Proteste in Thailand

Die neue Demokratiebewegung ist jung, divers und furchtlos

23:35 Minuten
Proteste in Bangkok, Thailand. Die Menschen halten die Hände mit dem Drei-Finger-Gruß in die Luft, 16. August 2020.
Vor allem junge Leute, Schüler und Studierende gehen wie hier in Bangkok auf die Straße. © picture alliance / ZUMA Wire / Chaiwat Subprasom
Von Lena Bodewein · 25.08.2020
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Autoritäre Militärs im zivilen Mäntelchen – so sehen viele junge Thais ihre Regierung und fühlen sich von ihr betrogen. Zehntausende demonstrieren inzwischen für den Wandel. Dabei wagen sie sich sogar an ein Tabu: Kritik an der Monarchie.
Das war jahrelang nicht denkbar: 20.000 Menschen demonstrieren gegen die Regierung Thailands und sogar gegen den König, wie vor gut einer Woche geschehen. In einem Land, in dem Majestätsbeleidigung mit 15 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Nachdem eine erste Protestwelle im März vom Coronaausbruch und der Notstandsgesetzgebung gestoppt wurde, gibt es seit Mitte Juli erneut Demonstrationen.

Politischer Protest als fantasievoller Flashmob

Die Proteste funktionieren als Flashmobs, überall im Land, vor allem in Universitätsstädten. Und es gibt immer neue Ideen: einen LGBTQ-Mob, ein Fußball-Motto oder Harry Potter: Verkleidete Demonstranten haben mit Zaubersprüchen quasi die Demokratie behütet. Mit hochgereckten Zauberstäben skandierten sie einen Schutzzauber. Für viele Menschen scheint das Maß jetzt voll zu sein. Ein Demonstrant bringt die Unzufriedenheit der versammelten Masse auf den Punkt:
Junge Menschen demonstrieren gegen die Regierung in Bangkok, Thailand, 16. August 2020.  
Demonstrierende in Bangkok: "Sie sind unglücklich mit dieser diktatorischen Regierung der letzten sechs Jahre." © picture alliance / AP Images / Yomiuri Shimbun
"Sie sind unglücklich mit dieser diktatorischen Regierung der letzten sechs Jahre. Sie hat Menschen unterdrückt, die ihre Rechte einforderten. Sie hat versagt darin, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, ihr Krisenmanagement während der Pandemie ist ein komplettes Desaster."

"Traut der Jugend etwas zu!"

Es sind vor allem junge Leute, Schüler und Studenten, die jetzt auf die Straße gehen. Sie machen sich Sorgen um ihre Zukunft, wenn sie auf die jüngste Vergangenheit blicken, erklärt eine 20-Jährige:
"Die Junta ist seit sechs Jahren an der Macht, und nach den Wahlen ist sie immer noch hier und klammert sich an die Macht. Ich glaube, es ist gut, wenn die Jugend auf die Straße geht: Wir müssen versuchen, die Dinge zu ändern. Vertraut uns, traut uns ruhig etwas zu, lasst uns mitentscheiden! Wenn es nicht funktioniert – dann sehen wir weiter, aber wir müssen es zumindest versuchen."

Seit einem Putsch 2014 hat das Militär Thailand diktatorisch regiert. 2019 gab es zwar Wahlen, aber die waren nach Meinung aller Beobachter weder frei noch fair; nur mit sehr viel Nachhilfe ist General Prayut Chan Ocha zum Premierminister geworden. Fast siebeneinhalb Millionen junge Thailänder konnten zum ersten Mal in ihrem Leben wählen, fast alle von ihnen setzen ihre Hoffnung auf die ganz neue progressive Future Forward Partei des 41-jährigen Milliardärs Thanathorn Juangroongruangkit. Er holte aus dem Stand fast 18 Prozent der Stimmen.

Verbot der erfolgreichen Oppositionspartei

Doch in mehreren Urteilen, die Menschenrechtsorganisationen als manipuliert bezeichneten, wurde Future Forward, Vorwärts in die Zukunft, gestoppt: Das Verfassungsgericht erkannte Thanathorn den parlamentarischen Status ab, bald danach wurde die gesamte Partei per Gerichtsbeschluss aufgelöst. Und viele junge Menschen sahen sich um ihre politische Mitsprache betrogen. Sie sind aber nicht nur mit der Regierung unzufrieden, sondern auch mit dem König:
"Der Großteil der Demonstranten sind sehr junge Leute, Teenager oder Anfang 20-Jährige – und die haben nie das erlebt, was wir beim früheren König hatten: Wie gut er ist, wie sehr er verehrt wurde",
"Sie kennen nur den jetzigen König, der nie im Land ist, und es gibt eine Menge Probleme mit den Gesetzen und mit der Monarchie, die sich nicht so in die Verfassung einfügt, wie es sein sollte. Darum verbinden die Menschen die Probleme der versagenden Regierung mit der Monarchie."

