Psychiater Ulrich Hegerl

"Eine Depression ist keine Befindlichkeitsstörung"

Symbolbild für Depression
Gerade im Herbst fühlen sich viele Menschen niedergeschlagen. Wann wird daraus die Krankheit Depression? © picture alliance/dpa/Foto: Klaus Rose
Ulrich Hegerl im Gespräch mit Liane von Billerbeck und Hans-Joachim Wiese · 28.11.2017
Falsche Ernährung, Stress, unglückliche Lebensumstände: Über Depressionen und deren Entstehung kursieren zahlreiche Mythen. Der Psychiater Ulrich Hegerl erklärt, woher eine Depression kommt, was sie ausmacht und wie man sie behandelt.
Über Depressionen wird viel geredet, aber eigentlich wissen viele Menschen sehr wenig darüber. So ergab beispielsweise eine am Dienstag vorgestellte repräsentative Befragung im Auftrag der Stiftung Deutsche Depressionshilfe:
Mehr als die Hälfte der Bevölkerung glaubt, dass Depressionen durch falsche Lebensführung ausgelöst werden können. Fast jeder Dritte hält sie für ein Zeichen von Charakterschwäche und für immerhin 18 Prozent spielt bei der Entstehung einer Depression falsche Ernährung eine Rolle.
Damit werde der Einfluss äußerer Faktoren deutlich überschätzt, meint Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. "Was eben daran liegt, dass wir immer meinen, Depressionen sind überwiegend eine Befindlichkeitsstörung als Reaktion auf die Bitternisse des Lebens."
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Der Leipziger Psychiater Ulrich Hegerl bei der Tagung "Depression - sprechen wir's an" am 08.04.2017 in Berlin.© imago / Tom Maelsa
Doch eine Depression sei nicht das Gleiche wie etwa stressbedingte Schlaflosigkeit, Grübeln oder Niedergeschlagenheit. Vielmehr habe sie Symptome, die man sonst nicht kenne: "Menschen mit Depressionen sagen immer: So einen Zustand wie den habe ich noch nie erlebt. Das ist was ganz anderes. Ich habe mich gar nicht wiedererkannt", so Hegerl.
Zum Beispiel könne mit einer Depression das "Gefühl der Gefühllosigkeit" einhergehen: "Da geben die Menschen an, innerlich gar keine Gefühle mehr wahrnehmen zu können, auch keine Trauer. Sie können dann auch nicht mehr weinen bei schweren Depressionen. Das ist ein ganz spezieller, krankhafter Zustand."

Hauptursache: Veranlagung

Hervorgerufen wird die Krankheit Hegerl zufolge vor allem durch Veranlagung. Wer beispielsweise einen Verwandten ersten Grades habe, der an einer Depression leide, trage ein deutlich erhöhtes Risiko, selbst zu erkranken.
Allerdings könne die Veranlagung zur Depression auch erworben werden, so der Leipziger Psychiater. "Wenn man das Pech hat und erlebt Traumatisierung und Missbrauchserfahrung in der frühen Kindheit, dann erhöht das das Risiko, dass man später an einer Depression erkrankt."

Depressionen müssen behandelt werden

Depression sei eine schwere Erkrankung, die unbedingt behandelt werden müsse, betont Hegerl. "Wenn Sie diese Diagnose haben, ist Ihre Lebenszeit im Schnitt um etwa zehn Jahre reduziert." Für die Behandlung gebe es klare Leitlinien: "Die beiden Hauptbehandlungssäulen sind immer die Antidepressiva und die Psychotherapie."
Unter den Psychotherapien habe insbesondere die kognitive Verhaltenstherapie positive Effekte gezeigt. "Das ist ein Verfahren, wo es sehr auch um Tagesstrukturierung und Beeinflussung von negativen Gedankenautomatismen und um solche Dinge geht. Also sehr im Hier und Jetzt, ganz pragmatisch."

Keine Zunahme von Depressionserkrankungen

Zugenommen habe die Zahl der Depressionserkrankungen in den letzten Jahrzehnten übrigens nicht, meint Hegerl. "Wir hatten vor 30 Jahren oder vor 20 Jahren ebenso viele Depressionen wie jetzt. Es wird nur jetzt die Diagnose häufiger gestellt, weil mehr Menschen sich Hilfe holen und die Ärzte die Erkrankung besser erkennen."
(uko)
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