugriff auf ihr Profil.
Der Fragebogen bewertete die Persönlichkeit der Nutzer nach dem sogenannten Big-Five-Modell nach fünf Kategorien: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Kosinski glich die Ergebnisse mit Hilfe eines handelsüblichen Big-Data-Algorithmus mit den Facebook-Daten der Nutzer ab, vor allem mit ihren Likes, und kam zu dem Ergebnis, dass er ganz ohne Fragebogen die Persönlichkeitswerte erstaunlich gut vorhersagen kann.
Er erläutert das an einem anderen Beispiel – sein Algorithmus kann mit 88-prozentiger Genauigkeit sagen, ob ein Nutzer schwul ist oder nicht. Wie kann man solche Persönlichkeitsmerkmale allein aus den Facebook-Likes herauslesen?
"Dass wir Lady Gaga mögen oder Harley Davidson, sagt nicht wirklich viel über unsere intimen Eigenschaften. Aber im Durchschnitt haben die Leute viele Likes, und jeder dieser Likes enthüllt ein kleines bisschen. Für einen Menschen muss Information immer eine bestimmte Schwelle überschreiten, damit wir sie überhaupt wahrnehmen. Wenn ein Geräusch zu leise ist, hören wir es nicht. Für den Computer dagegen ist die Schwelle viel niedriger. Auch eine kleine, aber signifikante Korrelation ist für ihn sichtbar, er kann viele Wörter, die Sie in Ihren Facebook Posts verwenden, und viele Likes zusammenfassen, und dann ist die Vorhersage tatsächlich sehr, sehr präzise."
Individuelle Werbung ist ein Anwendungsgebiet für diese Erkenntnisse. In einem noch nicht veröffentlichten Experiment mit Kosmetikwerbung hat Kosinski auch schon demonstriert, dass persönliche Werbung die Klickraten für Anzeigen erstaunlich steigern kann. Aber er hat noch ganz andere Beispiele im Kopf, die mit Werbung nichts zu tun haben:
"Stellen Sie sich vor, Sie leiten das datenwissenschaftliche Team bei Facebook. 1,7 Milliarden Mitglieder. Jeden Tag begehen Hunderte davon Selbstmord. Und Sie finden heraus, dass Sie mit sehr hoher Präzision voraussagen können, dass eine Person gefährdet ist, sich in den nächsten 24 Stunden umzubringen. Wenn Sie wissen, dass sich jemand umbringen oder ein Verbrechen begehen will, dann sind Sie in vielen Ländern gesetzlich verpflichtet – und ich würde sagen: auch moralisch verpflichtet – etwas zu unternehmen."

Verhalten auf Facebook kann sogar Suizidgedanken verraten

Ist dem Forscher da die Fantasie ein bisschen durchgegangen? Keineswegs, sagt er, es gebe ziemlich deutliche Anzeichen dafür, dass jemand sich mit Selbsttötungsgedanken trägt:
"So etwas passiert nicht zufällig. Es gibt eine Folge von Ereignissen, die da hinführen, und Psychologen kennen die Warnzeichen. Warnzeichen, die man von außen sehen kann, sind eine sehr grobe Messmethode verglichen mit der Beobachtung des Verhaltens auf Facebook. Etwa wie jemand die Maus oder die Tastatur benutzt – schreiben Sie vielleicht etwas und schicken es nie ab? Oder wenn jemand, der normalerweise sehr energisch und fehlerfrei tippt, plötzlich sehr langsam schreibt und viele Fehler macht, als wäre er betrunken, und das über mehrere Tage ..."
Eine andere erschreckende Anwendung: Religiöse Fanatiker, Kosinski erwähnt die fundamentalistische Westboro Baptist Church, könnten seine Erkenntnisse dazu nutzen, etwa Dateien von homosexuellen Mitbürgern anzulegen:
"Ich zeige Schwulen eine Anzeige. Es ist wie ein Honigtopf. Wenn diese Fundamentalisten Mahnwachen vor den Häusern von Schwulen organisieren wollen, dann schalten sie eine Facebook-Anzeige – nicht: "Willst du eine Mahnwache vor deinem Haus haben?", sondern "Möchtest du ein kostenloses T-Shirt?". Die Leute klicken auf die Anzeige, geben ihre Adresse an, um das T-Shirt zu bekommen, und dann bekommen sie Morddrohungen oder eine Demo vor ihrem Haus."

Wenn Unternehmen wissen, wie unser Frühstück war

Der Psychologe ist selbst erschrocken darüber, welches Missbrauchspotenzial er da entdeckt hat. Michal Kosinski ist davon überzeugt, dass solche intimen Persönlichkeitsprofile längst von Firmen angelegt werden, die keine öffentlich einsehbaren Forschungsarbeiten publizieren. Dass unser Shopping-Verhalten im Netz von allen möglichen Händlern verfolgt und ausgewertet wird, daran haben wir uns längst gewöhnt. Aber die digitale Persönlichkeitsanalyse geht viel weiter:
"Der zentrale Gedanke, den ich vermitteln will: Wenn man ein Buch kauft, dann kann man erwarten, dass man aufgrund dieses Kaufs gezielte Anzeigen bekommt. Das verstehen die Leute. Aber wenn Sie ein Buch kaufen, und ich schließe daraus, dass sie links sind oder schwul oder dass sie heute morgen vielleicht bisschen hektisch waren, und nun schicke ich Ihnen Anzeigen aufgrund dieser sekundären Eigenschaften, die Sie von sich aus niemals kommuniziert haben - ich denke, das ist überhaupt nicht in Ordnung, weil Sie nicht einmal wussten, dass ich eine solche psychologische Einschätzung von Ihnen gemacht habe."