Psychologische Angebote im Web

Seelenklempner Internet

Therapie per Internet
Therapie per Internet © imago / McPHOTO
Von Andrea und Justin Westhoff · 20.04.2015
In manchen Ländern ist die Internettherapie bereits Bestandteil des Versorgungssystems, bei uns sind es noch eher Modellversuche. Wie wird die Qualität dieser Form der Behandlung gemessen? Eine Spurensuche im Netz.
"Hallo, Menschen da draußen, ich lese seit ein paar Tagen hier im Forum und möchte heute von mir schreiben. Ich habe seit vielen Jahren Depressionen, im Moment geht's mir besonders mies. Viele Freunde haben sich von mir abgewandt."
"Du bist gerade in einem Loch. Insofern ist wirklich wichtig ist, dass du rausgehst. Ich weiß, wie schwer das ist, aber es geht immer was."
Wer in seelischen Nöten ist, findet im Internet mittlerweile alles: von solchen Selbsthilfe-Foren über digitale Beratung bis hin zu regelrechten Psychotherapie-Programmen. Der erste Schritt erinnert im Prinzip an die Ratgeber- und Kummerkasten Rubriken in Zeitschriften. Man schildert sein Problem und erwartet eine hilfreiche Antwort. Nur ist das Netz viel dynamischer und unberechenbarer.
Über psychische Probleme in Foren zu schreiben oder zu chatten, oft anonym, das kann hilfreich sein. Aber die Gefahr falscher Ratschläge ist groß. Im Internet kursieren Verschwörungstheorien, medizinisch-psychologisches Halbwissen und zweifelhafte Aussagen von Interessengruppen, weiß die Psychologin Christine Knaevelsrud.
"Ein Großteil der Angebote im Internet sind entweder von zum Beispiel einer Pharmafirma, oder aber es sind einfach irgendwelche Laien, die da Webseiten erstellen, wir sollten uns dieser Verantwortung viel stärker widmen und dafür sorgen, dass es gute Angebote gibt."
Jugendliche meiden das Gespräch
Vor allem Jugendliche meiden das persönliche Gespräch, gerade bei seelischen Nöten, und finden dann neben seriösen auch zahlreiche dubiose Angebote im Netz.
Schon seit 30 Jahren gibt es deutschlandweit die "Nummer gegen Kummer" für Kinder und Jugendliche. Sie können hier anonym und kostenlos Rat suchen. Nina Pirk betreut die Online-Beratung.
"In der Online-Beratung sind es auch oft die, wir sagen, schwierigeren Themen, die angesprochen werden, wie Suizidgedanken oder auch selbstverletzendes Verhalten, schwierigere Fälle von Mobbing, natürlich auch Suchtkrankheiten in der Familie oder eben die psychologischen Probleme entweder der Kinder und Jugendlichen selbst oder auch der Eltern."
Das Web ist jedoch nicht nur ein Hilfsangebot, sondern es kann – vor allem für Jugendliche – umgekehrt auch zur Quelle für seelische Probleme werden: Angefangen vom Mobbing bis hin zu Seiten mit Anleitungen zum Suizid. Nina Pirk erlebt das immer wieder: Ein Mädchen zum Beispiel, 15 Jahre alt, schreibt ihr, dass sie sich viele Gedanken über den Sinn des Lebens macht …
"… und sie hat jetzt so ein bisschen im Internet geguckt und ist dann eben auf Suizidforen gestoßen, und hat da eben sich mit anderen ausgetauscht, die ähnliche Gedanken haben, hat jetzt aber auch gemerkt, dass da einige unterwegs sind in den Foren, die schon suizid-gefährdet sind, hat da immer mehr drüber gelesen, fand das irgendwie faszinierend und hat sich an die E-Mail-Beratung gewandt, weil sie gemerkt hat, dass sie das ein bisschen sehr fasziniert. Also es macht ihr fast ein bisschen Angst. Andere fühlen sich natürlich auch bestätigt, also die kommen dann durchaus auch mit Details in der Beratung: Ich hab im Internet gelesen, XY funktioniert schnell oder irgendwie so."
Es gibt zum Beispiel riskante Foren für "Ritzer" oder für magersüchtige Jugendliche.
