Psychogramm eines "einfachen Mannes"

25.11.2009
Der Württemberger Georg Elser scheiterte 1939 mit seinem Attentat auf Hitler und bezahlte das mit dem Leben. Sowohl in der DDR als auch im Westen wurde der widerständische Prolet lange totgeschwiegen. Für den Autor Helmut G. Haasis kommt dies einer zweiten Hinrichtung gleich.
Den Autor interessiert nicht nur der Bombenanschlag auf Hitler vom 8./9. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller, sondern auch die Frage, wie man in Deutschland Ost und West nach dem Krieg mit der Geschichte dieses einfachen Handwerkers und Attentäters aus dem württembergischen Hermaringen umging. Eindrucksvoll belegt er, wie dieser oft als ungebildet dargestellte Einzelgänger von Anbeginn an erkannte, dass Hitler Krieg bedeutete und dass man ihn stoppen müsse, wenn nicht Millionen auf den Schlachtfeldern verbluten sollten: ein Tyrannenmord, um den Frieden zu retten. Fast verbittert arbeitet Haasis heraus, wie sehr zu diesem Zeitpunkt viele der späteren Attentäter aus dem Militärapparat (20. Juli 1944) noch willige Gefolgsleute des "Führers" waren.

Warum war aber Georg Elser anders, hellsichtiger? Warum wurde er nach dem Krieg nicht geehrt, sondern auch von Antifaschisten totgeschwiegen oder gar diffamiert – selbst von Martin Niemöller, einem der Mitbegründer der Bekennenden Kirche? Für Haasis ist das die zweite Hinrichtung, nachdem Elser nur Wochen vor der Befreiung 1945 im KZ Dachau ermordet worden war.

Mit Leidenschaft und Sympathie zeichnet Haasis das Psychogramm der elenden Jugend des Georg Elser, Jahrgang 1903. Ein Junge, gestraft mit einem prügelnden Trunkenbold als Vater und einer bigotten, frömmelnden Mutter, die ihn aus dem Haus wirft, als seine Freundin bei ihm einmal über Nacht bleibt. Den Ersten Weltkrieg erlebt er als traumatische Abfolge von Not, Hunger und Verzweiflung. Die Folge ist sein Hass auf den Krieg und alle, die ihn propagieren. Beeindruckend zu lesen, wie in ihm der Plan zum Attentat reift und wie er penibel genau das Attentat plant, mit dem er Hitler in der Nacht vom 8. auf den 9. November 1939 stoppen will. Nur weil Hitler früher als geplant seine Rede im Münchner Bürgerbräukeller beendet und den Raum verlässt, misslingt der Anschlag. Elser flieht und wird an der Schweizer Grenze verhaftet.
Mit der gleichen Akribie, wie der Autor die Umstände des Scheiterns und das Ermittlungsverfahren schildert, geht er der Frage nach, wie die Deutschen nach 1945 auf dieses Attentat und auf Georg Elser reagierten. Das sind annähernd 150 Seiten, die zu lesen nicht weniger beklemmend ist als die vorausgegangene Schilderung des kurzen Lebens Elsers. Die DDR schwieg den widerständischen Proleten tot. Für den politisch nicht organisierten Elser, der zwar die KPD wählte, aber kein Kommunist war, hatte die Geschichtsschreibung der DDR kein Interesse. Und im Westen? Elser, nicht von Adel, wie Haasis bitter anmerkt, keiner mit Hochschuldiplom, kein Offizier und kein Pfarrer, sondern ein Volksschüler aus der tiefsten Provinz, war der Nachkriegselite zuwider. Erst spät, sicher nicht unbeeindruckt von einer "Geschichte von unten", entdeckt man ihn.

Nicht immer ist Haasis´ Buch einfach zu lesen. Wiederholungen, die von einem fehlenden Lektorat zeugen, Flüchtigkeitsfehler sind ärgerlich. Mehrfach geht auch das Temperament mit dem Autor durch. Da ist manches zu polemisch. Die Fakten, die er aufzählt, sind doch deutlich und schlimm genug. Dennoch lohnt es sich, diesen Band durchzuarbeiten: dieses Psychogramm eines "einfachen Mannes", das viel über seine Zeit und seine – und unsere – Gesellschaft aussagt.

Über den Autor
Hellmut G. Haasis, geboren 1942, ist Historiker, Autor und Filmemacher. Themen des Dritten Reiches sind ein Schwerpunkt seiner Arbeit. Das Buch "Den Hitler jag ich in die Luft – Der Attentäter Georg Elser" ist eine überarbeitete und aktualisierte Fassung eines 1999 erstmals veröffentlichten Buches.

Besprochen von Günther B. Ginzel

Hellmut G. Haasis
Den Hitler jag ich in die Luft - Der Attentäter Georg Elser

Edition Nautilus 2009, 400 Seiten, 19,90 Euro
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