Projektmanager: Risiken von Großprojekten transparent machen

Moderation: Gabi Wuttke · 09.01.2013
Bei der Planung von Großprojekten wie dem Flughafen BER ließen sich Fehler nicht vermeiden, sagt der Projektmanager Klaus Grewe. Risiken müssten von Beginn an mit einberechnet und transparent dargestellt werden.
Gabi Wuttke: Schuld und Sühne – davon spricht Klaus Wowereit nicht, der Rest der Welt schon. Denn der Hauptstadtflughafen ist ein Debakel, eine teure Posse, ein Paradebeispiel für den Umgang deutscher Politiker mit Prestigeobjekten, die billig aus der Taufe gehoben werden, um dann nach jahrelanger Fehlplanung zum Milliardengrab zu werden. Klaus Grewe hat als Projektmanager den Berliner Hauptbahnhof als auch den Gotthardtunnel mitgeplant, zudem war er Gesamtkoordinator für die Planung der Olympischen Spiele in London. Gerade von aufgeweckten Zeitgenossen in Deutschland wird hoch gelobt, wie professionell diese Großprojekte umgesetzt wurden. Einen schönen guten Morgen, Herr Grewe!

Klaus Grewe: Guten Morgen!

Wuttke: Nach den Erfahrungen, die Sie schon in Berlin gemacht haben: Überrascht es Sie, dass die Eröffnung des Hauptstadtflughafens nun schon wieder verschoben wurde?

Grewe: Ehrlich gesagt, eine weitere Verschiebung überrascht mich schon.

Wuttke: Warum?

Grewe: Weil ich den Aussagen, die ich über die Presse mitgekriegt habe, getraut habe, und nach so vielen Verschiebungen wirklich daran geglaubt habe, dass jetzt das letzte Wort gesprochen ist, und durch das neue Projektmanagement auch ein Wissen an Bord gekommen ist, dieses Projekt nun zum Ende zu bringen.

Wuttke: Die Schweiz und London beweisen, es geht auch anders. Wie wurden denn bei Ihnen die Kosten für die Olympischen Spiele in London errechnet?

Grewe: Ich glaube, wir haben uns dort sehr stark an amerikanischen Vorbildern orientiert. Es gibt eine einfache Formel dort, Projektkosten so zu benennen, wie sie wirklich entstehen werden. Wir ermitteln am Anfang – was bei Ihnen in Berlin sicherlich auch getan wurde – die Gesamtkosten für ein Projekt. Das ist eine Fleißarbeit. Sie stellen auf: was brauchen Sie, was kostet ein Kubikmeter Beton, was kostet ein Quadratmeter Schalter, wie viele Leute arbeiten dort, und Sie kriegen die Gesamtkosten. In einer zweiten Runde ermitteln Sie das Risiko, was entstehen kann, wen so ein Großprojekt gebaut wird – was passiert, wenn ein kalter Winter kommt, was passiert, wenn Planänderungen kommen. Dann machen …

Wuttke: Das heißt, dann muss man besonders mutig oder besonders realistisch sein, um diese Möglichkeiten, diese Eventualitäten mit in den Plan aufzunehmen?

Grewe: Nein, Sie müssen fleißig sein, gar nicht mal realistisch. Sie müssen einfach nur die Zeit am Anfang nehmen – das war bei der Olympiade, waren das drei Monate –, das Projekt noch mal genau zu definieren, in viele kleine Positionen unterteilen, dass Sie nicht über ein Stück Flughafen reden, sondern über einen Quadratmeter Beton, über ein Fundament, über einen Abfertigungsschalter, über ein Fließband.

Und dann setzen Sie sich mit den Fachleuten zusammen, die darüber ein Wissen haben, und sagen: Was kann passieren, wenn ich Beton im Winter betoniere? Es können Risse kommen, der Beton kann platzen, dadurch muss man das Fundament vielleicht noch mal machen. In einem zweiten Schritt überlegen Sie sich aber dann, was können Sie dagegen tun. Eine Möglichkeit ist, im Winter nicht zu bauen, eine andere Möglichkeit ist, einfach eine Matte drüber zu legen, um das zu verhindern. Das heißt, Sie ermitteln das Risiko, überlegen sich aber auch gleichzeitig die Methoden mit, wie Sie das Risiko mindern können.

Das können Sie für einfache Sachen wie Betonarbeiten machen, das können Sie auch für komplizierte Abläufe wie Brandschutz und ähnliche Sachen machen, das heißt, Sie denken das Projekt vor.