"ProAna und ProMia-Foren heißen die, da kann man in dem Forum eben nur mitmachen, wenn man täglich ein Bild von sich postet, wie man sich wiegt oder so was, also Zugangskriterien, die schon einfach jugendgefährdend sind, das Risiko ist, dass die Jugendlichen da Gleichgesinnte finden, also wenn es ein riskantes Forum ist, dass dann eben auch keine Hinweise auf Beratungsmöglichkeiten gegeben werden, dass nicht klar gesagt wird, dass es eine Erkrankung ist, die Essstörung, sondern dass die sich gegenseitig hochschaukeln, dass die Mädels, die da in den Foren aktiv sind, dass die schon fast eine Vorbildfunktion übernehmen, und dass das Dünnsein zum Beispiel als Lifestyle gefeiert wird."
"Meine besten Tipps und Tricks zum Abnehmen: Wenn ihr mal wieder Hunger habt oder irgendwie essen wollt, dann trinkt nach jedem 2. Bissen was. Macht den Bauch schneller voll. Sucht euch einen Twin, also eine Person, die euch beim Abnehmen unterstützt und die ihr unterstützt."
Solche Seiten machen zum Teil den Eindruck, als ob da mehr eine Geschäftsidee dahintersteckt, als das ein tatsächlicher Austausch zwischen Mädchen stattfindet. Mitunter ist nicht klar, ob deren Nöte nicht sogar professionell missbraucht werden.
Gezielt Online-Hilfe bei seelischen Problemen
Obwohl solche Foren die Bestimmungen des Jugendschutzes unterlaufen, gibt es Hunderte davon. Der gängige Rat an Eltern, darauf zu achten, was ihre Kinder im Internet so treiben – leichter gesagt als getan. Deshalb bieten mehrere Organisationen jetzt auch gezielt Online-Hilfe bei seelischen Problemen an.
Die meist ehrenamtlichen Berater können zwar keine fachliche Therapie machen, sind aber speziell geschult.
"Also das Ernstnehmen, gerade wenn Jugendliche sehr aufgewühlt anrufen, hilft das erstmal so ein bisschen Ruhe reinzubringen. Und dadurch, dass der Ratsuchende sein Anliegen an die E-Mail-Beratung schreibt, dann eine Antwort von einem Berater kommt und dann mit diesem Berater erstmal im Dialog bleiben kann. Wir versuchen dann eben auch zu schauen mit dem Ratsuchenden zusammen, was ein nächster Schritt sein kann zur Lösung seiner Situation, aber am Telefon ist es nicht möglich, wieder mit dem gleichen Berater zu sprechen."
Die Berater versuchen auch zu erkunden, wer in der Umgebung des Kindes noch ein "leibhaftiger" Ansprechpartner sein könnte. Auch Foren sind im Prinzip ein wichtiges Hilfsangebot:
"Weil die Jugendlichen sich in einem geschützten Raum einfach austauschen können mit Gleichgesinnten, was ja in der Pubertät auch wichtig ist."
sagt Nina Pirk. Allerdings weisen die Berater die Jugendlichen ausdrücklich auf moderierte Foren hin, wo jemand nötigenfalls eingreift, um zum Beispiel das genseitige Aufstacheln und das Verherrlichen seelischer Nöte zu stoppen. Anleitungen und Methoden zum selbstschädigenden Verhalten werden konsequent gelöscht. FIDEO – Fighting Depression Online – ist so ein Online-Informationsangebot mit integriertem Diskussionsforum für junge Menschen ab 14 Jahren.
"Meine Mutter ist immer sauer auf mich und sagt, ich soll nicht so schlecht gelaunt sein. Ich fühle mich von ihr nicht erst genommen und auch mit meinem Vater, der mit seiner Freundin zusammen wohnt, kann ich nicht reden. Ich glaube dass ich Depressionen habe, weiß aber nicht ob ich zum Arzt gehen oder wie ich mit jemandem reden soll. Irgendwie fühle ich mich sogar hier als Verliererin, weil es anderen viel schlechter geht als mir. Ich weiß, dass das dumm ist und dass Depressionen kein Wettbewerb sind. – Pusteblume."
"Hey, also, als allererstes: Du hast Recht, Depressionen sind kein Wettbewerb, es ist eine Krankheit. Ich war acht Wochen in stationärer Behandlung, das tut unfassbar gut. Habt keine Angst, euch Hilfe zu holen! – Asgrove."
