Probleme des neuen Fördersystems

Alarm im deutschen Spitzensport

Michael Damgaard (SC Magdeburg) zeigt seine olympische Goldmedaille von Rio.
Olympisches Gold in Rio: Welches Fördersystem kann die Zahl der Medaillen erhöhen? © imago sportfotodienst
Von Thomas Jaedicke · 05.11.2017
Deutschland soll wieder mehr Medaillen holen: 169 Millionen Euro Steuergelder stellt der Staat deshalb zur Verfügung. Die geplante Reform der Förderung des Spitzensports verunsichert jedoch nicht nur die Verbände - sondern auch die Nachwuchssportler.
"Jetzt schauen wir auf Christoph Harting, der nochmal herausgerannt ist, aus diesem Käfig, nach vorn geschaut hat auf die weite Wiese. Und jetzt ist er drin. Jetzt hat er den Diskus schon in der Hand. Fängt immer sehr schnell an zu drehen, hinein in die Bewegung und auch hinaus mit der Scheibe. Klasse Versuch! Steht super!....Noch besser, noch weiter!!....Das ist Goooold! Das ist Gold."

Über sportliche Erfolge freut sich das ganze Land. Wer bei Olympia oder Weltmeisterschaften ganz vorne landen will, braucht professionelle Bedingungen. Qualifizierte Trainer, eine hervorragende Infrastruktur und vor allem motivierte Athleten, die sich auf ihren Sport konzentrieren können, ohne von materiellen Sorgen und Zukunftsängsten geplagt zu werden. Solche Bedingungen zu schaffen, kostet Geld. Viel Geld!

169 Millionen Euro Steuergelder für den Spitzensport

Der Löwenanteil der Spitzensportförderung kommt aus dem Haushalt des für den Sport zuständigen Bundesinnenministeriums; wird also vom Steuerzahler aufgebracht. In den vergangenen vier Jahren stieg die Fördersumme um mehr als 25 Prozent auf aktuell 169 Millionen Euro. Ist dieses Geld gut investiert, wenn es in eine Hochleistungsmaschinerie fließt, die ihre Athleten, die teilweise zu verbotenen Medikamenten greifen, um die Anforderungen erfüllen zu können, immer öfter krank macht? Ist es sinnvoll, Bob- und Rodelbahnen zu bauen, wenn von 80 Millionen Deutschen gerade mal 113 Kaderathleten diese teure Infrastruktur voll ausnutzen? Sollten wir nicht lieber Schulturnhallen renovieren oder den Breitensport stärker fördern, als ein betrugsanfälliges System zu alimentieren, das zwar viele Medaillen und schöne Fernsehbilder produziert, aber in unserer Gesellschaft, wie die jüngsten gescheiterten Olympiabewerbungen zeigen, immer weniger Rückhalt findet? Der Jurist Gerhard Böhm ist als Ministerialdirektor im Bundesinnenministerium für den Spitzensport zuständig. Ohne seine Unterschrift fließt kein Cent an staatlichen Fördergeldern.
"Die Kaderzahlen sind nach Auffassung aller Experten die entscheidende Größe. Ich sage mal ein Beispiel: Wenn Sie 1000 Sportler haben, dann brauchen Sie die Anzahl Trainer X. Im Durchschnitt, international, kommen auf vier Athleten ein Trainer. Also unterm Strich 1:4, das Verhältnis. Wenn ich jetzt 1000 Athleten hab, brauche ich 250 Trainer. Ganz einfach gerechnet. Wenn ich 4000 hab, brauche ich 1000. So, das kostet Geld."

Gerhard Böhm ist es gewohnt, mit spitzem Bleistift zu rechnen. Seit 30 Jahren dient er dem Ministerium in unterschiedlichen Verwendungen als politischer Beamter. Nach den Olympischen Sommerspielen 2012 in London, wo Deutschland aus einem Kader von 4.500 Athleten seine Starter auswählte und elf
Mal Gold holte, was aber im Medaillenspiegel am Ende nur zu Platz sechs, fand er, dass es höchste Zeit sei, Leistungssport und Spitzensportförderung in Deutschland neu zu strukturieren.

