Provokanter Performance-Künstler

Von Klaus Heymach · 19.03.2013
Ein Vertreter der jungen Künstlerszene des Kosovo ist Astrit Ismaili. Der 21-Jährige setzt sich poetisch und ironisch mit der schwierigen Vergangenheit und Gegenwart seines Landes auseinander: zurzeit als Teilnehmer einer Performance im verfallenen ehemaligen Jugendpalast von Pristina.
Pristina 1996. Mit sechs Jahren steht Astrit Ismaili hier zum ersten Mal auf der Bühne: im Jugendpalast der kosovarischen Hauptstadt. Zusammen mit seiner Schwester singt er damals ein fröhliches Kinderlied.

Ismailis Mutter, eine bekannte Komponistin, hat es den beiden Mitte der 90er-Jahre auf den Leib geschrieben:

"Ich kann mich noch gut daran erinnern. Das war mein erster großer Auftritt. Gerade habe ich noch alte Aufnahmen gefunden."

Sie hätten gekämpft "wie Tiger und Löwen", sang Ismaili damals. Und weiter: "Wir haben das Spiel begonnen und am Ende gewonnen."

Tatsächlich machten die beiden den dritten Platz, es war die letzte Ausgabe des beliebten Kinderfestivals. Astrit Ismaili gehört der albanischen Volksgruppe an, wie die meisten im Kosovo. Die Albaner wurden damals schon seit Jahren unterdrückt von der serbischen Regierung in Belgrad. Albanisch wurde aus Kultur und Unterricht verbannt, Beamte entlassen, ganze Familien verließen das Land. Zwei Jahre nach dem Auftritt im Jugendpalast begann 1998 der Krieg zwischen albanischen Rebellen und jugoslawischen Sicherheitskräften im Kosovo. Astrit ist damals acht Jahre alt:

"Es ist hart, unter solchen Umständen aufzuwachsen. Ich bin vor dem Fernseher groß geworden, während die Nachrichten liefen, Deutsche Welle. Ich war sehr jung, als ich die Politiker über Krieg reden hörte, ich wusste ja gar nicht, was das ist. Man ist doch einfach ein Kind. So was hat natürlich seine Folgen."

Knapp 15 Jahre später: wieder ein Auftritt im Jugendpalast. Seit ein Kurzschluss einen Großbrand auslöste, steht das Gebäude leer und verfällt. Nur das Erdgeschoss dient noch als Parkhaus. Gemeinsam mit Freunden hat Ismaili einen Teil der Halle für eine gemeinschaftliche Performance hergerichtet.

60 junge Künstler zeigen Skulpturen, Bilder, Videos und Choreographien. Ein DJ mit buntem Irokesenschnitt bedient die Regler am Mischpult. Andere haben die Betonwände bemalt.

Die brutale Geschichte seines Landes und deren Folgen beschäftigen Ismaili bis heute. Mittlerweile ist er 21, schmächtige Figur, schwarzer Vollbart, enges T-Shirt. Ismaili besucht die Kunstakademie von Pristina. Oft ironisch, gern auch provokant, setzt er sich mit der Lage auf dem Balkan auseinander.

Seine Performance im zerfallenen Jugendpalast nennt Ismaili "Der letzte Kuss": Sechs junge Frauen in Trachten schippen Erde vom kahlen Boden und schaffen sie hinaus auf die Terrasse. Unter dem Erdhaufen kommt das Doppelporträt zweier Männer zum Vorschein, die im sozialistischen Bruderkuss versunken sind:

"Diese Bilder von Boro und Ramiz haben wir in der Halle entdeckt, nach ihnen war der Palast benannt. Boro war ein serbischer Kriegsheld, Ramiz einer aus Albanien. Sie haben zusammen gegen die Nazis gekämpft und wurden zum Symbol unserer Bruderschaft. Aber von dieser ganzen Ideologie blieb am Ende nur eine große Enttäuschung."

Über einen Bildschirm flimmert eine weitere Arbeit von Ismaili. Das Video zeigt Frauen aus einst verfeindeten Balkan-Staaten, die lustvoll stöhnend mit schweren Hämmern gemeinsam auf ein Geröllfeld einschlagen; eine erotisch-absurde Szene, gefilmt auf einer Baustelle im benachbarten Albanien. "Baustelle" ist ein zentraler Begriff in Ismailis Arbeit:

"Ich habe das Wort zum ersten Mal von Verwandten gehört, die in Deutschland arbeiten. 'Baustelle' ist Teil unseres Wortschatzes geworden. Pristina sieht ja auch aus wie eine große Baustelle. Dieses Abreißen von Fassaden, neu aufbauen, niemals fertig werden. Das passt auch auf uns junge Künstler hier. Unser Kollektiv haben wir deshalb 'Baustelle' genannt. Im Wohnviertel nebenan haben wir ein Haus gemietet, das ist unser Treffpunkt, da machen wir unser Programm, und wir hatten schon Gäste aus der ganzen Welt."

Als Künstler brauche er solche Rückzugsmöglichkeiten, sagt Ismaili. Denn Pristina kann auch einengen. Als Einzige auf dem Balkan brauchen Kosovaren ein Visum, um nach Westeuropa zu reisen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist so hoch wie kaum sonst wo in Europa. Korruption und Misswirtschaft prägen Politik und Alltag:

"Wir können nicht reisen, um uns anzuschauen, was wir wollen. Die Schulen sind schlecht, Gebäude werden abgerissen, die Geschichte neu geschrieben, das ist einfach keine gute Zeit."

Trotzdem will Ismaili in seiner Heimat bleiben:

"Die Menschen hier sind beeindruckend. Sie sind so smart und kreativ. Ich werde sicherlich auch reisen, die Welt ist zu groß, um nur an einem Ort zu bleiben, und das Leben ist kurz. Aber ich mag es, mit diesen Leuten hier zu arbeiten. Darum bleibe ich hier. Das wird niemals langweilig."
Mehr zum Thema