Moderierte Foren oder Frage-Antwort-Dialoge mit Experten gibt es auch für Erwachsene. Vor allem aber wächst der Bedarf nach direkten, auf den Hilfesuchenden zugeschnittenen psychologischen Angeboten im Netz.
"Hat jemand von euch schon mal Onlinesitzungen beim Psychotherapeuten gemacht?"
"Hmm – die meisten kosten Geld, und wer sagt dir dann, dass der Therapeut nicht gerade vorm Fernseher sitzt und dir irgendeine 08/15 Antwort schreibt."
"Also ich wäre dabei, wenn meine Kasse das bezahlen würde."
"Das ist ja wohl nur ein Witz? Viele sind doch nur Depries, weil sie nie ins echte Leben gehen, weil sie immer nur mit ihren elektronischen Facebook-Freunden Kontakt haben."
Thema wird intensiv erforscht
Die Idee einer psychologischen Hilfe übers Internet stammt ursprünglich aus den 1990er Jahren in den USA. Auch in den Niederlanden, in England, in Schweden und in der Schweiz sind solche Online-Angebote schon seit längerem Bestandteil der Versorgung. In Deutschland wird das Thema inzwischen intensiv erforscht, Online-Therapie gehört jedoch noch nicht zur Regelversorgung.
"Ich halte das wirklich für ein zeitgemäßes Angebot, mit dem Benachteiligungen durch abgelegene Wohnorte oder lange Wartezeiten sehr gut ausgeglichen werden können. Heutzutage hat jeder Biobauer eine Homepage und jede Almhütte eine Satelliten-Schüssel."
Die Nachfrage nach Psychotherapie jeglicher Art wird größer, seelische Erkrankungen nehmen zu. Aber es gibt Versorgungsengpässe, laut einer Studie der Bundespsychotherapeutenkammer muss man auf ein erstes Kontakt-Gespräch mindestens drei bis fünf Monate warten. Bis die Behandlung losgeht, vergehen noch weitere Monate. Das ist einer der Gründe, warum immer mehr Kassen die Modellversuche zur Online-Therapie unterstützen, sagt Patrick Heitz von der Barmer-GEK:
"Es kann helfen. Die beratenden Angebote haben auf jeden Fall die Möglichkeit, die Wartezeit auf eine echte ambulante Psychotherapie zu überbrücken, und was auch ganz wichtig ist, die bundesweite und ortsungebundene Verfügbarkeit, zum Beispiel auch für Regionen, die eher ländlich geprägt sind."
Der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer, Professor Rainer Richter, ist eher skeptisch, ob der Mangel an Therapeuten auf diese Weise behoben werden kann.
"Ich will das nicht ausschließen, aber wir haben bisher überhaupt keine Belege dazu. Wir wissen, dass bestimmte Patientengruppen sehr schwer einen Psychotherapieplatz finden, das sind zum Beispiel ältere Menschen, die extrem selten, obwohl sie gleichhäufig an psychischen Erkrankungen leiden, in Psychotherapie sind, da hätte ich nun Bedenken, wenn ich mir vorstelle, dass ein 70jähriger Patient, der depressiv ist, nun in besonderer Weise motiviert ist, einen Dialog mit einem nicht anwesenden Psychotherapeuten zu führen, vielleicht sogar noch mit einem Computer, wo er weiß, da sitzt gar kein Therapeut dahinter."
Christine Knaevelsrud, Psychologie-Professorin an der FU Berlin, hat allerdings die Erfahrung, dass in vielen Fällen die Beziehung auch anders als von Angesicht zu Angesicht aufgebaut werden kann.
"Wir unterschätzen die Macht der Vorstellung. Wenn man Kontakt hat mit einem anderen Menschen, sei es über Telefon oder sei es schriftlich, haben wir sehr schnell ein differenziertes Bild unseres Gegenübers, und darüber entsteht auch eine intensivierte Bindung."
Rainer Richter leugnet nicht pragmatische Vorteile für internetaffine Menschen oder für jene, die viel unterwegs sind. Für die berufsständige Organisation liegt das Hauptinteresse der Krankenkassen jedoch anderswo.