Haben andere Länder das bessere Erfolgsrezept?

Großbritannien, das in London auf einen Kader von 1.200 Sportlern zurückgriff und 29 Goldmedaillen gewann, kam in der Nationenwertung auf Platz drei. Vor 20 Jahren hatten die Briten ihren Leistungssport in die Hände von UK Sport gegeben. Die dem Ministerium für Kultur, Medien und Sport angegliederte Agentur arbeitet mit knallharten Erfolgsvorgaben.
"Das passt nicht so richtig zu unserer Sportlandschaft. Erst mal haben wir 'ne föderale Struktur, politisch wie aber auch in der Sportverbandsarchitektur. Es gibt ja den DOSB als Dachverband, die Bundessportfachverbände, die Landesverbände, dann gibt´s die Landessportbünde, die ganzen Gliederungen, die es dann runter bis auf die kommunale Ebene gibt. Das ist deutlich komplizierter."
Ein aus dem System ausgegliedertes Team Deutschland nach dem medaillenfixierten britischem Vorbild kam also für Gerhard Böhm und die deutschen Sportfunktionäre bei der Reform nicht infrage. Sport ist in Deutschland traditionell ein wichtiger Teil der Gesellschaft. Das Vereinsleben vermittelt soziale, kulturelle und gemeinschaftliche Werte. Mit ihrer anziehenden Ausstrahlung sorgen Spitzenathleten aus verschiedensten Disziplinen dafür, dass Kinder sportlich aktiv werden. Doch gerade diese Nähe zwischen Spitzen- und Breitensport erfordert von den Reformern einen schwierigen Spagat. Denn ein verantwortungsbewusster Sport, der auch Schwächere mitnimmt, widerspricht eigentlich der Definition des Leistungssports.

Mit gezielten Potenzialanalysen Talente finden und fördern

Würden jedoch nur noch Medaillenkandidaten gefördert, gingen viele andere leer aus. Die bunte Sportlandschaft wäre bald farbloser. Mit einer gezielten Potenzialanalyse, kurz PotAS, einem komplizierten Hauptinstrument der Reform, soll Deutschlands Sport erfolgsorientierter werden und dabei trotzdem vielfältig bleiben.
"Da unterscheiden wir uns auch von diesem UK Sport-Modell, das ja auch sehr häufig so als Goldstandard gerne herangezogen wird, basierend auf den Erfolgen, die das System hat."

Urs Granacher ist Leiter der fünfköpfigen PotAS-Kommission. Verbände seien künftig noch viel stärker in der Pflicht, optimale Rahmenbedingungen für größtmögliche Erfolgswahrscheinlichkeit der Athleten zu schaffen, sagt der 44-jährige Trainingswissenschaftler von der Universität Potsdam.

"Aber UK Sport geht explizit vom Athleten aus. Die suchen sich die Athleten, die ein niedriges, ein mittleres, ein hohes Medaillenpotenzial haben und fördern nur diese Athleten und deren Infrastruktur. Und da unterscheiden wir uns im deutschen System doch sehr."
30 olympische Spitzenverbände – sechs Wintersportarten, 24 Sommerdisziplinen – werden von den PotAS-Kontrolleuren analysiert. Beurteilt werden von den Wissenschaftlern 20 Bewertungsfelder wie Erfolge, Perspektiven und Verbandsstrukturen. Für die Vergabe der Fördergelder spielt die Auswertung dieser Daten eine entscheidende Rolle. Demnach wird es künftig drei grundlegende Einstufungen geben: Exzellenzcluster mit optimaler Förderung, Potenzialcluster mit eingeschränkter Förderung und einen Cluster mit wenig oder keinem Potenzial.

