Psychologie

Sorge um die Seele der Seelsorger

Eine Frau sitzt auf einer Kirchenbank
In den Kirchengemeinden hat die Seelsorge eine große Bedeutung. Die Arbeitsbelastung der Seelsorger ist entsprechend hoch. © imago/epd
Christoph Jacobs im Gespräch mit Kirsten Dietrich · 19.04.2015
20.000 Priester, Diakone, Gemeindereferentinnen und Pastoralreferenten wurden für eine Studie befragt: Ihre Beanspruchung in der Seelsorge ist teilweise groß, sagt Christoph Jacobs, Professor für Pastoralpsychologie und Pastoralsoziologie in Paderborn.
Kirsten Dietrich: Es ist eine dieser Fragen, die so einfach sind, dass sie vielleicht deswegen noch niemand wirklich in all ihren Dimensionen ausgelotet hat: Wie steht es eigentlich um den Gesundheitszustand der katholischen Seelsorger? Sie sollen den Gläubigen Beistand und Kraft geben – aber wer kümmert sich um sie, wer oder was gibt ihnen Kraft?
Eine Forschergruppe hat seit einigen Jahren rund 20.000 Priester, Diakone, Gemeindereferentinnen und Pastoralreferenten deutschlandweit genau danach gefragt – und mehr als 8.500 haben geantwortet. Eine erste Auswertung der Antworten wurde Ende der Woche in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt.
Einer der beteiligten Forscher ist Christoph Jacobs, Professor für Pastoralpsychologie und Pastoralsoziologie an der Universität Paderborn, in seinen Händen lag die Auswertung der Daten. Ich wollte von ihm wissen, was für ihn die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung sind.
Christoph Jacobs: Das wichtigste Ergebnis für mich persönlich, aber auch für die anderen in der Studie sind vermutlich zumindest drei Dinge. Das erste Ergebnis ist die wirklich erstaunliche Lebenszufriedenheit und auch die sehr gute Arbeitszufriedenheit, die die Seelsorgerinnen und Seelsorger uns zurückgemeldet haben – das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist die Bedeutung der Spiritualität für das Leben, auch für den seelsorglichen Dienst, und als drittes Ergebnis würde ich bezeichnen, dieser Zusammenhang zwischen den persönlichen Ressourcen und den organisationalen Ressourcen, also der Zusammenhang zwischen Person und Stelle, dass wir den genauer in den Griff bekommen haben.
Dietrich: Als die Studie jetzt vorgestellt wurde, da klangen alle Beteiligten wirklich so, wie Sie es gerade auch gesagt haben, sehr erfreut darüber, wie zufrieden die Befragten im Großen und Ganzen mit ihrer Situation sind. Das klingt ein bisschen, als ob Sie was viel Schrecklicheres erwartet hätten.
Jacobs: Ja, das Interessante ist, wenn man sich als Insider unter den Seelsorgenden bewegt, dann nimmt man manchmal so einen Mehltau der gegenwärtigen Situation wahr – dass alles so schwierig sei und dass sich so viel ändert, dass die Aufgaben riesig sind. Und manchmal hat man den Eindruck, dass dieser Mehltau sich auch auf die Person, auf das Engagement auswirkt. Das hätte ja sein können. Und diese Überraschung ist tatsächlich da, dass wir das in der Tiefe offensichtlich nicht finden. Da ist eine Tiefenmotivation da, dass Seelsorge etwas ganz Wesentliches ist und dass das mit der eigenen Berufung zu tun hat und dass diese Berufung tatsächlich trägt – und sogar angesichts der Probleme. Es ist ja nicht so, dass wir keine Probleme gefunden hätten, das muss man ja ganz deutlich sagen, die Probleme sind ja auch da, aber sie scheinen bei den meisten zumindest die innere Motivation, Seelsorgerin oder Seelsorger zu sein, Priester zu sein, die eigene Motivation nicht zu zerstören, sondern die bleibt tragfähig.
Dietrich: Nicht mal der Zölibat, der ja immer gerne so als der große Stolperstein gerade für Priester genannt wird, ist wirklich ein Stolperstein, wenn zwei Drittel der Priester – so haben Sie herausgefunden – sagen, ach, eigentlich leben sie damit ganz gut.
Jacobs: Die zölibatäre Existenz ist wie jede Existenz, die exotisch ist, eine Herausforderung, und es wäre dumm und auch nicht realitätsangemessen, dies nicht als Herausforderung zu begreifen. Allerdings scheint es wiederum auch so zu sein, dass diese Herausforderung von den meisten tatsächlich entweder gut oder zumindest zufriedenstellend bewältigt wird, und das haben uns die Leute zurückgemeldet.
Dietrich: Andererseits sagte auch ungefähr die Hälfte, wenn sie noch mal vor der Wahl stehen würden, wie sie ihr Leben gestalten wollen, würden sie wohl keine zölibatäre Lebensform mehr wählen. Ist das ein Widerspruch?