"Sie wollen Modelle haben, wo es sehr viel schneller und vor allen Dingen billiger geht. Und billiger heißt, es muss dann nicht ein entsprechend approbierter, ausgebildeter qualifizierter Psychotherapeut dem Patienten gegenüber sitzen, sondern das kann man auch alles automatisieren. Und schon wird's natürlich billiger, so denken die Kassen."
Auch wenn die Internettherapie tatsächlich weniger zeitaufwendig ist, widerspricht der Kassenvertreter.
"Wir kalkulieren hier nicht mit hohen oder übermäßigen Einsparungen. Eine Einheit der echten Online-Psychotherapie mit einem Psychotherapeuten am anderen Ende der Webcam wird ungefähr den gleichen Preis haben wie eine Einheit konventioneller ambulanter Psychotherapie. Die Online-Beratungsangebote sind zwar preiswerter als zum Beispiel eine konventionelle ambulante Psychotherapie, aber nicht als Alternative einsetzbar."
Nicht für alle geeignet
Denn Psychotherapie via Internet ist nicht für alle geeignet. Sie kann aber für einige Patientengruppen interessant oder gar die einzige Möglichkeit sein.
"Ich leide unter einer Angststörung und habe irgendwie ein Problem damit, mich von Angesicht zu Angesicht mit einem Therapeuten auseinander zu setzen und ihm alle meine Probleme zu offenbaren. Das Internet wäre also vielleicht für mich einen Versuch wert."
Christine Knaevelsrud hat viel Erfahrung mit Modellversuchen und Studien zum Thema. Als niedrigschwelliges Angebot bietet die Online-Therapie zum Beispiel für solche Menschen Vorteile, die aus Scham gar nicht zur Therapie gehen, oder weil sie nicht dabei nicht gesehen werden wollen.
Das gilt gerade auch für Suchterkrankungen. Hier kann der schriftliche Kontakt zudem noch intensiver wirken als eine face-to-face-Konfrontation.
"Es sind sehr wenig Suchterkrankte, die überhaupt in eine konventionelle Psychotherapie oder dann zu einem stationären Aufenthalt gehen, und wenn man vielleicht in der konventionellen Psychotherapie mal sagt, "ja, ja, das ist schon mal ein Weinchen oder Bierchen zu viel", ist es da noch anders möglich, deutlich zu sagen, "ja, das sind jeden Tag zwei Flaschen, die ich trinke und dann noch irgendwie fünf Flaschen Bier" und im direkten Kontakt wird das potenziell erstmal weggelächelt sozusagen."
Für Menschen mit einer Internetsucht, die also übermäßig chatten oder spielen, ist die Online-Therapie selbstverständlich nichts. Ungeeignet erscheint sie auch für individuelle Beziehungsprobleme, die eher intensiv besprochen und analysiert werden sollten. Und geradezu kontraindiziert ist eine Internettherapie für Menschen mit schweren psychischen Störungen, betont Rainer Richter:
"Wenn ein Patient Wahnideen hat und sich verfolgt fühlt, und hinter jeder Säule, hinter jedem Hauseingang vermutet, wenn sich jemand umdreht, die gehören auch dazu, die mich verfolgen, und da ein ganzes System draus baut, dem werden Sie mit einem IT-Programm möglicherweise noch zusätzlich sogar schaden. Weil da die Gefahr besteht, dass er das in sein System einbaut."
Christine Knaevelsrud stimmt zwar grundsätzlich zu, dass eine Online-Behandlung für schwer psychisch kranke Menschen nicht das Richtige ist, …
"… gleichwohl muss man sagen, dass eben auch ein Großteil von diesen besonders kranken Patienten diesen Weg nutzt. Und die wenden sich dann an online-basierte Beratungsstellen, weil vor allen Dingen die visuelle Anonymität erst mal überhaupt der erste Schritt ist, um sich Hilfe zu holen."
