Proteste in der Rigaer Straße in Berlin

Wird rechte und linke Gewalt gleich bewertet?

Polizisten stehen vor einem besetzten Haus in der Rigaer Straße am 09.07.2016 in Berlin bei einer Demonstration linker und linksextremer Gruppen
Bei Protesten gegen die Teilräumung eines besetzten Hauses in der Rigaer Straße im Stadtteil Friedrichshain kam es zu gewaltsamen Ausschreitungen. © picture alliance / dpa - Maurizio Gambarini
Wilhelm Heitmeyer im Gespräch mit Vladimir Balzer und Axel Rahmlow · 11.07.2016
So aggressiv ging es in Berlin lange nicht mehr zu: Bei Protesten gegen die Räumung eines besetzten Hauses würden über 120 Polizisten verletzt. Die gesellschaftliche Empörung scheint eher gering. Was wäre, wenn Neonazis randaliert hätten? Bewerten wir linke und rechte Gewalttaten unterschiedlich?
Wilhelm Heitmeyer, Konflikt- und Gewaltforscher an der Universität Bielefeld, erklärt sich die unterschiedlichen Bewertungen durch die verschiedenen Zielrichtung linker und rechter Gewalt: "Die von links richtet sich gegen starke Institutionen, gegen Polizei, Justiz, und damit dann auch gegen das System", sagt Heitmeyer. Gewalt von rechts sei dagegen in der Regel gegen schwache Gruppen gerichtet: Fremde, Migranten, Muslime, Homosexuelle, Obdachlose. "Dort ist die Aufmerksamkeit dann anders gerichtet. Die können sich dann nämlich nicht wehren, während der Staat sich wehren kann, als starke Institution. Und dadurch verschiebt sich die Aufmerksamkeitsrichtung."

"Gewalt bleibt Gewalt"

Letztendlich sei jedoch völlig klar: "Gewalt bleibt Gewalt." Dabei sei es völlig gleichgültig, ob diese von rechts von links ausgehe. So oder so würden zwei Grundwerte der Gesellschaft verletzt werden: die physische und psychische Unversehrtheit von Menschen und die Gleichwertigkeit von Menschen. "Dagegen muss man in jeder Form vorgehen", so Heitmeyer.

Heitmeyer warnt vor einer Instrumentalisierung des "Opferdiskurses" sowohl linker als auch rechter Gruppen: sprich, eine "Konstruktion moralischer Überlegenheit, weil man sich als Opfer fühle. Die Linken des Systems, des Kapitalismus. Auf der rechten Seite Opfer der Überfremdung und Zerstörung des Deutschseins."

Der Opfer-Mythos

Dieser Opferdiskurs sei gefährlich. "Wenn Gruppen in der Öffentlichkeit sichtbar machen können, dass sie Opfer seien, können sie moralische Überlegenheit demonstrieren, um Rechtsnormen zu verletzte." Dies sei auch ein zunehmendes gesellschaftliches Problem, jenseits politischer Lagerbildung.
Der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer
Der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer© dpa / picture alliance / Robert B. Fishman
Als Beispiel nennt Heitmeyer Gewalt gegenüber Schaffnern, in Notaufnahmestationen von Kliniken oder gegenüber Politikern. Die Gesellschaft müsse daher darauf achten, dass Normen wie die Unversehrtheit und Gleichwertigkeit von Menschen immer wieder bestätigt werden.
Dabei habe die Polizei eine schwere Balance zu bewahren: Wenn sie zu wenig reagiere, führe dies zu Ermunterung von Gewalt, wie in der Silvesternacht in Köln, so Heitmeyer. Wenn sie übermäßig reagiere, schaffe sie hingegen neue Solidarisierung, wie beispielsweise bei den Demonstrationen gegen Stuttgart 21.
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