Viele Verbände sind verunsichert

Obwohl der Prüfprozess teilweise noch läuft und die Neuerungen erst 2019 greifen werden, ist die Verunsicherung in den Verbänden schon jetzt sehr groß. Der Deutsche Schwimmverband und der Hockeybund lassen Anfragen unbeantwortet; Leichtathleten und Fechter wollen zu diesem "heiklen" Thema nichts sagen. Denn natürlich kann es in einem derartig umwälzenden Prozess nicht nur Gewinner geben.
"Fakt ist, das ist schon so ein Paradigmenwechsel. Da muss man die Augen nicht vor schließen, dass es mehr in Richtung Investment geht bei der Förderung des Spitzensports als in Richtung, wir gießen jetzt alles mit der Gießkanne aus. Man versucht schon zu konzentrieren, dort wo schon Erfolg ist, nochmal spezifisch zu fördern."
Die kreisfreie Stadt Aschaffenburg liegt im bayerischen Unterfranken, dicht an der Grenze zu Hessen. Ringen hat hier eine große und lange Tradition. In den 90er Jahren dominierten Kämpfer aus dem benachbarten Goldbach die Bundesliga.

Nachwuchsringer trainieren neben Olympioniken

Hinter einem großen Baumarkt im Aschaffenburger Gewerbegebiet am südöstlichen Stadtrand befindet sich in einer schmucklosen Sporthalle einer von neun Bundesstützpunkten für Ringer. An den Wänden zeigen riesige Schwarz-Weiß-Fotos Alexander Leipold, Rifat Yildiz, Reiner Heugabel, Jannis Zamanduridis und viele andere ehemalige Medaillengewinner. Ein zusätzlicher Motivationsschub für den Nachwuchs, der hier neben Olympiakandidaten trainiert. Noch ist unklar, was sich durch die Reform für die Ringer in Aschaffenburg verändern wird. Es gibt Sparvorgaben, die den Bundesstützpunkt gefährden. Doch auch nach Struktur- und Verbandsgesprächen mit Gerhard Böhm vom Innenministerium und dem Deutschen Olympischen Sportbund, die eigentlich Klarheit bringen sollten, gibt es für den Standort Aschaffenburg bisher noch keine Planungssicherheit.

"Hier würde sich jetzt automatisch die Frage stellen, wenn Aschaffenburg das Prädikat Bundesstützpunkt aberkannt bekommt und zum Landesstützpunkt wird, ob dann das Land immer noch Geld investieren würde, um die Trainergehälter weiter zu finanzieren."
Jannis Zamanduridis erkämpfte 1990 WM-Silber im Griechisch-Römischen-Stil. Inzwischen ist der mittlerweile 52-Jährige seit knapp fünf Jahren Sportdirektor beim Deutschen Ringer Bund.

"Das heißt genau diese Betreuungsleistung dieser jungen Athleten…wäre dann natürlich gefährdet und infrage gestellt."
Die Strukturgespräche sind ja schon gelaufen, was das betrifft. Ist das jetzt entschieden?
"Nein, das ist immer noch so ein Stück weit in der Schwebe. Und das ist natürlich in dieser Zeitschiene auch so ein bisschen die Ungewissheit, wo wir nicht so richtig wissen, wie wir damit umgehen sollen. Es gibt zwei Stützpunkte, wo wir genau wissen, die verlieren das Prädikat Bundesstützpunkt."
Welche sind das?
"Das ist in unserem Fall, bei den Ringern, jetzt Jena und ab 2018 auch Luckenwalde, das ist in Brandenburg. Das andere in Thüringen. Dann haben wir noch einen Stützpunkt, derzeit noch Landesstützpunkt, wie Leipzig, wo wir uns natürlich auch wünschen, dass die Bundesstützpunkt werden, weil die alle Rahmenbedingungen für den Leistungssport eigentlich auch erfüllen, aber eben wir ja in dieser Leistungsportreform eher eine Reduzierung der Bundesstützpunkte vorsehen, genauso wie eben auch eine Reduzierung der Kaderzahlen. Und das ist natürlich für uns jetzt schwierig, gerade in den Zweikampfsportarten, die wir ja auch von Trainingspartnern leben."