Konkret kommt es selbstverständlich auch auf die Art der Hilfsangebote an. Schon seit einigen Jahren gibt es Therapeuten, die mit ihren Patienten zwischen den einzelnen Sitzungen im E-Mail- oder SMS-Kontakt bleiben. Aber mittlerweile existieren auch viele ausgearbeitete Programme zur Onlinetherapie. Die einfachste Form sind automatisierte Programme:
"Wie ist das Training aufgebaut? Sieben Lektionen. Lektion 1. Wissenswertes.… "
Die Computerstimme erinnert zwar noch ein wenig an das Klischee der Mensch-Maschine-Dialoge. Aber sie liest lediglich bei Bedarf den Bildschirmtext vor. Und außerdem sind Programme wie "GET.ON" inhaltlich inzwischen erheblich weiter entwickelt. Sie basieren auf Konzepten der kognitiven Verhaltenstherapie, mit der Störungen wie Angst, Depression, Erschöpfung auch konventionell schon erfolgreich behandelt werden. Daraus wurden spezielle Übungsmodule für die Online-Anwendung erarbeitet.
"Auf Basis wissenschaftlicher Studien empfehlen wir Ihnen am besten eine bis zwei Lektionen pro Woche …"
"GET.ON"wurde von Wissenschaftlern der Leuphana-Universität Lüneburg entwickelt, gefördert von der Europäischen Union, aber auch von der Barmer-GEK und der Unfallkasse NRW. Mittlerweile vermarkten einige der ursprünglich Beteiligten die Gesundheitstrainings-Programme als kostenpflichtiges Angebot.
Die Nutzer erhalten Zugang zu der geschützten Plattform im Internet, auf der sie eines von elf Programmen mit unterschiedlichen Trainings-Modulen finden.
"Sie haben sich dazu entschieden, etwas gegen Ihren Stress zu unternehmen. Schön, dass Sie hier sind …"
Durch jede Lektion führen Texte und erklärende Videos und es gibt Audio-Dateien mit Entspannungsübungen am Computer. Außerdem soll jeder Nutzer ein Online-Tagebuch führen, um seine persönlichen Trainingspläne, die Fortschritte, ebenso wie Hindernisse zu dokumentieren. Alle Get.on-Programme gibt es auch mit Therapeutenkontakt, als "Feedback-on-demand" oder als Dauerbegleitung.
"Die Techniken, die Bestandteil des Trainings sind, werden seit vielen Jahren in vielen Bereichen erfolgreich angewandt."
Auch andere Organisationen bieten Online-Programme mit unterschiedlich intensivem Therapeutenkontakt. Zum Beispiel "Net-Step", ein Modellprojekt des Zentrums für Gesundheit am St. Josef-Krankenhaus in Neuss, das Ende Dezember 2014 abgeschlossen wurde. Die AOK Rheinland bietet diese Online-Therapie ihren Versicherten jetzt an.
Am Anfang steht hier ein persönliches Gespräch in der Klinik, um die richtige Diagnose zu sichern. Die Teilnehmer lernen so außerdem ihren Therapeuten kennen, der sie später durch das Programm begleiten wird. Das besteht ebenfalls aus verhaltenstherapeutischen Übungsmodulen, zugeschnitten für Depressionen, Panikstörungen oder soziale Phobien. Dabei wird eine Patientin zum Beispiel in der ersten Lektion aufgefordert, eine typische Angstsituation in ein Textfeld zu schreiben:
"Neulich war ich auf eine kleinere Party eingeladen, ich war schon früh da, um möglichst nicht von den anderen angestarrt zu werden. Und ich hab mir vorher ein paar Gesprächsthemen überlegt. Aber wenn mich dann jemand angesprochen hat, wurde ich wieder ganz rot und habe angefangen zu schwitzen. Sicher ist das den anderen aufgefallen, ich bin immer nervöser geworden und habe schließlich gar nichts gesagt."
Individuelles Feedback innerhalb 48 Stunden
Der Therapeut liest das in dem persönlichen Net-step-Portal und gibt ein individuelles Feedback, nicht im live-chat, sondern innerhalb von 48 Stunden.
"Vieles, was Sie getan haben, zeigt Ihr Sicherheits- und Vermeidungsverhalten. Aber die deutlichste Form von Vermeidung wäre es gewesen, zu gehen. Das haben Sie nicht getan. Klasse! Wir werden uns mit den typischen Gedanken in einer solchen Situation, mit Ihren „Katastrophenerwartungen“, noch näher befassen. Und wir werden Sie mit einer Methode vertraut machen, die Ihnen helfen kann, diese gedanklichen Muster zu erkennen und zu überprüfen."
Man kann alle Übungen nach seinem eigenen Rhythmus und Bedarf durchführen, wird aber, wenn man sich längere Zeit nicht meldet, per Mail kontaktiert.