Wuttke: Das heißt aber auch, man muss die Jahre, die ein Projekt braucht, auch bei der Größe des Projekts – in London möglicherweise war das jetzt nicht der Fall, weil da war klar, was gebraucht wird –, aber beim Flughafenbau muss man ja auch ein erhöhtes Flugaufkommen mitberechnen, die Bauzeiten sind länger. All das hätte man auch im Berliner Fall schon vorher mit einkalkulieren können, um jetzt nicht dazustehen und zu sagen, selbst wenn dieses Ding noch mal zum laufen kommt, ist es ja schon viel zu klein.

Grewe: Ja, man hätte es einkalkulieren können, und ich setze auch voraus, dass es an einer Stelle auch getan wurde. Es wird sicherlich Kalkulationen geben und Risikobetrachtungen geben, was bedeutet ein Flughafen, was für Aufkommen habe ich, und damit kann man praktisch dieses Projekt erfassen. Was dann weiter passiert, dass Sie während des Projektablaufes einfach Änderungen, die kommen – Sie haben Änderungen bei einem Projekt –, dass Änderungen, wenn sie kommen, darauf reagieren können.

Das heißt, eine Änderung kommt, und Sie vergleichen es eigentlich nur mit dem Risiko, was Sie vorher mal kalkuliert haben und sagen, dieses Risiko ist jetzt eingetreten, und jetzt kommt das Schöne dabei, Sie haben mit diesem Risiko auch Gelder zurückgestellt. Sie können also sofort, wenn das Risiko eintritt, Gelder dafür freisetzen, dieses Risiko zu vermindern oder Aktionen zu machen, damit das Risiko nicht eintritt.

Wuttke: In welchem Verhältnis stehen diese Risikorücklagen und die erst mal projektierten Kosten zueinander? Hier in Berlin wurde mit 2,4 Milliarden angefangen, jetzt sind wir bei über vier Milliarden.

Grewe: Ja, man ermittelt Risiko nicht als 25 Prozent oder 20 Prozent ist das Risiko, sondern man ermittelt Risiken als Einzelpositionen. Bei uns in London waren es ungefähr als Beispiel 14.000 Vorgänge, die insgesamt Basiskosten von 6,3 Milliarden Pfund ergeben haben. Wir haben auf diese 14.000 Basisvorgänge ein Risiko von 2,8 Milliarden errechnet. Und dann haben wir die Gesamtsumme, das Gesamtbudget plus Risiko, als das Budget angegeben, was wir für die Spiele brauchen. In Berlin haben Sie vielleicht beides ermittelt, haben aber weder die Gesamtsumme noch die Basissumme angegeben, sondern vielleicht eine politische Zahl.

Wuttke: Und diese ganze Projektierung, die bekamen die Briten schwarz auf weiß?

Grewe: Ja. Wir haben alles, was passiert ist, ins Internet gestellt, wir haben die Kosten ins Internet gestellt, wir haben die Veränderungen ins Internet gestellt – Änderungen passieren bei einem Projekt, und es passieren auch Fehler bei einem Projekt. Ich persönlich mache Fehler, das kommt vor bei so einem Projekt, das kann man leider nicht hundertprozentig ausschließen. Aber wir haben es transparent dargestellt, und wir haben auch dargestellt, wie wir damit umgehen.

Wuttke: Als Sie zum ersten Mal nach diesem amerikanischen Modell gearbeitet haben nach Ihren Erfahrungen in Deutschland, haben Sie da auch gedacht, wie kann es denn nur anders laufen, denn so ist es doch eigentlich für alle beteiligten Seiten auf einem transparenten und professionellen Weg der einzige, den man auch mit gedeckelten Kosten gehen kann, um solche großen Projekte überhaupt noch ordentlich über die Bühne zu bringen?

Grewe: Da ich ja lange in Berlin gelebt habe, es gab in Berlin Projekte, die ähnlich betrachtet worden sind. Nehmen Sie damals die berühmten U-Bahnhöfe und eine Strecke, die haben damals 50 Millionen - sind in der Planung gewesen, die sind auch mit 50 Millionen abgeschlossen worden. Es hat sich was in der Zwischenzeit verändert, was ich auch nicht nachvollziehen kann, dass man Projekte viel tiefer veranschlagt, als sie tatsächlich kosten, als wahrscheinlich irgendwo im stillen Kämmerlein kalkuliert. Das ist eine Entwicklung, die ist neu, und das ist vielleicht eine gesellschaftliche Frage, die Sie in Deutschland insgesamt sich fragen müssen.

Wuttke: Sagt Klaus Grewe, derzeit mit der Herausforderung beschäftigt, London neu zu untertunneln. Er ist Projektmanager und war im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Herr Grewe, besten Dank dafür, einen schönen Tag und alles Gute!

Grewe: Ja, vielen Dank dafür!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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