Die älteste olympische Kampfsportart wäre fast gestrichen worden

Mit 60.000 bundesweit organisierten Mitgliedern ist der Deutsche Ringer-Bund im Vergleich zu 820.000 Leichtathleten eher klein. Von 4.500 deutschen Kaderathleten, die bei Olympia oder Weltmeisterschaften um Medaillen kämpfen, stellen die Ringer mit 145 Sportlern ein ziemlich überschaubares Kontingent. Bei den Sommerspielen in Rio gab es in einer der ältesten Wettkampfsportarten, die eigentlich nach den Spielen ganz aus dem Olympiaprogramm gestrichen werden sollte, eine Bronzemedaille für Deutschland durch Griechisch-Römisch-Spezialist Dennis Kudla. Sind diese Fakten stark genug, um drohende Kürzungen abzuwehren?
"Wenn ich wirklich möchte in der Welt erfolgreich sein und konkurrenzfähig bleiben möchte, muss ich Geld in die Hand nehmen, oder ich definiere die Ziele neu. Das ist die Alternative. Dann werden´s eben nicht mehr Medaillen, sondern eher weniger Medaillen."

Die Ringer haben ihr eigenes Fördersystem entwickelt

Trotz der vielen Ungewissheiten bleibt Jannis Zamanduridis optimistisch. Schon vor Jahren hätten die Ringer von sich aus einen Entwicklungsprozess angestoßen und seither die Verbandsstrukturen kontinuierlich weiterentwickelt und optimiert.
"Das ist ein Prozess, da reden wir jetzt mal locker über zehn Jahre und mehr. Haben also auch das Bundesstützpunktsystem weiter ausgebaut. Haben aber auch Individuallösungen zugelassen und haben die ins System mit eingebunden, so dass wir am Ende doch recht flexibel waren, auch in der Handhabung dieser Thematik und so auch in der Lage waren, wieder Leistung zu entwickeln. Und das ist ja genau, worum es im Leistungssport geht und worauf wir auch Einfluss haben."
"Gerade, wenn es in den Hochleistungssport oder den Leistungssport auch im Juniorenbereich schon geht, da ist es nicht mit drei Mal die Woche Training getan."

Hauptamtliche Trainer, ein Physioteam, Ärzte: Michael Carl, Bundestrainer der griechisch-römischen Kämpfer, weiß, wie aufwändig es ist, eine gute und funktionierende Infrastruktur aufzubauen.

"Da ist es wichtig, dass er einen Trainer an der Seite hat, der ihm ´ne Linie vorgibt, der ihn nicht nur sportlich, sondern auch privat unterstützt, weil man ja auch privat - zum Teil Pubertät – auch im Männerbereich immer wieder schwere Zeiten mal durchlebt. Und von daher ist es umso wichtiger, dass man dann jemanden dann dahat, der tagtäglich dann auch für die Athleten da ist."

Die Reform verunsichert viele Trainer

In einem jahrelangen Prozess hat der Deutsche Ringer-Bund in Eigenregie ein offenbar funktionierendes Netzwerk geschaffen, um Leistungssportler aufzubauen. Verschiedene Kompetenzteams scheinen sich dabei gegenseitig gut zu ergänzen. Sportdirektor Jannis Zamanduridis spricht von einer "vertikalen Förderstruktur", die vom Spitzenverband über die Landesorganisationen bis in die Vereine hineinwirkt. Genau wie Zamanduridis hält auch Bundestrainer Carl ein neues Fördersystem grundsätzlich keinesfalls für eine schlechte Idee. Allerdings könnten durch die Umstrukturierung bewährte Abläufe in Gefahr geraten. Wegen vieler ungelöster Fragen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Reform sei es z.B. zur Zeit sehr schwierig, freiwerdende, hauptamtliche Trainerstellen neu zu besetzen.