Ein weiteres, vielleicht exotisch erscheinendes, aber methodisch typisches Beispiel einer Online-Therapie betreuen Psychologen der FU Berlin:
"Wir haben ein Therapieangebot, was wir auf Arabisch anbieten, das ist für Posttraumatische Belastungsstörungen und depressive Störungen, und es ist so, dass Patienten auf unsere Webseite kommen, „ilajnafsyi“ heißt die, „psychologische Hilfe“ auf Arabisch, und da entsprechende Informationen erhalten, und wenn sich herausstellt, eine Traumabehandlung wäre sinnvoll, dann gibt es jeweils einen festen Therapeuten, mit dem dann als erstes besprochen wird, was erlebt wurde, und man dann sozusagen nach einem vorgefertigten Ablauf versucht, die Erfahrung entsprechend zu bearbeiten."
Die Psychologin Christine Knaevelsrud und ihre Kollegen am Behandlungszentrum für Folteropfer bekommen ihre Patienten nie zu Gesicht, da sie meist tausende Kilometer entfernt leben, in Bagdad oder in Basra. Inzwischen werden über das virtuelle Traumatherapie Zentrum auch Menschen aus Syrien oder Ägypten kostenlos behandelt. Gerade nach traumatischen Erlebnissen ist es oft gut und wichtig, sich nicht persönlich zu begegnen, weil Folter, Vergewaltigung und andere Gewalterfahrungen mit Scham- und Schuldgefühlen einhergehen.
"Wir nutzen vor allen Dingen auch das Element des expressiven Schreibens. Das ist etwas, was sehr altmodisch ist vom Ansatz, in einer neuen Verpackung. Das kann man sich so vorstellen wie einen Briefaustausch. Es geht vor allen Dingen darum, Texte über das, was passiert ist, zu formulieren, und das noch mal aus einer neuen Perspektive zu bewerten."
Die computergestützte Therapie, mit Texten von Patienten und regelmäßiger Rückmeldung per E-Mail, wird zum Beispiel auch für ältere Menschen angeboten, "Kriegskinder" oder vergewaltige Frauen, die nun endlich ihr Trauma angehen und bearbeiten können – mit einigem Erfolg, wie eine 76jährigen Teilnehmerin schreibt:
"Ich hätte nie gedacht, wie tief mich diese Behandlung erreichte. Die Wogen der Erinnerung überschlugen mich. Irgendwie fühlte ich mich so lange allein gelassen. Viele Hilfen haben sich mir gezeigt, nur die Stärke, sie auch abzurufen, habe ich erst jetzt gewonnen."
Unterschiedliche Erfahrungen aus zehn Jahren
Inzwischen gibt es gut zehn Jahre Erfahrung mit insgesamt mehreren tausend Patienten in den zahlreichen Studien und Modellversuchen zu verschiedenen internetbasierten Therapieangeboten. Die Reaktionen sind unterschiedlich:
"Ich habe eine ganze Zeitlang Onlinetherapie gemacht, per Mail. Egal wie viel ich geschrieben habe, es kam immer ne Din-A-4-Seite zurück und das wirklich mit für mich gewinnbringenden Gedanken. Wirklich so, als würde man bei nem Therapeuten selbst sitzen."
"Anders als in einer Face-to-Face-Therapie ist die Tendenz, den Computer zu vergessen, hier viel größer. Und die Verlockung, tiefergehende Probleme eben doch nicht anzusprechen."
"Mit Hilfe des Trainings bin ich doch wieder etwas aktiver geworden, und meine Stimmung hat sich ein wenig gebessert. Richtig lachen kann ich zwar immer noch nicht, aber ein Grinsen ist schon drin –J"
Die Zahlen bestätigen das: Bei mehr als der Hälfte der Menschen, die eine Internettherapie gemacht haben, gingen die Beschwerden deutlich zurück, und die Wirkung hielt auch an.
"Wenn man die Interventionen unmittelbar vergleicht, dann sehen wir keine systematischen Unterschiede in der Wirksamkeit. Und das störungsübergreifend, also nicht nur für die Depression oder für die Angst, sondern auch in anderen Störungsbereichen. Das gilt natürlich immer nur für diejenigen, die sich grundsätzlich eine Online-Therapie vorstellen könnten. Und es gibt natürlich auch einen erheblichen Anteil an Psychotherapie-Patienten, die sagen: 'Das ist nichts für mich, ich brauche den direkten Kontakt'."
