Protokollantin des Widerstands

29.03.2011
An der Seite ihres Mannes hat sie den Widerstand gegen Hitler mit organisiert. Nach dem Krieg blieb sie eine engagierte Kämpferin für Demokratie und Versöhnung. Anlässlich ihres 100. Geburtstags zeigen zwei Neuerscheinungen ihr wechselvolles Leben.
"Sie gehören zu den Blühenden", schrieb die große Publizistin Margret Boveri im November 1956 an Freya von Moltke: "Auch wenn Sie sprechen, blüht es". Die Blühende war Zeit ihres Lebens auch eine große Kämpferin, die über sich selbst sagte: "Ich bin gut fürs Leben und auch ganz nützlich für andere Leute".

Als sie am 29. März 1911 in die Kölner Patrizierfamilie Deichmann geboren wurde, florierte die väterliche Bank noch und ermöglicht eine Kindheit und Jugend in großbürgerlichem Ambiente. Als Freya Deichmann 1931 Helmuth James von Moltke heiratete, war die Bank der großen Bankenkrise zum Opfer gefallen: "Ich heiratete als armes Mädchen".

Sie heiratete in eine Familie, deren Name Inbegriff großer preußischer Militärgeschichte war. Sie heiratete einen jungen Juristen, dessen Mutter auch schon eine Bürgerliche war (mit schottisch-südafrikanischen Wurzeln), und der gerade die väterlichen Güter vor dem Bankrott saniert hatte. Nun wirkte der Ehemann in Berlin als Jurist. Später, nach Kriegsbeginn, rettete er als Sachverständiger für Kriegs- und Völkerrecht im Oberkommando der Wehrmacht zahlreiche Menschen, als er sich gegen Kriegsverbrechen an der Ostfront einsetzte – und Dr. jur. Freya von Moltke (Dissertationsthema: "Beglaubigung und öffentlicher Glaube. Zur Auslegung des § 1155 BGB") bewirtschaftete das Gut im schlesischen Kreisau, samt Erziehung der beiden "Söhnchen".

Das Bekenntnis zum Nazistaat nach außen, inklusive Flaggenhissen, leistete der Gutsverwalter mit Parteibuch. Nach innen wurde Klartext geredet. "Ihre Köchin weigerte sich, der NS-Frauenschaft beizutreten", schreibt Sylke Tempel in ihrer Biographie, "weil ‚Herr Moltke sagt, Hitler bedeutet Krieg‘". Hitler bedeutete nicht nur Krieg, sondern Hitler bedeutete auch alle bis dahin nicht gedachten Verbrechen.

1940, auf dem Höhepunkt der deutschen Schlachtensiege, trafen sich erstmals in Kreisau Konservative und Sozialdemokraten, Liberale und Gewerkschaften – und entwickelten politische, soziale und wirtschaftliche Konzepte für ein geschlagenes Deutschland nach Hitler, für ein Deutschland in einem vereinten und friedlichen Europa. Die Gutsherrin Freya sorgte für Unterbringung und Verköstigung der oppositionellen Gäste, die Juristin von Moltke tippte die Protokolle auf ihrer Schreibmaschine ab. Das war die Freya des Widerstands, die durch anrührende tägliche Briefe ihren Mann in der späteren Haft stützte und bis zur Hinrichtung im Januar 1945 begleitete. Die andere Freya organisierte dann den Treck von Kreisauern gen Westen, lebte mit den "Söhnchen" einige Jahre in Südafrika, wo ein Erbe von Seiten der Schwiegermutter ein bescheidenes Leben ermöglichte, das Freya als Sozialfürsorgerin vor allem für farbige Behinderte noch aufbesserte.
1956 ging sie zurück nach Deutschland, als die rassistische Apartheidpolitik immer mehr zur südafrikanischen Staatsdoktrin wurde. "Freya hatte keine Angst vor Autoritäten", schreibt Frauke Geyken in ihrem Buch. Während Sylke Tempel vor allem die Protokollantin des Kreisauer Kreises beschreibt, geht Frauke Geyken mehr in die Tiefe und in die Breite. Sie widmet dem zweiten Leben Freya von Moltkes, der "Weltbürgerin", nach 1945 die gleiche gründliche Aufmerksamkeit wie dem ersten in Kreisau.

So beschreibt Frauke Geyken, wie Freya von Moltke gemeinsam mit Annedore Leber, der Witwe von Julius Leber, zu den ersten Frauen des Widerstandes gehörte, die schon in den fünfziger Jahren - in der verdrängenden Adenauerzeit - an den Widerstand erinnerten. Sie beschreibt, wie Freya von Moltke 1960 nach Amerika zu dem zweiten Mann ihres Lebens zog: zu dem Rechtshistoriker und Soziologen Eugen Rosenstock-Huessy, der schon ein Lehrer ihres Mannes gewesen war, und der 1973 starb. Wie sie die Haft-Briefe von Helmuth James in seiner winzigen Schrift für die Nachwelt abgeschrieben hat – die aber erst nach ihrem Tode veröffentlicht werden durften. Wie sie sich in den USA für die basisdemokratische Coop-Bewegung und für ein "nukleares Moratorium" einsetzte. Und wie sie schließlich für das "Neue Kreisau" warb, für die Jugendbegegnungsstätte im nun polnischen Krzyżowa: für einen Ort der deutsch-polnischen Versöhnung in einem vereinten Europa. So, wie sich der Kreisauer Kreis das damals ausgedacht hatte, als er eine Nachkriegsordnung für ein freies Deutschland entworfen hat.

Beide Bücher sind außerordentlich lesenswert. Sylke Tempel schreibt flott und gefällig: ein schönes Buch für Einsteiger. Wer sich aber in Freya von Moltke wirklich vertiefen will, wer ihre beiden Leben – das vor und das nach der Zeitenwende von 1945 – intensiv erspüren möchte: Dem sei Frauke Geyken ins Regal gelegt. Sie schreibt unprätentiös, präzise und mit einer Fülle von Details, die unmittelbar an die Orte des Geschehens führen: selbst in Freyas Küchen – ob in Kreisau, Kapstadt oder Vermont.

Besprochen von Klaus Pokatzky

Frauke Geyken: Freya von Moltke. Ein Jahrhundertleben 1911-2010
Verlag C. H. Beck, München 2011
287 Seiten, 19,95 Euro

Sylke Tempel: Freya von Moltke. Ein Leben. Ein Jahrhundert
Rowohlt Verlag, Berlin 2011
224 Seiten, 19,95 Euro