"Niemand weiß so richtig, wo die Reise aktuell hingeht. Und deswegen ist es auch verständlich, wenn junge Trainer, die im Berufsleben stehen, aber selbst früher im Leistungssport tätig waren, wenn die sich jetzt erstmal überlegen und sagen: Ich warte jetzt erstmal zwei, drei Jahre ab und schaue mir erst mal an, wie sich alles entwickelt. Aber dann ist es für uns das Problem, dass da die Zeit dann gegen uns spielt."

Viele Nachwuchssportler haben Zweifel

Die Unsicherheiten im System belasten neben den Funktionären natürlich auch die Athleten. Vielen Nachwuchssportlern fällt es sowieso schon nicht leicht, sich für eine riskante Leistungssportkarriere zu entscheiden. Bei wöchentlichen Trainingsumfängen von bis zu 25 Stunden bleibt wenig Zeit für Ausbildung, Beruf und Privates. Und was wird, wenn es mit dem Sport schiefgeht? Viele Beispiele von Sportlern, die nach aufopferungsvollen Jahren im Hochleistungssport plötzlich mit leeren Händen dastanden, schrecken ab. Ohne Tausende von der öffentlichen Hand finanzierte Sportförderplätze bei Bundeswehr, Polizei und Zoll würde im deutschen Spitzensport nur wenig laufen.
"Ist eben so, dass ich bei der Polizei für Trainingsmaßnahmen und auch fürs Training im Alltag, sag ich mal, freigestellt werde, beziehungsweise eben weniger Unterricht hab´, um eben bestmöglich meinen Sport zu verfolgen."

Wie lassen sich Beruf und Profisport vereinen?

Johannes Deml ist 18. Vor zwei Monaten hat der gebürtige Aschaffenburger, der mit sieben Jahren anfing zu ringen, weil seine Eltern ihn immer wieder zu den Kämpfen der Goldbacher Ringer mitnahmen, bei der Sportfördergruppe der hessischen Polizei ein duales Studium aufgenommen. Für Johannes Deml ist dieses Modell eine optimale Möglichkeit, Leistungssport und Ausbildung unter einen Hut zu bekommen.

"Ich komme aus Aschaffenburg. Und die Sportfördergruppe der Polizei Hessen ist nur in Wiesbaden. Das heißt, ich bin unter der Woche eben häufig in Wiesbaden zum Unterricht, aber auch häufig in Aschaffenburg zum Training."
Und das kann man schaffen, wenn man pendelt? Oder haben Sie dann zwei verschiedene Orte, wo Sie leben?
"Ja, also ich fahr´ schon relativ viel zur Zeit. Ich habe aber auch ´nen Zimmer dort in Wiesbaden. Also, wenn ich mal länger Unterricht hab´, oder wenn sich die Möglichkeit ergibt, dass ich auch vor Ort trainieren kann, dann bleibe ich eben in Wiesbaden über Nacht. Aber ich fahre auch sehr oft wieder zurück nach Aschaffenburg, wie heute zum Beispiel."

Von Aschaffenburg nach Wiesbaden braucht man, wenn es gut läuft, eine Stunde mit dem Auto. Das ist viel Aufwand, aber vielleicht gerade noch zumutbar. Auf viele Kaderathleten werden jedoch, wenn jetzt – wie geplant – zahlreiche Bundesstützpunkte geschlossen oder zusammengelegt werden, bald noch viel höhere Belastungen zukommen.

Die Umstrukturierung bereitet vielen Ruderern Probleme

Der Deutsche Ruderverband hat ca. 80.000 Mitglieder, die sich auf 600 Vereine verteilen. Als Folge der Strukturreform wird es für Kader- und Perspektivathleten mit Hamburg, Dortmund, Berlin und Potsdam nur noch vier Bundesstützpunkte geben. Junge Athleten, die in Zukunft an einen dieser Standorte wechseln möchten, sind in der Lage, das entsprechend zu planen.

