Proteste im Iran

Absage an den Gottesstaat

Iranische Studenten liefern sich Auseinandersetzungen mit der Polizei am 30. Dezember in Teheran
Iranische Studenten liefern sich Auseinandersetzungen mit der Polizei am 30. Dezember 2017 in Teheran. © AFP / STR
Von Kamran Safiarian · 06.01.2018
Trotz Verhaftungen demonstrieren im Iran weiterhin tausende Menschen gegen das islamische Regime. Die Proteste haben auch einen Machtkampf zwischen Reformern um Präsident Rohani und Hardlinern um den Revolutionsführer Khamenei ans Tageslicht gebracht, erklärt der Journalist Kamran Safiarian.
Ist der Protest im Iran verpufft bevor er richtig gezündet hat? Das Regime scheint die Oberhand gewonnen zu haben, die Demonstrationen sind abgeebbt. Kein Wunder. Der Vorsitzende des Revolutionsgerichts drohte den Protestlern mit der Todesstrafe und der Chef der Revolutionsgarden erklärte die Proteste bereits am Mittwoch einseitig für beendet.
Im Vergleich zur Grünen Bewegung von 2009 sind es diesmal vor allem Angehörige der verarmenden Arbeiterklasse und der unteren Mittelschicht – eigentlich eine konservative Klientel – die in diesen Tagen im Iran auf die Straße gehen. Was als Unmut über überhöhte Eierpreise und exorbitant hohe Benzinpreise der Regierung Rohani begann, löste eine landesweite Protestwelle aus, die außer Kontrolle geriet. Doch die Hoffnung der Hardliner, die wirtschaftliche Lage für ihre Zwecke auszunutzen und Rohani zu schwächen, hat sich nicht erfüllt.
Die Menschen skandierten "Tod Chamenei" und "Tod dem Diktator" und plötzlich wankt das gesamte politische System, einschließlich des als unantastbar geltenden Revolutionsführers Khamenei.

Zum ersten Mal wurden Bilder des Revolutionsführers verbrannt

Den Demonstranten geht es nicht mehr nur um Reformen, sondern der Protest richtet sich diesmal gezielt gegen das gesamte islamische Regime. "Freiheit, Gleichheit, iranische Republik" – dieser Slogan ist eine Absage an den Gottesstaat.
Noch 1979 hieß der Slogan der Revolutionäre gegen den Shah: "Freiheit, Gleichheit, Islamische Republik". Der Widerstand ist spontaner und hemmungsloser als der von 2009, als vor allem liberale Großstädter auf die Straße gingen. Schon in den ersten Tagen wurden Militärbasen angegriffen, Polizeiautos angezündet und Tabus gebrochen. Noch nie wurden Bilder des Revolutionsführers Ayatollah Khomeini verbrannt.

Viele Hinrichtungen

In einem Land, in dem es keine politischen Parteien, keine Gewerkschaften und keine freie Presse gibt, müssen die Menschen ihren Unmut durch Demonstrationen öffentlich äußern. Ganz zu schweigen von den Menschenrechtsverletzungen gegen politische Gefangene im Teheraner Evin-Gefängnis. Und nicht zu vergessen: Der Iran ist Vizeweltmeister, was die weltweite Zahl an Hinrichtungen angeht.
Auch außenpolitisch haben die Menschen dem Regime die Zähne gezeigt. Parolen wie "Nicht Gaza, nicht Libanon, ich opfere mein Leben nur für den Iran" sollen dem Regime zeigen, dass Milliarden von Dollar nicht für die militärische und finanzielle Unterstützung arabischer Staaten wie Palästina, Syrien, Libanon oder dem Jemen fließen darf, sondern den Menschen im eigenen Land zugutekommen soll.

Machtkampf zwischen Präsident und Revolutionsführer

Das Regime selbst reagiert zunächst hilflos. Es inszeniert Massendemonstrationen regimetreuer Claqueure. Und der Armeechef droht den Demonstranten gar mit einem Militäreinsatz. Das Internet und soziale Netzwerke wie Telegram werden teilweise lahmgelegt, im staatlichen Fernsehen wird Propaganda statt Proteste gezeigt. Es ist auch ein Krieg der Bilder und Informationen.
Die Proteste haben den Machtkampf zwischen Reformern um Präsident Rohani und Hardlinern um den Revolutionsführer Khamenei öffentlich gemacht. Während Khamenei ausländische Mächte am Werk sieht, zeigt Rohani Verständnis für die Proteste und fordert gar eine gesellschaftliche Öffnung. Und er macht erstmals öffentlich, wie Milliarden an Öleinnahmen an religiöse Stiftungen der Hardliner, den sogenannten Bonyads, gehen.

Aufstand ohne Führung

Doch dem Widerstand könnte jetzt zum Verhängnis werden, dass er im Vergleich zur Grünen Bewegung 2009 keine Anführer, keine Agenda, keine Identifikationsfigur hat. Der iranische Schriftsteller Amir Hassan Cheheltan spricht von einem blinden Aufstand ohne Führung.
Es wäre tragisch, wenn die größte Revolte in Iran seit 2009 nach zehn Tagen im Keim ersticken würde. Denn wieder einmal nach 2009 riskieren die Iraner Leib und Leben für mehr Gerechtigkeit und Freiheit. Dem iranischen Volk wäre es zu wünschen – nach über 30 Jahren religiöser Herrschaft – in den Genuss von Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit zu kommen. Und seine Regierung künftig selbst frei bestimmen zu dürfen.
Vieles erinnert heute an die letzten Tage des Schahs im Jahr 1979. Doch selbst wenn eine Revolution wie damals ausbleibt – der Protest ist ein Warnschuss für das Regime. "Ein gewaltsamer Umsturz in Form einer Revolution würde unsere Probleme nicht lösen", sagt der Schriftsteller Cheheltan. "Es geht nur mit Reformen. Denn wenn die Revolution 1979 unsere Probleme gelöst hätte, wären wir heute – fast 40 Jahre danach – weiter."

Kamran Safiarian, Journalist, Politikwissenschaftler und Muslim, wurde am 19. September 1969 in Teheran als Sohn einer deutschen Mutter und eines persischen Vaters geboren. Nach der Islamischen Revolution 1979 in die Bundesrepublik übergesiedelt, studierte er Politik, Kommunikationswissenschaft und Sozialpsychologie in München und arbeitet seit 1995 für das ZDF.

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