Jacobs: Ich persönlich bin jemand, der solche Zahlen hört und eigentlich diese Zahlen seit mindestens 15 Jahren kennt. Diese Zahlen sind für mich kein Widerspruch. Denn je nachdem, aus welcher Perspektive Sie dieses Ergebnis betrachten, kann man sagen, es ist eigentlich schlimm, dass 50 Prozent sagen, das würde ich nicht sofort noch mal machen. Angesichts der Tatsache, dass die zölibatäre Lebensform so etwas Herausforderndes ist in der heutigen Gesellschaft, in unserer heutigen Kultur, bin ich fast erstaunt, dass 50 Prozent fast spontan sagen, so etwas würde ich noch einmal machen. Das hat mich eigentlich überrascht, dass sogar 50 Prozent sagen, angesichts der Herausforderungen und angesichts der wenigen Unterstützung, die ich von anderen für diese Lebensform bekomme, würde ich das spontan noch mal machen. Das hat mich persönlich überrascht.
Dietrich: Sie haben in Ihrer Studie auch danach gefragt, welche Ressourcen Menschen, die in der Seelsorge für andere, an anderen arbeiten, gegen Burn-out haben, und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass ungefähr zwei Drittel gut zurechtkommen, ein Drittel da in einer etwas schwierigen oder in einer belasteten Situation sind?
Jacobs: Ich würde gerne mal das Vorgehen schildern, was wir gemacht haben. Es gibt gesundheitsrelevante Ressourcen. Das eine ist das Fundament, was Leute haben, das andere ist die Gestaltungskraft, die Leute besitzen, und das Dritte ist die Widerstandskraft, die Leute besitzen. Und diese drei Gesundheitsressourcen haben wir untersucht, und da haben wir festgestellt, dass der überwiegende Teil von unseren Seelsorgerinnen und Seelsorgern diese Ressourcen tatsächlich besitzen, und zwar so stark besitzen, dass sie keine Burn-out-Gefahr haben. Das hat uns natürlich interessiert: Haben unsere Leute eine Burn-out-Gefahr? Es wird immer gesagt, dass besonders Leute, die sich um andere kümmern, hoch Burn-out-gefährdet sind.
Das trifft zum Beispiel ganz stark für Ärzte zu, das trifft häufig auch für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu, und das trifft für Lehrer zu. Und von diesen Gruppen wissen wir, dass die eine Burn-out-Gefahr zwischen fünf und fünfzehn Prozent haben – die Ergebnisse in den Studien schwanken sehr. Und dann hat uns natürlich interessiert, ob wir ähnliche Zahlen auch für die Gruppe der Seelsorgerinnen und Seelsorger finden, und wir haben festgestellt, bei uns liegt die Burn-out-Rate zwischen einem und drei Prozent. Das ist unser Mittelwert der reinen Burn-out-Gefahr – das bedeutet nicht, dass es nicht auch andere Personen gibt, die Erschöpfungen zeigen. Wenn man die hinzurechnet, hätten wir vielleicht zwischen zehn und fünfzehn Prozent, wo man sagen muss, da sollte man trotzdem drauf achten, dass die nicht in einen Burn-out abrutschen. Aber statistisch gesehen ist das auch noch gar nicht so viel. Wenn man sich die arbeitende Bevölkerung anguckt, besonders dann, wenn man hinzurechnet, dass wir eine Arbeitszeit bei Seelsorgerinnen und Seelsorgern haben bei verantwortlichen leitenden Pfarrern in einem Mittelwert von 56, 57, 58 Stunden – das ist schon wahnsinnig viel –, und bei Laien in der Seelsorge auch immerhin von 45 Stunden.
Dietrich: Passt zu diesem Punkt doch die Beobachtung, dass Menschen, die in der Seelsorge mit einer bestimmten, eng umrissenen Personengruppe tätig sind, nach Ihrer Untersuchung zufriedener mit ihrer Arbeitssituation sind als die, die in der Gemeinde arbeiten und deswegen ein ungeheuer breites Feld von Ansprüchen und Bedürfnissen in ihrer täglichen Arbeit bearbeiten müssen?
Jacobs: Das ist der Fall. Es gibt eine Gruppe von Seelsorgerinnen, die macht die klassische Gemeindeseelsorge, wir nennen das Territorialseelsorge, das heißt die flächendeckende und flächenabdeckende Seelsorge, und es gibt Seelsorgerinnen und Seelsorger, die arbeiten in der sogenannten Kategorialseelsorger, die sind also für spezifische Gruppen zuständig und sie sind auch ausgebildet. Es ist allgemein bekannt, dass diejenigen, die für spezifische Gruppen zuständig und ausgebildet sind, dass die eine höhere Lebenszufriedenheit, eine geringere Burn-out-Rate haben, vor allem auch, weil sie eine höhere Professionalität erworben haben, auch besser ausgewählt worden sind für ihren Beruf, und sie haben noch etwas: Sie können die Bedingungen, unter denen sie arbeiten, besser kontrollieren. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger in der Fläche haben mit so vielen Erwartungen von Menschen zu tun einerseits, die sie nicht vorausberechnen können, sie müssen und sollen auch für diese Menschen da sein, wenn sie gebraucht werden.