"Nur, die Frage ist halt eben, was passiert mit den Leuten, die jetzt schon seit drei Jahren irgendwo anders studieren, die schon irgendwo anders sich ihr ganzes Umfeld aufgebaut haben und die schon sich mehr enger verwurzelt haben? Genau bei den Sportlern hapert´s jetzt so´n bisschen."

Max Planer ist seit zehn Jahren Leistungssportler. Gerade hat er bei der Weltmeisterschaft in Florida mit dem Deutschlandachter Gold geholt.
"Beispielsweise auch, wenn jetzt jemand bei der Landespolizei in Hessen ist, der auf einmal jetzt das ganz Jahr in Hamburg wohnen soll. Das funktioniert natürlich auch nicht, weil der Wohnort halt in Hessen sein muss."

Inzwischen trainiert Max Planer, der endlich sein Bachelorstudium in Journalistik abschließen möchte, bis zu 25 Stunden pro Woche. Eine Doppelbelastung, die schlaucht. Vor sechs Jahren ist er als Sportsoldat an den Dortmunder Stützpunkt gewechselt. Dieser bleibt erhalten. Für Max Planer wird sich also künftig nicht so viel ändern. Aber als Athletensprecher hört der 26-Jährige von vielen Athleten, die durch die Umstrukturierungen große Probleme bekommen. Zum Beispiel Skuller, die jetzt wegen der Schließung anderer Stützpunkte nach Hamburg ziehen müssen.
"Jeder, der weiß, wie so ungefähr die Mietpreise sind in den deutschen Städten, weiß, dass in Hamburg die relativ hoch sind. Das Konzept, ist alles in Ordnung, aber wenn man jetzt den Sportlern nicht sagt: O.k., ihr kriegt jetzt auch so und so viel Geld, damit ihr Eure Miete da bezahlen könnt, oder wenigstens ´nen WG-Zimmer, was einigermaßen nah am Stützpunkt ist, dann stellt man die Leute natürlich vor große Schwierigkeiten."

Die Sportler wurden nicht genug in die Reform miteingebunden

Max Planer sagt, Ruderverband und die Leute vom DOSB hätten die Probleme erkannt. Inzwischen gebe es gute Gespräche, um Lösungen zu finden. Nur hätte man sich einiges ersparen können, wenn schon im Vorfeld mehr miteinander geredet worden wäre. Auch Sportwissenschaftler Urs Granacher, als Chef der Potenzialanalysekommission einer der Hauptverantwortlichen im Reformprozess, räumt ein, dass Athleten und Trainer bisher nicht ausreichend einbezogen worden seien. Mit online-Befragungen wird das jetzt nachgeholt. Aus Betroffenen sollen Beteiligte werden. Allerdings hätten von über 4000 angeschriebenen Kader- und Perspektivathleten nur knapp 20 Prozent geantwortet. Doch inzwischen komme man in Foren, auf Podien oder Konferenzen so langsam ins Gespräch.

"Das finde ich genau richtige Dinge, die jetzt angestoßen werden. Man denkt über den Spitzensport nach."

Trotz aller Vorbehalte hält der ehemalige Leistungssportler Urs Granacher die Reform für alternativlos. Statt teurer Gießkannenförderung soll es künftig nur noch nachhaltige Investments geben. Schlüssige Konzepte sind gefragt, damit die Bürger erkennen, dass ihre Steuergelder gut angelegt werden. Nur so werde es möglich sein, den zunehmend misstrauisch beäugten Leistungs- und Spitzensport, der kaum noch Rückhalt habe, wieder stärker in der Gesellschaft zu verankern.

"Man versucht, diese Strukturen zu verbessern. Man versucht, es attraktiver zu machen, Leistungssport mit Beruf, mit Studium, mit Ausbildung, mit Schule zu kombinieren. Das ist unglaublich schwer, das zu tun, weil sie monetär davon in der Regel nicht leben können und vor allen Dingen auch nicht aussorgen können; es sei denn, Sie sind Fußballer."

Gibt es in Zukunft eine Rente für Spitzensportler?

