Psychoanalytiker Tilmann Moser

Von der Notwendigkeit, Gott zu ermorden

Jesus am Kreuz in der Kloster- und Pfarrkirche St. Markus, Bad Saulgau, Baden-Württemberg.
Als Kind litt Tilmann Moser unter der strengen Frömmigkeit seiner Eltern. © Imago / imagebroker
Tilmann Moser im Gespräch mit Ulrike Timm · 15.09.2017
Als Kind leidet Tilmann Moser unter der strengen Frömmigkeit seiner Familie. Das unbarmherzige Gottesbild des Elternhauses führt zu Angst und Neurosen. Im Gespräch erklärt er, was eine Kirchenneurose ist und wie man sich von Gott befreit.
Als Kind sollte Tilmann Moser an einen überwachenden und strafenden Gott glauben, der nicht zu wollen scheint, dass der Mensch glücklich ist. Erst in der Mitte seines Lebens gelingt es dem Psychoanalytiker, sich von seiner zur Neurose ausgewachsenen Angst zu befreien. Mit dem 1976 veröffentlichten Buch "Gottesvergiftung", in dem er die von ihm erfahrene Religion als Krankheit diagnostiziert, veröffentlicht Tilmann Moser seinen ersten Bestseller.
Inzwischen ist Mosers Verhältnis zu Gott weniger leidenschaftlich: "Ich lasse ihn in Ruhe und er lässt mich in Ruhe", sagte Moser im Gespräch mit Ulrike Timm. Als Kind aber, habe er das Gefühl gehabt, immer beobachtet zu werden. "Gott war der Big Brother, der alles beobachtet. Ich hatte ein Gefühl von Unfreiheit, ich hatte das Gefühl, ich kann nichts denken, nichts tun, was Gott nicht sieht." Religion sei für ihn viele Jahre etwas gewesen, was seine Vitalität lähmte. "Man kann auch die frühe Indoktrination mit Religion einen Missbrauch nennen. Es ist eine Indoktrination wider das eigene Wohlbefinden." Dennoch sei er Gott auch dankbar, weil er "die Haupt-Ansprechperson" gewesen sei, wenn es um Gefühle ging. "Mit meinen Eltern konnte ich nicht über Gefühle sprechen."

Humor als Teil der therapeutischen Arbeit

Moser hat zahlreiche Bücher über seine Kindheit, seine Beziehung zu den Eltern, seine Depressionen und auch seine eigenen Therapien geschrieben. Er schreibe bis zum heutigen Tage so viel, weil ihm als Kind nie jemand zugehört habe. Seiner Einschätzung und Erfahrung nach steht diese Offenheit im Umgang mit der eigenen Lebensgeschichte einer produktiven therapeutischen Arbeit mit seinen Patienten nicht im Weg. Seine eigene Offenheit ermutige Patienten dazu, sich selbst zu öffnen. "Ich bin neugierig auf die Patienten", sagte Moser. "Mit manchen, die tief einsteigen, bilde ich dann eine Forschungsgemeinschaft." Das Verdrängte wolle zur Sprache kommen. Manchmal sei es jedoch wie ein zubetonierter Keller. Dies zu lösen, sei eine der Künste des Analytikers.
Auch Humor und Lachen seien ein wichtiges Vorkommnis in seiner therapeutischen Arbeit. "Gemeinsame Heiterkeit ist wie seelische Kraftzufuhr."
Was eine religiöse Neurose ist, warum es notwendig ist, Gott zu ermorden, um einen neuen zu finden und warum sein Weg der Psychoanalyse viel mit Berührung zu tun hat, darüber hat Ulrike Timm mit dem Psychoanalytiker und Schriftsteller Tilmann Moser im Deutschlandfunk Kultur gesprochen.
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