Erfolg oder Scheitern hängen aber vor allem von der Art der Online-Therapie ab.
"Das ist tatsächlich so ein, wenn man so will, Misserfolg der Online-Therapie, wenn sie nicht therapeutisch begleitet ist. Wir sehen deutlich herabgesetzte Wirksamkeiten, wenn es eben ein ausschließlicher Selbsthilfeansatz ist, wir sehen vor allen Dingen eine sehr hohe Abbruchquote. Bei der Depression zum Beispiel, wenn sie rein auf Selbsthilfe basiert ist, 75 Prozent derjenigen, die ursprünglich gedacht haben, das könnte etwas für mich sein, bricht die Behandlung ab. Aber dort, wo sie therapeutisch begleitet werden, sehen wir eine Abbruchquote, die nicht höher ist, als in der konventionellen Psychotherapie."
Persönliches Zwiegespräch unersetzbar
Professor Rainer Richter, als Vertreter der konventionellen Therapeuten, glaubt weiterhin, dass das persönliche Zwiegespräch unersetzbar ist. Aber auch er räumt ein, dass es ein paar Ausnahmen gibt. Als Beispiel nennt er die onlinebasierte Nachsorge nach Klinikbehandlung von bestimmten Patientengruppen.
"Patientinnen sind es ja häufig, die wegen Magersucht, massiven Essstörungen stationär behandelt wurden, vier, sechs, acht Wochen, und dann auch eine Nachsorge brauchen, und die dann über elektronische Medien mit ihrem Therapeuten, den sie ja kennen, regelmäßig einmal pro Woche, alle zwei Wochen oder auch bei Bedarf, kommunizieren können, der sie auch fragen kann: "Wie geht’s Ihnen? Wie ist Ihr Gewicht oder ihr Befinden?" Um gewissermaßen nach in dieser Nachsorgephase angebunden zu sein, und sich auch, das sagen die Patienten auch, in einem positiven Sinne kontrolliert zu fühlen. Da funktioniert das, und die haben hervorragende Ergebnisse."
Während "Kontrolle" hier als positives Feedback empfunden wird, befürchten viele eine ganz andere Art der Überwachung, nämlich mangelhaften Datenschutz bei internetbasierten Therapieangeboten. Immerhin geht es ja um besonders sensible Informationen. Patrick Heitz von der Barmer-GEK:
"Einen hundertprozentigen Schutz kann niemand gewährleisten im Internet, aber als Beispiel für den besonderen Schutz sei genannt, dass die echte Online-Therapie innerhalb einer geschlossenen und besonders geschützten Online-Umgebung durchgeführt werden. Es ist also nicht so, dass man sich einfach über Skype oder über eine normale Webcam-Anwendung miteinander unterhält, sondern es ist eine geschlossene Software-Anwendung."
Rainer Richter von der Bundestherapeutenkammer meint dagegen:
"An der Stelle sehe ich nicht das Problem. Also den Kontakt so zu verschlüsseln, dass es nur ganz schwer lesbar ist, das ist heutzutage möglich. Es muss nur gemacht werden. Das fängt aber viel früher an, Sie glauben gar nicht, wie viele Patienten mir schreiben, mit persönlichsten Informationen und mir einfach ne E-Mail schreiben, obwohl sie eigentlich wissen, eine E-Mail ist wie eine Postkarte. Jeder könnte das mitlesen. Trotzdem machen sie es. Das kann man aber alles regeln."
Ein weiteres Problem aber bleibt: die Qualitätskontrolle. In den Modellversuchen und Studien wurden zwar Standards entwickelt, für eine Übernahme in die Regelversorgung aber ist bisher vieles rechtlich unklar. In der Berufsordnung steht noch das "Fernbehandlungsverbot". Sie schreibt einen persönlichen Kontakt in den Räumen des Therapeuten vor. Und ein weiterer Stolperstein in der Online-Therapie: Die gesundheitliche Situation der Patienten: Das beginnt schon mit der quasi "selbstgemachten" Diagnosestellung bei Angeboten ohne Therapeutenkontakt.