Nachgedacht wird zum Beispiel über eine Rente für Spitzensportler. Wie hoch wird sie sein? Wo soll das Geld herkommen? Bundesinnenministerium, die Stiftung Deutsche Sporthilfe und Bundeswehr diskutieren derzeit verschiedene Finanzierungsmodelle. Für Athleten, die zehn bis 15 Jahre ihres Lebens nicht nur für sich persönlich, sondern auch für Deutschland auf Medaillenjagd gegangen sind, wäre das eine wichtige Verbesserung. Viele Spitzensportler, die möglicherweise das ungute Gefühl beschleicht, vom Sportsystem verheizt zu werden, könnten darin ein positives Signal der Wertschätzung sehen. Eine Geste, die helfen würde, den Kopf frei zu bekommen, um unbeschwerter an der sportlichen Leistung arbeiten zu können.

"Wenn das dann mehr kostet, dann sind wir die Letzten, die sagen: 'Ihr kriegt das Geld nicht. Wir wollen nur wissen, dass es so ist."

Genau wie Urs Granacher ist auch Ministerialdirektor Gerhard Böhm, der mit seiner Unterschrift schließlich dafür sorgt, dass Fördergelder fließen, bei der Reform nicht bloß auf mehr Medaillen fixiert. Ihm gehe es vor allem darum, durch die Veränderungen gute Rahmenbedingungen zu schaffen und Risiken zu minimieren, so dass jungen Athleten guten Gewissens geraten werden könne, das Wagnis einer Karriere im Leistungssport einzugehen.

"Ich stell mir das mal vor, weil ich Volleyballspieler war. Sie stehen auf´m Feld mit sechs Mann und die gegnerische Mannschaft macht irgendwas. So. Und dann muss sich die eigene Mannschaft ständig auf dem Feld bewegen, damit sie richtig steht."

Der Spitzensport soll "humaner" werden

Idealerweise würden all diese Systemveränderungen, die letztlich im Sinne der Athleten seien, zu einer Art "humanem Leistungssport" führen. Aber bis dahin sei der Weg noch weit, sagt Gerhard Böhm.

"Und so ähnlich ist das hier auch. Wenn Sie irgendwie an irgendwelchen Schrauben drehen, dann bewegt sich in diesem ganzen Räderwerk irgendwas mit. Und das müssen Sie im Blick haben. Und das macht die Schwierigkeit aus. Und deshalb kann man das nicht von jetzt auf gleich lösen."

Die Reform der Spitzensportförderung in Deutschland ist eine Herkulesaufgabe. In unserer dezentralen, föderalistischen Sportlandschaft gilt es, auf viele Einzelinteressen Rücksicht zu nehmen. Jahrzehntelang eingefahrene Prozesse, zum Teil durch unterschiedliche politische Systeme geprägt, neu zu steuern, wird enorm viel Geduld und Fingerspitzengefühl erfordern, wenn möglichst viele Beteiligte mitgenommen und nicht durch Entscheidungen "von oben" demotiviert werden sollen. PotAS-Chef Urs Granacher findet, dass sich diese Mühe lohnt:

"Und das ist für mich ebenfalls ein ganz, ganz wichtiges Element, nicht nur auf die Medaillen zu fokussieren, weil da wurde unser Minister auch falsch verstanden zu dem Zeitpunkt. Das ist wichtig, das ist keine Frage. Aber das ist nicht das ausschließliche Element, sondern es geht um etwas viel Größeres."

Auch Athleten, die es nicht bis auf Podium schaffen, würden durch systematisches Training lernen, wie wichtig Bewegung auch für die Phase nach dem Hochleistungszeitalter ist: Active for Life!, ist auf der Etappe danach vielleicht sogar noch viel wichtiger. Denn mit dieser Haltung könnten die ehemaligen Leistungssportler der Gesellschaft als Vorbilder im Sinne der Gesunderhaltung etwas zurückgeben.
(mw)
Mehr zum Thema