Großer Unmut über feudale Eskapaden des Königs

Nachdem Maha Vajiralongkorn 2016 als König Rama X seinem Vater auf den Thron nachfolgte, hatte er die neue Verfassung ändern lassen: mehr Macht für ihn, mehr Kontrolle über Einheiten der Armee und vor allem über Palastvermögen im Wert von zig Milliarden Dollar. Ein Übermaß an Macht für einen Mann, der nicht für sein Volk da ist, sondern stattdessen in Bayern die Boulevardpresse beglückt.
Eine erhobene Hand mit einem glitzernden Thailand Ring auf einer Demonstration.
Die demonstrierenden Menschen fordern, das Parlament aufzulösen und eine neue Verfassung zu schaffen.© Getty / LightRocket / Piti A Sahakorn
"Wir müssen in der Lage sein, offen über die Monarchie zu sprechen. Mit Respekt für die Institution der Monarchie natürlich – aber frei. Deshalb muss das Les Majeste, das Majestätsbeleidigung unter Strafe stellt, abgeschafft werden. Ich sage das nicht mit der Absicht, die Institution der Monarchie zu zerschlagen – sondern damit die Monarchie sich einfügen kann in diese Gesellschaft unter einer Demokratie mit einem König als Staatsoberhaupt."

Militärregierung antwortet mit Verhaftungswelle

Der junge Anwalt Arnon Nampha, der diese geradezu höflichen Worte des Widerstandes sprach, wurde kurz danach verhaftet, insgesamt sechs Protestler ließ die Regierung in der vergangenen Woche verhaften. Die direkte Konfrontation scheuen die Regierenden bislang, sie stecken in der Zwickmühle: Wenn sie nichts tun, nimmt die Bewegung noch weiter an Fahrt auf. Wenn die Regierung versucht, die Proteste zu unterdrücken, facht sie den Widerstand nur an. Die jungen Demonstranten beschreiten neue politische Wege und brechen alte Tabus, meint Phil Robertson von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch:
"Was sie tun, ist inspirierend und weitreichend. Es sieht jetzt jedoch so aus, als ob die Regierung hart durchgreifen will. Die Forderungen der Demonstranten, die Rechte der Menschen nicht mehr zu verletzen, das Parlament aufzulösen und eine neue Verfassung zu schaffen, sind gerechtfertigt; sie sollten erhört und nicht durch eine Verhaftungswelle unterdrückt werden."

Trotz Repression herrscht Aufbruchstimmung

Anscheinend wolle Premierminister Prayut chan o-cha sich um jeden Preis an die Macht klammern. Die meisten Demonstranten verspüren dennoch keine Angst, sondern: Hoffnung.
"Ich habe das Gefühl, dass die Hoffnung für dieses Land neu erwacht. Es ist toll, dass alle sich hier versammeln, um ihre Rechte einzufordern, denn so viele Dinge sind aus dem Ruder gelaufen. Ich bin froh, dass so viele Menschen hier sind – nicht nur die neuen Generationen, sondern alle Generationen, die unter dieser Regierung leiden."
Wenn das stimmt, was dieser 20-Jährige sagt, dann hat die Regierung zumindest eines geschafft: Die Menschen im Widerstand gegen sich zu vereinen.

Aufbruchsstimmung in Thailand: Hat der demokratische Wandel eine Chance?

Im buddhistischen Königreich ist etwas in Gang gekommen, was schwer aufzuhalten ist. Dennoch lasse sich nicht genau vorhersagen, welche Richtung die Entwicklung nehmen werde, meint Korrespondentin Lena Bodewein im Gespräch mit der Weltzeit.

Für einen Wandel spricht aus ihrer Sicht, dass die Proteste wie ein Dammbruch wirken, sich sogar Teenager schon mobilisieren und die Regierung sich derzeit nicht richtig traut, gewaltsam gegen die Demonstrierenden vorzugehen. Andererseits kommt es seit Monaten zu Verhaftungen einzelner Dissidenten, erst im Juni wurde ein Regimekritiker entführt und verschwand spurlos. Der Sicherheitschef des Königs soll darin verwickelt sein.

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