Und wer erkennt am Computer eine akute seelische Krise? Eine Art TÜV für Internettherapie wäre folglich sehr hilfreich.
"Es gab Versuche von Gütesiegeln für Online-Interventionen, es hat sich bisher nichts davon wirklich durchgesetzt, das liegt auch im Wesentlichen daran, dass zum jetzigen Zeitpunkt sich der Begriff Online-Therapie in einer Grauzone befindet, und es ist sehr schwer von außen festzustellen, wie seriös das ist. Also zum jetzigen Zeitpunkt wäre ich sehr vorsichtig, ein entsprechend undefiniertes Angebot anzunehmen."
Letztlich ist es auch eine Kostenfrage: An den Studienprogrammen der Universitäten konnten oder können die Patienten umsonst teilnehmen. Die kommerziellen Angebote dagegen können je nach Zuschnitt ganz schön ins Geld gehen. Allerdings waren einige Krankenkassen an den Modellversuchen beteiligt und sind von den Ergebnissen überzeugt. Patrick Heitz von der Barmer-GEK:
"In den Studien wurde es sehr gut angenommen, teilweise wurden auch mehr Plätze gebucht, als wir ursprünglich zur Verfügung hatten, und wir wollen die Online-Intervention auch als Regelangebot übernehmen."
"Es gibt Kaffee ohne Koffein, Bier ohne Alkohol, Essen ohne Kalorien, auch Sex am Automaten. 
Und jetzt also bei Angst und Verzweiflung: Verständnis ohne Mitmenschen."
"Beim Emailschreiben kann man alles besser formulieren und beim Thema bleiben. Und wenn man doch mal abschweift, dann sieht man es ja, wenn man es nachliest."
Internet-Therapien, so viel ist bisher klar, sind bei vielen Störungen durchaus hilfreich. Das gilt besonders für Soziale Phobien und Depressionen. Aber genau bei diesen Leiden, meinen einige Therapeuten, sei es geradezu kontraproduktiv, gar keinen persönlichen Kontakt mehr zu haben. Doch vielleicht ist das für die "digital natives" anders?
"Ich kann das nachvollziehen, dass man solche großen Hoffnungen in neue technologische Entwicklungen hat. Ich bin selber nun wahrhaftig kein Mensch, der was gegen neue technische Entwicklungen hat. Aber ich glaube auch, dass auch jüngere Menschen in vielen Fällen was anderes suchen, gerade, weil sie so viele Erfahrungen vorm Bildschirm haben, wenn sie eine Psychotherapie brauchen, als das, was sie eh schon immer haben, wenn sie die berühmten vier, fünf Stunden pro Tag vorm Bildschirm sitzen."
Allerdings, so Nina Pirk von der Beratungsstelle "Nummer gegen Kummer":
"Dadurch, dass unsere Beratung eben anonym und vertraulich ist, ermöglicht es vielen Ratsuchenden überhaupt erst ihre Themen anzusprechen."
Womöglich stellt die Vorstellung auch eine gewisse Kränkung für Therapeuten dar, dass sie durch eine Maschine ersetzbar sein könnten. Das streben jedoch erfahrene Online-Behandler gar nicht an. Vielleicht liegt die Zukunft in einer Kombination aus persönlichen und onlinebasierten Therapiezeiten. Die Berliner Psychologieprofessorin Christine Knaevelsrud ist überzeugt:
"Es stellt vieles auf den Kopf, was wir über Psychotherapie angenommen haben, was wir sehen in der Online-Therapie, dass die therapeutische Beziehung schon sehr, sehr früh maximal positiv ausgeprägt ist. Es gibt in den Interventionen, die stärker automatisiert sind, wo es eher vorgefertigte Module sind, schon auch die Rückmeldung: "Das ist mir zu unpersönlich. Das ist zu wenig zugeschnitten auf mich." Aber was auch noch mal interessant ist in der Entwicklung, ist, dass Patienten häufig am Anfang die Distanz brauchen. Das heißt, zu Beginn ist der intensivierte Kontakt nicht gewünscht, im Gegenteil, aber häufig kommt so am Schluss auf einmal: "Ach, jetzt würde ich doch gerne wissen, wie Sie aussehen", oder "jetzt könnte ich mir doch vorstellen, Sie zu treffen"."
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