Psychologie

Mit Verhaltenstherapie gegen Höhenangst

Auf der Nikolaikirche in Greifswald
Arbeiten in fast 100 Metern Höhe: Industriekletterer auf dem Turm der St. Nikolaikirche in Greifswald © picture alliance / dpa / Foto: Stefan Sauer
Von Georg Gruber · 02.07.2015
Herzrasen, Schwindel, Atemnot – unter Höhenangst leiden 28 Prozent der Menschen, Frauen öfter als Männer. Doch das Vermeiden von Situationen, in denen diese Angst auftritt, ist nicht die richtige Strategie. Akrophobie kann behandelt werden.
Kinder: "Ich hab' zum Beispiel Höhenangst, wenn ich in den Bergen an eine ganz steile Stelle komme, wo ich klettern muss und wo es dann ganz steil runter geht auf der anderen Seite. / Als ich ein ganz kleines Kind war, hatte ich solche Höhenangst, dass ich mich nicht mal auf die Schultern meines Vaters getraut habe."
Höhenangst ist weit verbreitet: 28 Prozent der Menschen leiden darunter, Frauen öfter als Männer. Diese Angst kann in den unterschiedlichsten Situationen auftreten, erklärt Prof. Thomas Brandt, Leiter des Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrums in München.
"Der häufigste Reiz sind eigentlich Türme oder auch ganz andere Situationen, wie Riesenrad fahren, wo dann ganz überraschend, wenn die Kabine oben ist, vielleicht das Rad auch anhält, dann viele eine Höhenangst befällt. Das ist dann in der Regel die Angst, den Körper in seinem Gleichgewicht nicht mehr unter Kontrolle zu haben und die konkrete Angst, von der Höhe herunter zu stürzen."
Kind: "Wenn man Höhenangst hat, ist es ein Kribbeln im Bauch, als wären da ganz viele Marienkäfer und würden ganz wild rumfliegen"
Die körperlichen Symptome der Akrophobie sind vielfältig: Herzrasen, Schwindel, Atemnot und ein Engegefühl in der Brust, bis hin zu einer Versteifung der Muskulatur, einer Art Schockstarre.
Kind: "Bei Höhenangst werden mir auch meistens die Knie ganz weich und ich habe keine Kraft mehr, weiter zu gehen."
Dabei ist eine gewisse Vorsicht Menschen und Tieren angeboren.
"Jeder von uns hat Respekt davor, an einem Abgrund bis an den Rand zu treten, weil er eben weiß, dass der kleinste Fehler den Absturz bedeuten kann. Nur ist es so, dass den einen dabei die Angst befällt, die ihn rasch zurücktreibt, den anderen hält die Vernunft davon ab, so weit an den Abgrund zu gehen. Die Übergänge sind fließend von einem klugen Vermeidungsverhalten absturzgefährdeter Stellen bis zu der panischen Angst, überhaupt in die Nähe einer solchen Stelle zu kommen."
Untersuchungen haben gezeigt, dass es zwei Phasen gibt, in denen Höhenangst gehäuft auftritt, im Grundschulalter und dann wieder später ab dem zweiten oder dritten Lebensjahrzehnt.
Kind: "Ich habe wirklich keine Ahnung, warum ich solche Höhenangst gehabt habe."
Angstzustände sind schwer zu erklären
Warum der eine Schwindelgefühle in der Höhe bekommt und der andere nicht, ist selbst für den Experten nicht so einfach zu erklären. Körperliche Ursachen, etwa eine Störung des Gleichgewichtssinnes, scheiden als Auslöser der Angstzustände aus.
Kind: "Es kommt auch so ein bisschen aus dem Kopf, weil du runter schaust und siehst, dass es ziemlich tief unten ist, der Boden, ansonsten ist es eher ein Gefühl, das nicht vom Kopf gesteuert wird, sondern vom Magen.
Am Anfang der Höhenangst steht, so die gängige Hypothese, eine traumatische Erfahrung, ein Sturz in der Kindheit etwa, der schon lange vergessen sein kann, aber unbewusst weiter wirkt. Das Vermeiden von ähnlichen Situationen kann sich verselbstständigen und zu einer Ausweitung der auslösenden Reize führen. Doch all das ist kein Grund zum Verzweifeln. Höhenangst ist behandelbar, mit Hilfe einer Verhaltenstherapie.
"Bei der man sich an solche Reize dadurch gewöhnt, dass man sich ihnen vermehrt aussetzt und erfährt, dass die subjektive Angst, dass etwas passiert, tatsächlich gar nicht gegeben ist. Und so kann man sein Vertrauen wieder gewinnen, und das heißt, hier handelt es sich nicht um eine Strukturschädigung im Gehirn, der man in seinem Leben bedingungslos ausgeliefert ist, sondern hier handelt es sich um ein behandelbares Verhalten, das durch ein Erlebnis der Angst sowohl in die schlechte Richtung gehen kann oder durch eine Gewöhnung wieder in die gute zurück gehen kann."
Kinder: "Trotz der Höhenangst ist mein Vater immer wieder mit mir in die Berge gegangen und jetzt habe ich eigentlich fast keine Höhenangst mehr. / Ich hab jetzt auch mit dem Reiten angefangen und die Pferde sind richtig hoch und wenn ich drauf sitze, habe ich keine Höhenangst mehr. / Ich gehe sogar freiwillig in Klettergärten."
Alles kluge Taktiken, mit der Angst umzugehen. Thomas Brandt verweist dann noch auf Goethe – der auch unter Höhenangst litt.
"Er selbst ist darauf gekommen, dass er sie am besten selbst behandelt, in dem er jeden Tag, er lebte zu der Zeit in Straßburg, auf das Straßburger Münster kletterte, sogar noch bis zum Glockenturm oben hoch, und hat sich dann diesem Höhenreiz ausgesetzt. Und das ist ganz ähnlich wie das, was die Verhaltenstherapeuten heute mit ihren Patienten machen, die darunter leiden."
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