Und sie haben noch eine andere Herausforderung: Die flächendeckende Seelsorge wird zurzeit sehr stark umorganisiert, und das, was Menschen am härtesten trifft, ist der Verlust von guten Gewohnheiten. Und genau das trifft zurzeit auf die Seelsorgerinnen und Seelsorger in der Fläche zu. Sie haben mit vielen Anforderungen zu tun, mit Recht mit vielen Anforderungen, und sie haben mit Veränderungen zu tun, und das ist aus meiner persönlichen Perspektive – und wir haben lange darüber diskutiert und viele Seelsorgerinnen und Seelsorger sagen das auch –, das ist der Grund, warum wir dort geringere Zufriedenheitswerte finden und was es auch bedeutet, dort in diesem Bereich mehr zu investieren, mehr Professionalität zu machen, mehr nach persönlichen Stärken und Schwächen auch nachher einzusetzen und auszubilden.
Dietrich: Nun haben Sie nicht nur nach Burn-out, nicht nur nach psychischen Dingen gefragt, sondern Sie haben auch danach gefragt, welche Rolle die Spiritualität bei der Erhaltung der Gesundheit, des Wohlbefindens, der Ressourcenstärkung spielt, was ja selbstverständlich eigentlich ist bei Menschen, die tagtäglich genau mit Spiritualität zu tun haben, deren Aufgabe das ist. Wie wichtig ist spirituelle Praxis, wie wichtig ist spirituelles Leben für die psychische Befindlichkeit der Seelsorgenden?
Jacobs: Die Spiritualität ist für unsere Gruppe einer der Dreh- und Angelpunkte ihrer eigenen Persönlichkeit, ihrer eigenen Existenz und ihrer Tätigkeit. Es ist eigentlich kein überraschendes Ergebnis, aber überraschend für uns ist, wie deutlich der Effekt ist, dass Personen, die eine Gotteserfahrung auch täglich machen, wo Gott in ihrem Leben eine Erfahrungsgröße ist, dass diejenigen, die dort stark sind, dass die engagierter sind, dass die auch gesünder sind, dass die zufriedener sind. Das ist eine ganz wesentliche Erfahrung. Und wir stellen fest, dass die Gotteserfahrung, die spirituelle Erfahrung für alle Bereiche des Lebens der Seelsorgerinnen und Seelsorger eine ganz große Relevanz, eine ganz große Bedeutung besitzt. Sie besitzt keinen Burn-out-Schutz, das ist es nicht, aber sie besitzt eine ganz starke motivierende Kraft, sich für die Menschen einzusetzen.
Dietrich: Ist das nicht eine Schwierigkeit, wenn man sozusagen das, was einen heilt, was einem helfen kann, auch als Beruf macht?
Jacobs: Das ist eine große Herausforderung, nicht in dieser professionellen Deformation zu landen, dass das, was einem wichtig ist, dass man das zum Beruf macht. Wir haben eine Überlegung angestellt, ob es nicht möglicherweise für viele Priester gerade schwierig ist, Messe zu feiern – nicht, weil sie Messe nicht gerne feiern, sondern weil viele von ihnen erwarten, sie müssten Messe als Arbeit tun. In dem Moment, wo Gebet zur Arbeit wird oder wo Messe zur Arbeit wird, wird es Gefahr oder laufen auch Priester Gefahr, dies nicht mehr mit dem Herzen tun zu können. Und wenn man etwas nicht mehr mit dem Herzen tun kann, dann wird es häufig leer. Und das ist die große Herausforderung, und da müssen sich die Priester und die Laien in der Seelsorge selber vor schützen, dass das, was ihnen wichtig ist, vor allem die spirituelle Erfahrung, dass das eben nicht Beruf ist, dass die selber daraus leben. Und dafür alles Mögliche zu tun, erscheint mir eine ganz wesentliche Konsequenz unserer Studie zu sein – Exerzitien zu machen, dass sie sich selber begleiten lassen in der Seelsorge, dass sie sich auch auf eigene neue spirituelle Wege begeben und nicht nur aus dem Fundus des Gehabten leben, sondern selber wieder zur Quelle zurückkehren.
Dietrich: Bei den Bistümern liegt jetzt die Frage, welche Konsequenzen sie aus der Untersuchung ziehen wollen. Ich sprach mit dem Paderborner Pastoralpsychologen Christoph Jacobs über eine Untersuchung unter 20.000 katholischen Seelsorgern in Deutschland, die er mit einer Forschergruppe in den letzten Jahren durchgeführt hat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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