Psychogramm eines Abenteurers

06.09.2013
Er war eines der Vorbilder für Indiana Jones: Der britische Abenteurer Percy Harrison Fawcett, der 1925 auf der Suche nach einer mythologischen Stadt im brasilianischen Urwald für immer verschwand. 1952 folgte der brasilianische Journalist Antonio Callado seinen Spuren. Seine Reportage darüber ist nun erstmals auf Deutsch erschienen.
Zunächst die Fakten: Percy Harrison Fawcett wurde 1867 in England geboren, war Kolonialoffizier in Sri Lanka und kam Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals nach Südamerika. Ab etwa 1920 machte er sich in Brasilien auf die Suche einer Stadt, von der Goldsucher in einem 1753 veröffentlichten Text sprachen, für die es aber sonst keinerlei Belege gab. Fünf Jahre später, 1925, verschwand Fawcett spurlos. Man nimmt an, dass er von Indianern ermordet wurde. Suchexpeditionen blieben erfolglos.

Ein gutes Vierteljahrhundert später zieht Antonio Callado gemeinsam mit einem von Fawcetts Söhnen und weiteren Begleitern, darunter Orlando Villas Bôas, einem Aktivisten für den Schutz der Indianer, im Auftrag einer brasilianischen Zeitung los, um nach Spuren des Abenteurers zu suchen. Schnell wird dem Journalisten jedoch klar, eine echte Sensation wird er nicht bieten können, dafür aber andere Themen.

Ein Mensch voller Misstrauen, Ungeduld und Tatkraft
Er zeigt Fawcett als Vertreter des zerbrechenden Empires, der von der Wiederherstellung dessen einstiger Größe träumt, und zeichnet so ein fundiertes Psychogramm des Entdeckers: Eines Menschen voller Misstrauen, Ungeduld und Tatkraft, der anderen seine Willen aufzwang und sich nahm, was er für sein Weiterkommen brauchte. Fawcett war also ein hochgradig autoritärer Charakter, der zudem am Scheitelpunkt seiner Karriere stand. Er war 58 Jahre alt, hatte jede Menge Kriege und Forschungsreisen unternommen, aber noch keine Entdeckung gemacht. Brasilien war seine letzte Chance, er musste etwas finden.

Callado schreibt auch über den Mythos dieser verschwundenen Stadt sowie über Atlantis, als dessen Kolonie viele Brasilien sahen. Er hält das für genau solchen Unsinn wie den Abenteurerbericht aus dem Jahr 1753, der Fawcett inspirierte. Für den hat Callaodo aber eine einfach Erklärung hat: Jemand, der 20 Jahre durch die Wildnis zöge, beschreibe am Ende das, was er sehen wolle.

Eine mitreißend geschriebene Reportage mit einem Schuss Ironie
All das ist eindringlich und mitreißend geschrieben, oft auch mit einem guten Schuss Ironie. Sehr ernst wird Callado, wenn er über die brasilianische Wirklichkeit schreibt: Inwieweit sich die Indianer als Brasilianer fühlen und auch so angesehen werden, wie ihn indianische Umgangsformen befremden, wie das Verhältnis von Indianern und Weißen ist, wie es um die Rechte der Indianer steht und wie zerbrechlich und bedroht ihre Kultur ist.

Es wäre Antonio Callado sehr leicht gefallen, nur über den Entdecker Fawcett zu schreiben, in Szenen voller Urwaldromantik und Entbehrung, in denen die Indianer wie in Indiana-Jones-Filmen nur Staffage sind. Doch dass er sich dem verweigert, dass er die Indianer zu Subjekten macht, macht sein Buch bis heute lesenswert.

Besprochen von Günther Wessel

Antonio Callado: Der Tote im See. Leben und Verschwinden des Colonel Fawcett im brasilianischen Regenwald
Aus dem brasilianischen Portugiesisch von Peter Kultzen. Mit einem Nachwort von Samuel Titan
Berenberg Verlag, Berlin 2013
120 Seiten, 20 Euro